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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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DIE VÖLKER DES NORDENS.
Feldherr liess es geschehen ohne sie anzugreifen; dass er den
höhnischen Zuruf der Feinde, ob die Römer nicht Aufträge hät-
ten an ihre Frauen daheim, sich nicht irren liess, ist begreiflich,
aber dass er dies verwegene Vorbeidefiliren der feindlichen Co-
lonnen vor der concentrirten römischen Masse nicht benutzte um
anzugreifen, zeigt, wie wenig er seinen ungeübten Soldaten ver-
traute. Auch er brach sein Lager ab und folgte dem Feinde auf dem
Fuss, in strenger Ordnung und Nacht für Nacht sich sorgfältig
verschanzend. Die Teutonen, die der Küstenstrasse zustrebten,
gelangten längs der Rhone hinabmarschirend bis in die Gegend
von Aquae Sextiae, gefolgt von den Römern. Beim Wasserschö-
pfen stiessen hier die leichten ligurischen Truppen der Römer
mit der keltischen Nachhut, den Ambronen zusammen; das Ge-
fecht ward bald allgemein; nach heftigem Kampf siegten die Rö-
mer und verfolgten den weichenden Feind bis an die Wagenburg.
Dieser erste glückliche Zusammenstoss erhöhte dem Feldherrn wie
den Soldaten den Muth; am dritten Tage nach demselben ord-
nete Marius auf dem Hügel, dessen Spitze das römische Lager
trug, seine Reihen zur entscheidenen Schlacht. Die Teutonen,
längst ungeduldig mit ihren Gegnern sich zu messen, stürmten
sofort den Hügel hinauf und begannen das Gefecht. Es war
ernst und langwierig; bis zum Mittag standen die Deutschen wie
die Mauern; allein die ungewohnte Gluth der provencalischen
Sonne erschlaffte ihre Sehnen und ein blinder Lärm in ihrem
Rücken, wo ein Haufen römischer Trossbuben aus einem waldi-
gen Versteck mit gewaltigem Geschrei hervorrannte, entschied
vollends die Auflösung der schwankenden Reihen. Der ganze
Schwarm ward gesprengt und wie begreiflich in dem fremden
Lande entweder getödtet oder gefangen; unter den Gefangenen
war König Teutobod, unter den Todten eine Menge Frauen,
welche, nicht unbekannt mit der Behandlung, die ihnen als Scla-
vinnen bevorstand, theils auf ihren Karren in verzweifelter Gegen-
wehr sich hatten niedermachen lassen, theils in der Gefangenen-
schaft, nachdem sie umsonst gebeten sie dem Dienst der Götter
und der heiligen Jungfrauen der Vesta zu widmen, sich selber den
Tod gegeben hatten (Sommer 652). So hatte Gallien Ruhe vor den
Deutschen; und es war Zeit, denn schon standen deren Waffenbrü-
der diesseits der Alpen. Mit den Helvetiern verbündet waren die
Kimbrer ohne Schwierigkeit von der Seine an den Rhein gelangt,
hatten die Alpenkette auf dem Brennerpass überschritten und wa-
ren von da durch die Eisack- und Etschthäler hinabgestiegen in die
italische Ebene. Hier sollte der Consul Quintus Lutatius Catulus

