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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL VI.
in drei Treffen zu fechten blieb bestehen, allein wenn bisher je-
des Treffen einen eigenen Truppenkörper gebildet hatte, so blieb
es fortan dem Feldherrn überlassen die Cohorten, über die er
disponirte, in die drei Linien nach Ermessen zu vertheilen. Den
militärischen Rang bestimmte einzig die Ordnungsnummer der
Soldaten und der Abtheilungen. Die vier Feldzeichen der einzel-
nen Abtheilungen, der Wolf, der mannköpfige Stier, das Ross,
der Eber, die bisher wahrscheinlich der Reiterei und den drei
Treffen der schweren Infanterie waren vorgetragen worden, ver-
schwanden; es blieben nur die Fähnlein der neuen Cohorten und
das neue Zeichen, das Marius der gesammten Legion verlieh, der
silberne Adler. Wenn also innerhalb der Legion jede Spur der
bisherigen bürgerlichen und aristokratischen Gliederung ver-
schwand und unter den Legionaren fortan nur noch rein solda-
tische Unterschiede vorkamen, so hatte dagegen schon einige Jahr-
zehende früher aus zufälligen Anlässen eine bevorzugte Heeresab-
theilung neben den Legionen sich entwickelt: die Leibwache des
Feldherrn. Sie geht zurück auf den numantinischen Krieg, wo
Scipio Aemilianus, von der Regierung nicht wie er es verlangte
mit neuen Truppen ausgerüstet und genöthigt einer völlig verwil-
derten Soldateska gegenüber auf seine persönliche Sicherheit be-
dacht zu sein, aus Freiwilligen eine Schaar von 500 Mann gebil-
det und in diese später zur Belohnung die tüchtigsten Soldaten
aufgenommen hatte (S. 16); diese Cohorte, die der Freunde oder
gewöhnlicher die des Hauptquartiers (praetoriani) genannt, hatte
den Dienst im Hauptquartier (praetorium), wofür sie vom Lager-
und Schanzdienst frei war, und genoss höheren Sold und grösse-
res Ansehen. -- Diese vollständige Revolution der römischen
Heerverfassung scheint allerdings wesentlich nicht aus politi-
schen, sondern aus militärischen Motiven hervorgegangen und
überhaupt weniger das Werk eines Einzelnen, am wenigsten eines
berechnenden Ehrgeizigen, als die vom Drang der Umstände ge-
botene Reformation unhaltbar gewordener Einrichtungen gewe-
sen zu sein. Es ist wahrscheinlich, dass die Einführung des in-
ländischen Werbesystems durch Marius ebenso den Staat militä-
risch vom Untergang gerettet hat wie manches Jahrhundert spä-
ter Arbogast und Stilicho durch Einführung des ausländischen
ihm noch auf eine Weile die Existenz fristeten. Nichts desto
weniger lag in ihr, wenn auch noch unentwickelt, zugleich eine
vollständige politische Revolution. Die republikanische Verfas-
sung ruhte wesentlich darauf, dass der Bürger zugleich Soldat,
der Soldat vor allem Bürger war; es war mit ihr zu Ende, so wie

VIERTES BUCH. KAPITEL VI.
in drei Treffen zu fechten blieb bestehen, allein wenn bisher je-
des Treffen einen eigenen Truppenkörper gebildet hatte, so blieb
es fortan dem Feldherrn überlassen die Cohorten, über die er
disponirte, in die drei Linien nach Ermessen zu vertheilen. Den
militärischen Rang bestimmte einzig die Ordnungsnummer der
Soldaten und der Abtheilungen. Die vier Feldzeichen der einzel-
nen Abtheilungen, der Wolf, der mannköpfige Stier, das Roſs,
der Eber, die bisher wahrscheinlich der Reiterei und den drei
Treffen der schweren Infanterie waren vorgetragen worden, ver-
schwanden; es blieben nur die Fähnlein der neuen Cohorten und
das neue Zeichen, das Marius der gesammten Legion verlieh, der
silberne Adler. Wenn also innerhalb der Legion jede Spur der
bisherigen bürgerlichen und aristokratischen Gliederung ver-
schwand und unter den Legionaren fortan nur noch rein solda-
tische Unterschiede vorkamen, so hatte dagegen schon einige Jahr-
zehende früher aus zufälligen Anlässen eine bevorzugte Heeresab-
theilung neben den Legionen sich entwickelt: die Leibwache des
Feldherrn. Sie geht zurück auf den numantinischen Krieg, wo
Scipio Aemilianus, von der Regierung nicht wie er es verlangte
mit neuen Truppen ausgerüstet und genöthigt einer völlig verwil-
derten Soldateska gegenüber auf seine persönliche Sicherheit be-
dacht zu sein, aus Freiwilligen eine Schaar von 500 Mann gebil-
det und in diese später zur Belohnung die tüchtigsten Soldaten
aufgenommen hatte (S. 16); diese Cohorte, die der Freunde oder
gewöhnlicher die des Hauptquartiers (praetoriani) genannt, hatte
den Dienst im Hauptquartier (praetorium), wofür sie vom Lager-
und Schanzdienst frei war, und genoſs höheren Sold und gröſse-
res Ansehen. — Diese vollständige Revolution der römischen
Heerverfassung scheint allerdings wesentlich nicht aus politi-
schen, sondern aus militärischen Motiven hervorgegangen und
überhaupt weniger das Werk eines Einzelnen, am wenigsten eines
berechnenden Ehrgeizigen, als die vom Drang der Umstände ge-
botene Reformation unhaltbar gewordener Einrichtungen gewe-
sen zu sein. Es ist wahrscheinlich, daſs die Einführung des in-
ländischen Werbesystems durch Marius ebenso den Staat militä-
risch vom Untergang gerettet hat wie manches Jahrhundert spä-
ter Arbogast und Stilicho durch Einführung des ausländischen
ihm noch auf eine Weile die Existenz fristeten. Nichts desto
weniger lag in ihr, wenn auch noch unentwickelt, zugleich eine
vollständige politische Revolution. Die republikanische Verfas-
sung ruhte wesentlich darauf, daſs der Bürger zugleich Soldat,
der Soldat vor allem Bürger war; es war mit ihr zu Ende, so wie

