Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.MARIUS UND DRUSUS. rath umsehen werde. Es schien als beabsichtige Philippuseinen Staatsstreich; der Senat, von Drusus desswegen berufen, sprach nach stürmischen Verhandlungen gegen den Consul ein Tadel- und Misstrauensvotum aus; allein im Geheimen begann sich in einem grossen Theil der Majorität die Angst vor einer Revolution zu regen, mit der sowohl Philippus als ein grosser Theil der Capitalisten zu drohen schien. Andere Umstände ka- men hinzu. Einer der thätigsten und angesehensten unter Dru- sus Gesinnungsgenossen, der Redner Lucius Crassus starb plötz- lich wenige Tage nach jener Senatssitzung (Sept. 663). Die von Drusus mit den Italikern angeknüpften Verbindungen, die er an- fangs nur wenigen seiner Vertrautesten mitgetheilt hatte, wurden allmählich ruchbar und in das wüthende Geschrei über Landes- verrath, das die Gegner erhoben, stimmten nicht wenige, viel- leicht die meisten Männer seiner Partei mit ein; selbst die edel- müthige Warnung, die er dem Consul Philippus zukommen liess, bei dem Bundesfest auf dem Albanerberg vor den von den Ita- likern ausgesandten Mördern sich zu hüten, diente nur dazu ihn weiter zu compromittiren, indem sie zeigte, wie tief er ver- wickelt war in die unter den Italikern gährenden Verschwörun- gen. Immer heftiger drängte Philippus auf Cassation des livi- schen Gesetzes; immer lauer ward die Majorität in der Verthei- digung desselben. Bald erschien der Status quo ante der grossen Menge der Furchtsamen und Unentschiedenen im Senat als der einzige Ausweg. Der Cassationsbeschluss wegen formeller Mängel erfolgte also; Drusus, nach seiner Art streng sich bescheidend, begnügte sich daran zu erinnern, dass der Senat also selbst die verhassten Rittergerichte wieder herstelle, und begab sich seines Rechtes den Cassationsbeschluss durch Intercession ungültig zu machen. Der Angriff des Senats auf die Capitalistenpartei war vollständig abgeschlagen und willig oder unwillig fügte man sich abermals in das bisherige Joch. Aber die hohe Finanz begnügte sich nicht gesiegt zu haben. Als Drusus eines Abends auf seiner Hausflur eben die wie gewöhnlich ihn geleitende Menge verab- schieden wollte, stürzte er plötzlich vor dem Bilde seines Vaters zusammen; eine Mörderhand hatte ihn getroffen, und so sicher, dass er wenige Stunden darauf den Geist aufgab. Der Thäter war in der Abenddämmerung verschwunden, ohne dass Jemand ihn erkannt hatte und eine gerichtliche Untersuchung fand nicht statt; aber es brauchte derselben nicht, um hier jenen Dolch zu erkennen, mit dem die Aristokratie sich selber zerfleischte. Das- selbe gewaltsame und grauenvolle Ende, das die demokratischen MARIUS UND DRUSUS. rath umsehen werde. Es schien als beabsichtige Philippuseinen Staatsstreich; der Senat, von Drusus deſswegen berufen, sprach nach stürmischen Verhandlungen gegen den Consul ein Tadel- und Miſstrauensvotum aus; allein im Geheimen begann sich in einem groſsen Theil der Majorität die Angst vor einer Revolution zu regen, mit der sowohl Philippus als ein groſser Theil der Capitalisten zu drohen schien. Andere Umstände ka- men hinzu. Einer der thätigsten und angesehensten unter Dru- sus Gesinnungsgenossen, der Redner Lucius Crassus starb plötz- lich wenige Tage nach jener Senatssitzung (Sept. 663). Die von Drusus mit den Italikern angeknüpften Verbindungen, die er an- fangs nur wenigen seiner Vertrautesten mitgetheilt hatte, wurden allmählich ruchbar und in das wüthende Geschrei über Landes- verrath, das die Gegner erhoben, stimmten nicht wenige, viel- leicht die meisten Männer seiner Partei mit ein; selbst die edel- müthige Warnung, die er dem Consul Philippus zukommen lieſs, bei dem Bundesfest auf dem Albanerberg vor den von den Ita- likern ausgesandten Mördern sich zu hüten, diente nur dazu ihn weiter zu compromittiren, indem sie zeigte, wie tief er ver- wickelt war in die unter den Italikern gährenden Verschwörun- gen. Immer heftiger drängte Philippus auf Cassation des livi- schen Gesetzes; immer lauer ward die Majorität in der Verthei- digung desselben. Bald erschien der Status quo ante der groſsen Menge der Furchtsamen und Unentschiedenen im