Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.VIERTES BUCH. KAPITEL I. Lusitaner anerkannt, verstand es das volle Gewicht seiner fürst-lichen Stellung mit dem schlichten Wesen des Hirten zu vereini- gen. Kein Abzeichen unterschied ihn von dem gemeinen Solda- ten; von der reichgeschmückten Hochzeittafel seines Schwieger- vaters, des Fürsten Astolpa im römischen Spanien, stand er auf ohne das goldene Geschirr und die kostbaren Speisen berührt zu haben, hob seine Braut auf das Ross und ritt mit ihr zurück in seine Berge. Nie nahm er von der Beute mehr als den glei- chen Theil, den er jedem seiner Kameraden zuschied. Nur an der hohen Gestalt und an dem treffenden Witzwort erkannte der Soldat den Feldherrn, vor allem aber daran, dass er es in Mässig- keit wie in Mühsal jedem der Seinigen zuvorthat, nie anders als in voller Rüstung schlief und in der Schlacht allen voran focht. Es schien, als sei in dieser gründlich prosaischen Zeit einer der homerischen Helden wiedergekehrt; weit und breit erscholl in Spanien der Name des Viriathus und die tapfere Nation meinte endlich in ihm den Mann gefunden zu haben, der die Ketten der Fremdherrschaft zu brechen bestimmt sei. Ungemeine Erfolge im nördlichen wie im südlichen Spanien bezeichneten die näch- sten Jahre seiner Feldherrnschaft (606-608). Gaius Laelius zwar behauptete das Feld gegen ihn; den Praetor Gaius Plautius aber wusste er, nachdem er dessen Vorhut vernichtet hatte, hin- über auf das rechte Tajoufer zu locken und ihn dort so nach- drücklich zu schlagen, dass der römische Feldherr mitten im Sommer in die Winterquartiere ging -- später ward dafür ge- gen ihn die Anklage wegen Entehrung der römischen Gemeinde vor dem Volk erhoben und er gezwungen das Land zu meiden --; dessgleichen wurde das Heer des Statthalters Claudius Uni- manus vernichtet, das des Gaius Negidius überwunden und weit- hin das platte Land gebrandschatzt. Auf den spanischen Bergen erhoben sich Siegeszeichen, die mit den Insignien der römischen Statthalter und den Waffen der Legionen geschmückt waren; in Rom war man bestürzt und beschämt durch die Siege des Bar- barenkönigs. Zwar übernahm jetzt ein zuverlässigerer Offizier den Oberbefehl in Spanien, der zweite Sohn des Siegers von Pydna, der Consul Quintus Fabius Maximus Aemilianus (609). Allein die krieggewohnten eben von Makedonien und Africa heim- gekehrten Veteranen aufs Neue in den verhassten spanischen Krieg zu senden wagte man schon nicht mehr; die beiden Legio- nen, die Maximus mitbrachte, waren neu geworben und nicht viel minder unzuverlässig als das alte gänzlich demoralisirte spanische Heer. Nachdem die ersten Gefechte wieder für die Lusitaner VIERTES BUCH. KAPITEL I. Lusitaner anerkannt, verstand es das volle Gewicht seiner fürst-lichen Stellung mit dem schlichten Wesen des Hirten zu vereini- gen. Kein Abzeichen unterschied ihn von dem gemeinen Solda- ten; von der reichgeschmückten Hochzeittafel seines Schwieger- vaters, des Fürsten Astolpa im römischen Spanien, stand er auf ohne das goldene Geschirr und die kostbaren Speisen berührt zu haben, hob seine Braut auf das Roſs und ritt mit ihr zurück in seine Berge. Nie nahm er von der Beute mehr als den glei- chen Theil, den er jedem seiner Kameraden zuschied. Nur an der hohen Gestalt und an dem treffenden Witzwort erkannte der Soldat den Feldherrn, vor allem aber daran, daſs er es in Mäſsig- keit wie in Mühsal jedem der Seinigen zuvorthat, nie anders als in voller Rüstung schlief und in der Schlacht allen voran focht. Es schien, als sei in dieser gründlich prosaischen Zeit einer der homerischen Helden wiedergekehrt; weit und breit erscholl in Spanien der Name des Viriathus und die tapfere Nation meinte endlich in ihm den Mann gefunden zu haben, der die Ketten der Fremdherrschaft zu brechen bestimmt sei. Ungemeine Erfolge im nördlichen wie im südlichen Spanien