DIE VÖLKER DES NORDENS.
Feldherr lieſs es geschehen ohne sie anzugreifen; daſs er den
höhnischen Zuruf der Feinde, ob die Römer nicht Aufträge hät-
ten an ihre Frauen daheim, sich nicht irren lieſs, ist begreiflich,
aber daſs er dies verwegene Vorbeidefiliren der feindlichen Co-
lonnen vor der concentrirten römischen Masse nicht benutzte um
anzugreifen, zeigt, wie wenig er seinen ungeübten Soldaten ver-
traute. Auch er brach sein Lager ab und folgte dem Feinde auf dem
Fuſs, in strenger Ordnung und Nacht für Nacht sich sorgfältig
verschanzend. Die Teutonen, die der Küstenstraſse zustrebten,
gelangten längs der Rhone hinabmarschirend bis in die Gegend
von Aquae Sextiae, gefolgt von den Römern. Beim Wasserschö-
pfen stieſsen hier die leichten ligurischen Truppen der Römer
mit der keltischen Nachhut, den Ambronen zusammen; das Ge-
fecht ward bald allgemein; nach heftigem Kampf siegten die Rö-
mer und verfolgten den weichenden Feind bis an die Wagenburg.
Dieser erste glückliche Zusammenstoſs erhöhte dem Feldherrn wie
den Soldaten den Muth; am dritten Tage nach demselben ord-
nete Marius auf dem Hügel, dessen Spitze das römische Lager
trug, seine Reihen zur entscheidenen Schlacht. Die Teutonen,
längst ungeduldig mit ihren Gegnern sich zu messen, stürmten
sofort den Hügel hinauf und begannen das Gefecht. Es war
ernst und langwierig; bis zum Mittag standen die Deutschen wie
die Mauern; allein die ungewohnte Gluth der provencalischen
Sonne erschlaffte ihre Sehnen und ein blinder Lärm in ihrem
Rücken, wo ein Haufen römischer Troſsbuben aus einem waldi-
gen Versteck mit gewaltigem Geschrei hervorrannte, entschied
vollends die Auflösung der schwankenden Reihen. Der ganze
Schwarm ward gesprengt und wie begreiflich in dem fremden
Lande entweder getödtet oder gefangen; unter den Gefangenen
war König Teutobod, unter den Todten eine Menge Frauen,
welche, nicht unbekannt mit der Behandlung, die ihnen als Scla-
vinnen bevorstand, theils auf ihren Karren in verzweifelter Gegen-
wehr sich hatten niedermachen lassen, theils in der Gefangenen-
schaft, nachdem sie umsonst gebeten sie dem Dienst der Götter
und der heiligen Jungfrauen der Vesta zu widmen, sich selber den
Tod gegeben hatten (Sommer 652). So hatte Gallien Ruhe vor den
Deutschen; und es war Zeit, denn schon standen deren Waffenbrü-
der diesseits der Alpen. Mit den Helvetiern verbündet waren die
Kimbrer ohne Schwierigkeit von der Seine an den Rhein gelangt,
hatten die Alpenkette auf dem Brennerpaſs überschritten und wa-
ren von da durch die Eisack- und Etschthäler hinabgestiegen in die
italische Ebene. Hier sollte der Consul Quintus Lutatius Catulus

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[175/0185] DIE VÖLKER DES NORDENS. Feldherr lieſs es geschehen ohne sie anzugreifen; daſs er den höhnischen Zuruf der Feinde, ob die Römer nicht Aufträge hät- ten an ihre Frauen daheim, sich nicht irren lieſs, ist begreiflich, aber daſs er dies verwegene Vorbeidefiliren der feindlichen Co- lonnen vor der concentrirten römischen Masse nicht benutzte um anzugreifen, zeigt, wie wenig er seinen ungeübten Soldaten ver- traute. Auch er brach sein Lager ab und folgte dem Feinde auf dem Fuſs, in strenger Ordnung und Nacht für Nacht sich sorgfältig verschanzend. Die Teutonen, die der Küstenstraſse zustrebten, gelangten längs der Rhone hinabmarschirend bis in die Gegend von Aquae Sextiae, gefolgt von den Römern. Beim Wasserschö- pfen stieſsen hier die leichten ligurischen Truppen der Römer mit der keltischen Nachhut, den Ambronen zusammen; das Ge- fecht ward bald allgemein; nach heftigem Kampf siegten die Rö- mer und verfolgten den weichenden Feind bis an die Wagenburg. Dieser erste glückliche Zusammenstoſs erhöhte dem Feldherrn wie den Soldaten den Muth; am dritten Tage nach demselben ord- nete Marius auf dem Hügel, dessen Spitze das römische Lager trug, seine Reihen zur entscheidenen Schlacht. Die Teutonen, längst ungeduldig mit ihren Gegnern sich zu messen, stürmten sofort den Hügel hinauf und begannen das Gefecht. Es war ernst und langwierig; bis zum Mittag standen die Deutschen wie die Mauern; allein die ungewohnte Gluth der provencalischen Sonne erschlaffte ihre Sehnen und ein blinder Lärm in ihrem Rücken, wo ein Haufen römischer Troſsbuben aus einem waldi- gen Versteck mit gewaltigem Geschrei hervorrannte, entschied vollends die Auflösung der schwankenden Reihen. Der ganze Schwarm ward gesprengt und wie begreiflich in dem fremden Lande entweder getödtet oder gefangen; unter den Gefangenen war König Teutobod, unter den Todten eine Menge Frauen, welche, nicht unbekannt mit der Behandlung, die ihnen als Scla- vinnen bevorstand, theils auf ihren Karren in verzweifelter Gegen- wehr sich hatten niedermachen lassen, theils in der Gefangenen- schaft, nachdem sie umsonst gebeten sie dem Dienst der Götter und der heiligen Jungfrauen der Vesta zu widmen, sich selber den Tod gegeben hatten (Sommer 652). So hatte Gallien Ruhe vor den Deutschen; und es war Zeit, denn schon standen deren Waffenbrü- der diesseits der Alpen. Mit den Helvetiern verbündet waren die Kimbrer ohne Schwierigkeit von der Seine an den Rhein gelangt, hatten die Alpenkette auf dem Brennerpaſs überschritten und wa- ren von da durch die Eisack- und Etschthäler hinabgestiegen in die italische Ebene. Hier sollte der Consul Quintus Lutatius Catulus

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/185>, abgerufen am 28.11.2024.