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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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MARIUS UND DRUSUS.
ein Soldatenstand sich bildete. Hiezu aber musste schon das
neue Exercierreglement führen mit seiner dem Kunstfechter ab-
geborgten Routine; der Kriegsdienst ward allmählich Kriegshand-
werk. Indess weit rascher noch wirkte die wenn auch nur be-
schränkte Zuziehung des Proletariats zum Militärdienst in Ver-
bindung mit den uralten Satzungen, die dem Feldherrn ein nur
mit sehr soliden republikanischen Institutionen verträgliches ar-
biträres Belohnungsrecht seiner Soldaten einräumten und dem
tüchtigen und glücklichen Soldaten eine Art Anrecht gaben vom
Feldherrn einen Theil der beweglichen Beute, vom Staat ein
Stück des gewonnenen Ackers zu heischen. Wenn der ausgeho-
bene Bürger und Bauer in dem Kriegsdienst nichts sah als eine
für das gemeine Beste zu übernehmende Last und im Kriegs-
gewinn nichts als eine geringe Zubusse für den ihm aus dem
Dienst erwachsenden weit ansehnlicheren Verlust, so war dagegen
der geworbene Proletarier nicht bloss für den Augenblick allein
angewiesen auf seinen Sold, sondern auch für die Zukunft musste
er, den nach der Entlassung kein Invaliden-, ja nicht einmal ein
Armenhaus aufnahm, wünschen zunächst bei der Fahne zu blei-
ben und diese nicht anders zu verlassen als mit Begründung sei-
ner bürgerlichen Existenz. Seine einzige Heimath war das Lager,
seine einzige Wissenschaft der Krieg, seine einzige Hoffnung der
Feldherr -- was hierin lag, leuchtet ein. Als Marius nach dem
Treffen auf dem raudischen Feld zwei Cohorten italischer Bun-
desgenossen ihrer tapferen Haltung wegen in Masse auf dem
Schlachtfeld selbst das Bürgerrecht verfassungswidrig verlieh,
rechtfertigte er später sich damit, dass er im Lärm der Schlacht
die Stimme der Gesetze nicht habe unterscheiden können. Wenn
einmal in wichtigeren Fragen das Interesse des Heers und des
Feldherrn in verfassungswidrigem Begehren sich begegnen sollte,
wer mochte dafür stehen, dass nicht noch andere Gesetze über
dem Schwertergeklirr nicht würden vernommen werden? Man
hatte das stehende Heer, den Soldatenstand, die Garde; wie in
der bürgerlichen Verfassung so standen auch in der militärischen
bereits alle Pfeiler der künftigen Monarchie: es fehlte einzig an dem
Monarchen. Wie die zwölf Adler um den palatinischen Hügel kreis-
ten, da riefen sie dem Königthum; der neue Adler, den Gaius
Marius den Legionen verlieh, verkündete das Reich der Kaiser.

Es ist wohl keinem Zweifel unterworfen, dass Marius ein-
ging auf die glänzenden Aussichten, die seine militärische und
politische Stellung ihm eröffnete. Es war eine trübe schwere
Zeit. Man hatte Frieden, aber man ward des Friedens nicht froh;

MARIUS UND DRUSUS.
ein Soldatenstand sich bildete. Hiezu aber muſste schon das
neue Exercierreglement führen mit seiner dem Kunstfechter ab-
geborgten Routine; der Kriegsdienst ward allmählich Kriegshand-
werk. Indeſs weit rascher noch wirkte die wenn auch nur be-
schränkte Zuziehung des Proletariats zum Militärdienst in Ver-
bindung mit den uralten Satzungen, die dem Feldherrn ein nur
mit sehr soliden republikanischen Institutionen verträgliches ar-
biträres Belohnungsrecht seiner Soldaten einräumten und dem
tüchtigen und glücklichen Soldaten eine Art Anrecht gaben vom
Feldherrn einen Theil der beweglichen Beute, vom Staat ein
Stück des gewonnenen Ackers zu heischen. Wenn der ausgeho-
bene Bürger und Bauer in dem Kriegsdienst nichts sah als eine
für das gemeine Beste zu übernehmende Last und im Kriegs-
gewinn nichts als eine geringe Zubuſse für den ihm aus dem
Dienst erwachsenden weit ansehnlicheren Verlust, so war dagegen
der geworbene Proletarier nicht bloſs für den Augenblick allein
angewiesen auf seinen Sold, sondern auch für die Zukunft muſste
er, den nach der Entlassung kein Invaliden-, ja nicht einmal ein
Armenhaus aufnahm, wünschen zunächst bei der Fahne zu blei-
ben und diese nicht anders zu verlassen als mit Begründung sei-
ner bürgerlichen Existenz. Seine einzige Heimath war das Lager,
seine einzige Wissenschaft der Krieg, seine einzige Hoffnung der
Feldherr — was hierin lag, leuchtet ein. Als Marius nach dem
Treffen auf dem raudischen Feld zwei Cohorten italischer Bun-
desgenossen ihrer tapferen Haltung wegen in Masse auf dem
Schlachtfeld selbst das Bürgerrecht verfassungswidrig verlieh,
rechtfertigte er später sich damit, daſs er im Lärm der Schlacht
die Stimme der Gesetze nicht habe unterscheiden können. Wenn
einmal in wichtigeren Fragen das Interesse des Heers und des
Feldherrn in verfassungswidrigem Begehren sich begegnen sollte,
wer mochte dafür stehen, daſs nicht noch andere Gesetze über
dem Schwertergeklirr nicht würden vernommen werden? Man
hatte das stehende Heer, den Soldatenstand, die Garde; wie in
der bürgerlichen Verfassung so standen auch in der militärischen
bereits alle Pfeiler der künftigen Monarchie: es fehlte einzig an dem
Monarchen. Wie die zwölf Adler um den palatinischen Hügel kreis-
ten, da riefen sie dem Königthum; der neue Adler, den Gaius
Marius den Legionen verlieh, verkündete das Reich der Kaiser.