bezeichneten die näch- sten Jahre seiner Feldherrnschaft (606-608). Gaius Laelius zwar behauptete das Feld gegen ihn; den Praetor Gaius Plautius aber wuſste er, nachdem er dessen Vorhut vernichtet hatte, hin- über auf das rechte Tajoufer zu locken und ihn dort so nach- drücklich zu schlagen, daſs der römische Feldherr mitten im Sommer in die Winterquartiere ging — später ward dafür ge- gen ihn die Anklage wegen Entehrung der römischen Gemeinde vor dem Volk erhoben und er gezwungen das Land zu meiden —; deſsgleichen wurde das Heer des Statthalters Claudius Uni- manus vernichtet, das des Gaius Negidius überwunden und weit- hin das platte Land gebrandschatzt. Auf den spanischen Bergen erhoben sich Siegeszeichen, die mit den Insignien der römischen Statthalter und den Waffen der Legionen geschmückt waren; in Rom war man bestürzt und beschämt durch die Siege des Bar- barenkönigs. Zwar übernahm jetzt ein zuverlässigerer Offizier den Oberbefehl in Spanien, der zweite Sohn des Siegers von Pydna, der Consul Quintus Fabius Maximus Aemilianus (609). Allein die krieggewohnten eben von Makedonien und Africa heim- gekehrten Veteranen aufs Neue in den verhaſsten spanischen Krieg zu senden wagte man schon nicht mehr; die beiden Legio- nen, die Maximus mitbrachte, waren neu geworben und nicht viel minder unzuverlässig als das alte gänzlich demoralisirte spanische Heer. Nachdem die ersten Gefechte wieder für die Lusitaner <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0020" n="10"/><fw place="top" type="header">VIERTES BUCH. KAPITEL I.</fw><lb/> Lusitaner anerkannt, verstand es das volle Gewicht seiner fürst-<lb/> lichen Stellung mit dem schlichten Wesen des Hirten zu vereini-<lb/> gen. Kein Abzeichen unterschied ihn von dem gemeinen Solda-<lb/> ten; von der reichgeschmückten Hochzeittafel seines Schwieger-<lb/> vaters, des Fürsten Astolpa im römischen Spanien, stand er auf<lb/> ohne das goldene Geschirr und die kostbaren Speisen berührt<lb/> zu haben, hob seine Braut auf das Roſs und ritt mit ihr zurück<lb/> in seine Berge. Nie nahm er von der Beute mehr als den glei-<lb/> chen Theil, den er jedem seiner Kameraden zuschied. Nur an<lb/> der hohen Gestalt und an dem treffenden Witzwort erkannte der<lb/> Soldat den Feldherrn, vor allem aber daran, daſs er es in Mäſsig-<lb/> keit wie in Mühsal jedem der Seinigen zuvorthat, nie anders als<lb/> in voller Rüstung schlief und in der Schlacht allen voran focht.<lb/> Es schien, als sei in dieser gründlich prosaischen Zeit einer<lb/> der homerischen Helden wiedergekehrt; weit und breit erscholl<lb/> in Spanien der Name des Viriathus und die tapfere Nation meinte<lb/> endlich in ihm den Mann gefunden zu haben, der die Ketten der<lb/> Fremdherrschaft zu brechen bestimmt sei. Ungemeine Erfolge<lb/> im nördlichen wie im südlichen Spanien bezeichneten die näch-<lb/> sten Jahre seiner Feldherrnschaft (606-608). Gaius Laelius<lb/> zwar behauptete das Feld gegen ihn; den Praetor Gaius Plautius<lb/> aber wuſste er, nachdem er dessen Vorhut vernichtet hatte, hin-<lb/> über auf das rechte Tajoufer zu locken und ihn dort so nach-<lb/> drücklich zu schlagen, daſs der römische Feldherr mitten im<lb/> Sommer in die Winterquartiere ging — später ward dafür ge-<lb/> gen ihn die Anklage wegen Entehrung der römischen Gemeinde<lb/> vor dem Volk erhoben und er gezwungen das Land zu meiden<lb/> —; deſsgleichen wurde das Heer des Statthalters Claudius Uni-<lb/> manus vernichtet, das des Gaius Negidius überwunden und weit-<lb/> hin das platte Land gebrandschatzt. Auf den spanischen Bergen<lb/> erhoben sich Siegeszeichen, die mit den Insignien der römischen<lb/> Statthalter und den Waffen der Legionen geschmückt waren; in<lb/> Rom war man bestürzt und beschämt durch die Siege des Bar-<lb/> barenkönigs. 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VIERTES BUCH. KAPITEL I.