Senat als der einzige Ausweg. Der Cassationsbeschluſs wegen formeller Mängel erfolgte also; Drusus, nach seiner Art streng sich bescheidend, begnügte sich daran zu erinnern, daſs der Senat also selbst die verhaſsten Rittergerichte wieder herstelle, und begab sich seines Rechtes den Cassationsbeschluſs durch Intercession ungültig zu machen. Der Angriff des Senats auf die Capitalistenpartei war vollständig abgeschlagen und willig oder unwillig fügte man sich abermals in das bisherige Joch. Aber die hohe Finanz begnügte sich nicht gesiegt zu haben. Als Drusus eines Abends auf seiner Hausflur eben die wie gewöhnlich ihn geleitende Menge verab- schieden wollte, stürzte er plötzlich vor dem Bilde seines Vaters zusammen; eine Mörderhand hatte ihn getroffen, und so sicher, daſs er wenige Stunden darauf den Geist aufgab. Der Thäter war in der Abenddämmerung verschwunden, ohne daſs Jemand ihn erkannt hatte und eine gerichtliche Untersuchung fand nicht statt; aber es brauchte derselben nicht, um hier jenen Dolch zu erkennen, mit dem die Aristokratie sich selber zerfleischte. Das- selbe gewaltsame und grauenvolle Ende, das die demokratischen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0217" n="207"/><fw place="top" type="header">MARIUS UND DRUSUS.</fw><lb/> rath umsehen werde. Es schien als beabsichtige Philippus<lb/> einen Staatsstreich; der Senat, von Drusus deſswegen berufen,<lb/> sprach nach stürmischen Verhandlungen gegen den Consul ein<lb/> Tadel- und Miſstrauensvotum aus; allein im Geheimen begann<lb/> sich in einem groſsen Theil der Majorität die Angst vor einer<lb/> Revolution zu regen, mit der sowohl Philippus als ein groſser<lb/> Theil der Capitalisten zu drohen schien. Andere Umstände ka-<lb/> men hinzu. Einer der thätigsten und angesehensten unter Dru-<lb/> sus Gesinnungsgenossen, der Redner Lucius Crassus starb plötz-<lb/> lich wenige Tage nach jener Senatssitzung (Sept. 663). Die von<lb/> Drusus mit den Italikern angeknüpften Verbindungen, die er an-<lb/> fangs nur wenigen seiner Vertrautesten mitgetheilt hatte, wurden<lb/> allmählich ruchbar und in das wüthende Geschrei über Landes-<lb/> verrath, das die Gegner erhoben, stimmten nicht wenige, viel-<lb/> leicht die meisten Männer seiner Partei mit ein; selbst die edel-<lb/> müthige Warnung, die er dem Consul Philippus zukommen lieſs,<lb/> bei dem Bundesfest auf dem Albanerberg vor den von den Ita-<lb/> likern ausgesandten Mördern sich zu hüten, diente nur dazu ihn<lb/> weiter zu compromittiren, indem sie zeigte, wie tief er ver-<lb/> wickelt war in die unter den Italikern gährenden Verschwörun-<lb/> gen. Immer heftiger drängte Philippus auf Cassation des livi-<lb/> schen Gesetzes; immer lauer ward die Majorität in der Verthei-<lb/> digung desselben. Bald erschien der Status quo ante der groſsen<lb/> Menge der Furchtsamen und Unentschiedenen im Senat als der<lb/> einzige Ausweg. Der Cassationsbeschluſs wegen formeller Mängel<lb/> erfolgte also; Drusus, nach seiner Art streng sich bescheidend,<lb/> begnügte sich daran zu erinnern, daſs der Senat also selbst die<lb/> verhaſsten Rittergerichte wieder herstelle, und begab sich seines<lb/> Rechtes den Cassationsbeschluſs durch Intercession ungültig zu<lb/> machen. Der Angriff des Senats auf die Capitalistenpartei war<lb/> vollständig abgeschlagen und willig oder unwillig fügte man sich<lb/> abermals in das bisherige Joch. Aber die hohe Finanz begnügte<lb/> sich nicht gesiegt zu haben. Als Drusus eines Abends auf seiner<lb/> Hausflur eben die wie gewöhnlich ihn geleitende Menge verab-<lb/> schieden wollte, stürzte er plötzlich vor dem Bilde seines Vaters<lb/> zusammen; eine Mörderhand hatte ihn getroffen, und so sicher,<lb/> daſs er wenige Stunden darauf den Geist aufgab. Der Thäter<lb/> war in der Abenddämmerung verschwunden, ohne daſs Jemand<lb/> ihn erkannt hatte und eine gerichtliche Untersuchung fand nicht<lb/> statt; aber es brauchte derselben nicht, um hier jenen Dolch zu<lb/> erkennen, mit dem die Aristokratie sich selber zerfleischte. Das-<lb/> selbe gewaltsame und grauenvolle Ende, das die demokratischen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [207/0217]
MARIUS UND DRUSUS.