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[186/0196] VIERTES BUCH. KAPITEL VI. in drei Treffen zu fechten blieb bestehen, allein wenn bisher je- des Treffen einen eigenen Truppenkörper gebildet hatte, so blieb es fortan dem Feldherrn überlassen die Cohorten, über die er disponirte, in die drei Linien nach Ermessen zu vertheilen. Den militärischen Rang bestimmte einzig die Ordnungsnummer der Soldaten und der Abtheilungen. Die vier Feldzeichen der einzel- nen Abtheilungen, der Wolf, der mannköpfige Stier, das Roſs, der Eber, die bisher wahrscheinlich der Reiterei und den drei Treffen der schweren Infanterie waren vorgetragen worden, ver- schwanden; es blieben nur die Fähnlein der neuen Cohorten und das neue Zeichen, das Marius der gesammten Legion verlieh, der silberne Adler. Wenn also innerhalb der Legion jede Spur der bisherigen bürgerlichen und aristokratischen Gliederung ver- schwand und unter den Legionaren fortan nur noch rein solda- tische Unterschiede vorkamen, so hatte dagegen schon einige Jahr- zehende früher aus zufälligen Anlässen eine bevorzugte Heeresab- theilung neben den Legionen sich entwickelt: die Leibwache des Feldherrn. Sie geht zurück auf den numantinischen Krieg, wo Scipio Aemilianus, von der Regierung nicht wie er es verlangte mit neuen Truppen ausgerüstet und genöthigt einer völlig verwil- derten Soldateska gegenüber auf seine persönliche Sicherheit be- dacht zu sein, aus Freiwilligen eine Schaar von 500 Mann gebil- det und in diese später zur Belohnung die tüchtigsten Soldaten aufgenommen hatte (S. 16); diese Cohorte, die der Freunde oder gewöhnlicher die des Hauptquartiers (praetoriani) genannt, hatte den Dienst im Hauptquartier (praetorium), wofür sie vom Lager- und Schanzdienst frei war, und genoſs höheren Sold und gröſse- res Ansehen. — Diese vollständige Revolution der römischen Heerverfassung scheint allerdings wesentlich nicht aus politi- schen, sondern aus militärischen Motiven hervorgegangen und überhaupt weniger das Werk eines Einzelnen, am wenigsten eines berechnenden Ehrgeizigen, als die vom Drang der Umstände ge- botene Reformation unhaltbar gewordener Einrichtungen gewe- sen zu sein. Es ist wahrscheinlich, daſs die Einführung des in- ländischen Werbesystems durch Marius ebenso den Staat militä- risch vom Untergang gerettet hat wie manches Jahrhundert spä- ter Arbogast und Stilicho durch Einführung des ausländischen ihm noch auf eine Weile die Existenz fristeten. Nichts desto weniger lag in ihr, wenn auch noch unentwickelt, zugleich eine vollständige politische Revolution. Die republikanische Verfas- sung ruhte wesentlich darauf, daſs der Bürger zugleich Soldat, der Soldat vor allem Bürger war; es war mit ihr zu Ende, so wie

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/196>, abgerufen am 27.11.2024.