Lusitaner anerkannt, verstand es das volle Gewicht seiner fürst-
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gen. Kein Abzeichen unterschied ihn von dem gemeinen Solda-
ten; von der reichgeschmückten Hochzeittafel seines Schwieger-
vaters, des Fürsten Astolpa im römischen Spanien, stand er auf
ohne das goldene Geschirr und die kostbaren Speisen berührt
zu haben, hob seine Braut auf das Roſs und ritt mit ihr zurück
in seine Berge. Nie nahm er von der Beute mehr als den glei-
chen Theil, den er jedem seiner Kameraden zuschied. Nur an
der hohen Gestalt und an dem treffenden Witzwort erkannte der
Soldat den Feldherrn, vor allem aber daran, daſs er es in Mäſsig-
keit wie in Mühsal jedem der Seinigen zuvorthat, nie anders als
in voller Rüstung schlief und in der Schlacht allen voran focht.
Es schien, als sei in dieser gründlich prosaischen Zeit einer
der homerischen Helden wiedergekehrt; weit und breit erscholl
in Spanien der Name des Viriathus und die tapfere Nation meinte
endlich in ihm den Mann gefunden zu haben, der die Ketten der
Fremdherrschaft zu brechen bestimmt sei. Ungemeine Erfolge
im nördlichen wie im südlichen Spanien bezeichneten die näch-
sten Jahre seiner Feldherrnschaft (606-608). Gaius Laelius
zwar behauptete das Feld gegen ihn; den Praetor Gaius Plautius
aber wuſste er, nachdem er dessen Vorhut vernichtet hatte, hin-
über auf das rechte Tajoufer zu locken und ihn dort so nach-
drücklich zu schlagen, daſs der römische Feldherr mitten im
Sommer in die Winterquartiere ging — später ward dafür ge-
gen ihn die Anklage wegen Entehrung der römischen Gemeinde
vor dem Volk erhoben und er gezwungen das Land zu meiden
—; deſsgleichen wurde das Heer des Statthalters Claudius Uni-
manus vernichtet, das des Gaius Negidius überwunden und weit-
hin das platte Land gebrandschatzt. Auf den spanischen Bergen
erhoben sich Siegeszeichen, die mit den Insignien der römischen
Statthalter und den Waffen der Legionen geschmückt waren; in
Rom war man bestürzt und beschämt durch die Siege des Bar-
barenkönigs. Zwar übernahm jetzt ein zuverlässigerer Offizier
den Oberbefehl in Spanien, der zweite Sohn des Siegers von
Pydna, der Consul Quintus Fabius Maximus Aemilianus (609).
Allein die krieggewohnten eben von Makedonien und Africa heim-
gekehrten Veteranen aufs Neue in den verhaſsten spanischen
Krieg zu senden wagte man schon nicht mehr; die beiden Legio-
nen, die Maximus mitbrachte, waren neu geworben und nicht viel
minder unzuverlässig als das alte gänzlich demoralisirte spanische
Heer. Nachdem die ersten Gefechte wieder für die Lusitaner
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