Es ist wohl keinem Zweifel unterworfen, daſs Marius ein-
ging auf die glänzenden Aussichten, die seine militärische und
politische Stellung ihm eröffnete. Es war eine trübe schwere
Zeit. Man hatte Frieden, aber man ward des Friedens nicht froh;

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[187/0197] MARIUS UND DRUSUS. ein Soldatenstand sich bildete. Hiezu aber muſste schon das neue Exercierreglement führen mit seiner dem Kunstfechter ab- geborgten Routine; der Kriegsdienst ward allmählich Kriegshand- werk. Indeſs weit rascher noch wirkte die wenn auch nur be- schränkte Zuziehung des Proletariats zum Militärdienst in Ver- bindung mit den uralten Satzungen, die dem Feldherrn ein nur mit sehr soliden republikanischen Institutionen verträgliches ar- biträres Belohnungsrecht seiner Soldaten einräumten und dem tüchtigen und glücklichen Soldaten eine Art Anrecht gaben vom Feldherrn einen Theil der beweglichen Beute, vom Staat ein Stück des gewonnenen Ackers zu heischen. Wenn der ausgeho- bene Bürger und Bauer in dem Kriegsdienst nichts sah als eine für das gemeine Beste zu übernehmende Last und im Kriegs- gewinn nichts als eine geringe Zubuſse für den ihm aus dem Dienst erwachsenden weit ansehnlicheren Verlust, so war dagegen der geworbene Proletarier nicht bloſs für den Augenblick allein angewiesen auf seinen Sold, sondern auch für die Zukunft muſste er, den nach der Entlassung kein Invaliden-, ja nicht einmal ein Armenhaus aufnahm, wünschen zunächst bei der Fahne zu blei- ben und diese nicht anders zu verlassen als mit Begründung sei- ner bürgerlichen Existenz. Seine einzige Heimath war das Lager, seine einzige Wissenschaft der Krieg, seine einzige Hoffnung der Feldherr — was hierin lag, leuchtet ein. Als Marius nach dem Treffen auf dem raudischen Feld zwei Cohorten italischer Bun- desgenossen ihrer tapferen Haltung wegen in Masse auf dem Schlachtfeld selbst das Bürgerrecht verfassungswidrig verlieh, rechtfertigte er später sich damit, daſs er im Lärm der Schlacht die Stimme der Gesetze nicht habe unterscheiden können. Wenn einmal in wichtigeren Fragen das Interesse des Heers und des Feldherrn in verfassungswidrigem Begehren sich begegnen sollte, wer mochte dafür stehen, daſs nicht noch andere Gesetze über dem Schwertergeklirr nicht würden vernommen werden? Man hatte das stehende Heer, den Soldatenstand, die Garde; wie in der bürgerlichen Verfassung so standen auch in der militärischen bereits alle Pfeiler der künftigen Monarchie: es fehlte einzig an dem Monarchen. Wie die zwölf Adler um den palatinischen Hügel kreis- ten, da riefen sie dem Königthum; der neue Adler, den Gaius Marius den Legionen verlieh, verkündete das Reich der Kaiser. Es ist wohl keinem Zweifel unterworfen, daſs Marius ein- ging auf die glänzenden Aussichten, die seine militärische und politische Stellung ihm eröffnete. Es war eine trübe schwere Zeit. Man hatte Frieden, aber man ward des Friedens nicht froh;

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/197>, abgerufen am 27.11.2024.