rath umsehen werde. Es schien als beabsichtige Philippus
einen Staatsstreich; der Senat, von Drusus deſswegen berufen,
sprach nach stürmischen Verhandlungen gegen den Consul ein
Tadel- und Miſstrauensvotum aus; allein im Geheimen begann
sich in einem groſsen Theil der Majorität die Angst vor einer
Revolution zu regen, mit der sowohl Philippus als ein groſser
Theil der Capitalisten zu drohen schien. Andere Umstände ka-
men hinzu. Einer der thätigsten und angesehensten unter Dru-
sus Gesinnungsgenossen, der Redner Lucius Crassus starb plötz-
lich wenige Tage nach jener Senatssitzung (Sept. 663). Die von
Drusus mit den Italikern angeknüpften Verbindungen, die er an-
fangs nur wenigen seiner Vertrautesten mitgetheilt hatte, wurden
allmählich ruchbar und in das wüthende Geschrei über Landes-
verrath, das die Gegner erhoben, stimmten nicht wenige, viel-
leicht die meisten Männer seiner Partei mit ein; selbst die edel-
müthige Warnung, die er dem Consul Philippus zukommen lieſs,
bei dem Bundesfest auf dem Albanerberg vor den von den Ita-
likern ausgesandten Mördern sich zu hüten, diente nur dazu ihn
weiter zu compromittiren, indem sie zeigte, wie tief er ver-
wickelt war in die unter den Italikern gährenden Verschwörun-
gen. Immer heftiger drängte Philippus auf Cassation des livi-
schen Gesetzes; immer lauer ward die Majorität in der Verthei-
digung desselben. Bald erschien der Status quo ante der groſsen
Menge der Furchtsamen und Unentschiedenen im Senat als der
einzige Ausweg. Der Cassationsbeschluſs wegen formeller Mängel
erfolgte also; Drusus, nach seiner Art streng sich bescheidend,
begnügte sich daran zu erinnern, daſs der Senat also selbst die
verhaſsten Rittergerichte wieder herstelle, und begab sich seines
Rechtes den Cassationsbeschluſs durch Intercession ungültig zu
machen. Der Angriff des Senats auf die Capitalistenpartei war
vollständig abgeschlagen und willig oder unwillig fügte man sich
abermals in das bisherige Joch. Aber die hohe Finanz begnügte
sich nicht gesiegt zu haben. Als Drusus eines Abends auf seiner
Hausflur eben die wie gewöhnlich ihn geleitende Menge verab-
schieden wollte, stürzte er plötzlich vor dem Bilde seines Vaters
zusammen; eine Mörderhand hatte ihn getroffen, und so sicher,
daſs er wenige Stunden darauf den Geist aufgab. Der Thäter
war in der Abenddämmerung verschwunden, ohne daſs Jemand
ihn erkannt hatte und eine gerichtliche Untersuchung fand nicht
statt; aber es brauchte derselben nicht, um hier jenen Dolch zu
erkennen, mit dem die Aristokratie sich selber zerfleischte. Das-
selbe gewaltsame und grauenvolle Ende, das die demokratischen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |