Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.VIERTES BUCH. KAPITEL VII. Verschiedenheit der wirthschaftlichen und socialen Zustände Ita-liens nicht wesentlich ab von den politischen Unterschieden; es gab vorzugsweise bundesgenössische Landschaften, wie Etrurien und Umbrien, in denen der freie Bauernstand verschwunden, andere, wie die Abruzzenthäler, in denen derselbe noch leidlich und zum Theil fast unberührt erhalten war -- ähnlich wie sich die gleichen Unterschiede auch in der römischen Bürgerschaft nachweisen lassen. Dagegen entwickelte der politische Gegensatz sich in immer herberer, immer schrofferer Gestalt. Wohl fand ein förmlicher unverhüllter Rechtsbruch wenigstens in Haupt- fragen nicht statt. Die Communalfreiheit, welche unter dem Na- men der Souveränetät den italischen Gemeinden vertragsmässig zustand, wurde im Ganzen respectirt und auch den Angriff, der im Anfang der agrarischen Bewegung auf die den besser gestell- ten Gemeinden verbrieften römischen Domänen von der Re- formpartei gemacht ward, hatte nicht bloss die römische Re- gierung zurückgewiesen, sondern auch die Opposition selbst sehr bald aufgegeben. Allein die Rechte, welche Rom als der führenden Gemeinde zustanden und zustehen mussten, die oberste Leitung des Kriegswesens und die Oberaufsicht über die gesammte Verwaltung, wurden in einer Weise ausgeübt, die fast ebenso schlimm war, als wenn man die Bundesgenossen geradezu für rechtlose Unterthanen erklärt hätte. Die zahlreichen Milde- rungen des furchtbar strengen römischen Kriegsrechts, welche im Laufe des siebenten Jahrhunderts in Rom eingeführt wurden, scheinen sämmtlich auf die römischen Bürgersoldaten beschränkt geblieben zu sein; von der wichtigsten, der Abschaffung der stand- rechtlichen Hinrichtungen (S. 101), ist dies gewiss und der Ein- druck leicht zu ermessen, wenn, wie dies im jugurthinischen Krieg geschah, angesehene latinische Offiziere nach Urtheil des römischen Kriegsraths enthauptet wurden, dem letzten Bürgersoldaten aber im gleichen Fall das Recht zustand an die bürgerlichen Gerichte Roms zu provociren. In welchem Verhältniss die Bürger und die italischen Bundesgenossen zum Kriegsdienst angezogen werden sollten, war vertragsmässig wie billig unbestimmt geblieben; allein während in früherer Zeit beide durchschnittlich die gleiche Zahl Soldaten gestellt hatten (I, 283), wurden jetzt, obwohl das Bevöl- kerungsverhältniss wahrscheinlich eher zu Gunsten als zum Nach- theil der Bürgerschaft sich verändert hatte, die Forderungen an die Bundesgenossen allmählich unverhältnissmässig gesteigert (I, 612), so dass man ihnen theils den schwereren und kostbareren Dienst vorzugsweise aufbürdete, theils jetzt regelmässig auf einen Bürger VIERTES BUCH. KAPITEL VII. Verschiedenheit der wirthschaftlichen und socialen Zustände Ita-liens nicht wesentlich ab von den politischen Unterschieden; es gab vorzugsweise bundesgenössische Landschaften, wie Etrurien und Umbrien, in denen der freie Bauernstand verschwunden, andere, wie die Abruzzenthäler, in denen derselbe noch leidlich und zum Theil fast unberührt erhalten war — ähnlich wie sich die gleichen Unterschiede auch in der römischen Bürgerschaft nachweisen lassen. Dagegen entwickelte der politische Gegensatz sich in immer herberer, immer schrofferer Gestalt. Wohl fand ein förmlicher unverhüllter Rechtsbruch wenigstens in Haupt- fragen nicht statt. Die Communalfreiheit, welche unter dem Na- men der Souveränetät den italischen Gemeinden vertragsmäſsig zustand, wurde im Ganzen respectirt und auch den Angriff, der im Anfang der agrarischen Bewegung auf die den besser gestell- ten Gemeinden verbrieften römischen Domänen von der Re- formpartei gemacht ward, hatte nicht bloſs die römische Re- gierung zurückgewiesen, sondern auch die Opposition selbst sehr bald aufgegeben. Allein die Rechte, welche Rom als der führenden Gemeinde zustanden und zustehen muſsten, die oberste Leitung des Kriegswesens und die Oberaufsicht über die gesammte Verwaltung, wurden in einer Weise ausgeübt, die fast ebenso schlimm war, als wenn man die Bundesgenossen geradezu für rechtlose Unterthanen erklärt hätte. Die zahlreichen Milde- rungen des furchtbar strengen römischen Kriegsrechts, welche im Laufe des siebenten Jahrhunderts in Rom eingeführt wurden, scheinen sämmtlich auf die römischen Bürgersoldaten beschränkt geblieben zu sein; von der wichtigsten, der Abschaffung der stand- rechtlichen Hinrichtungen (S. 101), ist dies gewiſs und der Ein- druck leicht zu ermessen, wenn, wie dies im jugurthinischen Krieg geschah, angesehene latinische Offiziere nach Urtheil des römischen Kriegsraths enthauptet wurden, dem letzten Bürgersoldaten aber im gleichen Fall das Recht zustand an die bürgerlichen Gerichte Roms zu provociren. In welchem Verhältniſs die Bürger und die italischen Bundesgenossen zum Kriegsdienst angezogen werden sollten, war vertragsmäſsig wie billig unbestimmt geblieben; allein während in früherer Zeit beide durchschnittlich die gleiche Zahl Soldaten gestellt hatten (I, 283), wurden jetzt, obwohl das Bevöl- kerungsverhältniſs wahrscheinlich eher zu Gunsten als zum Nach- theil der Bürgerschaft sich verändert hatte, die Forderungen an die Bundesgenossen allmählich unverhältniſsmäſsig gesteigert (I, 612), so daſs man ihnen theils den schwereren und kostbareren Dienst vorzugsweise aufbürdete, theils jetzt regelmäſsig auf einen Bürger <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0220" n="210"/><fw place="top" type="header">VIERTES BUCH. 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VIERTES BUCH. KAPITEL VII.
Verschiedenheit der wirthschaftlichen und socialen Zustände Ita-
liens nicht wesentlich ab von den politischen Unterschieden; es
gab vorzugsweise bundesgenössische Landschaften, wie Etrurien
und Umbrien, in denen der freie Bauernstand verschwunden,
andere, wie die Abruzzenthäler, in denen derselbe noch leidlich
und zum Theil fast unberührt erhalten war — ähnlich wie sich
die gleichen Unterschiede auch in der römischen Bürgerschaft
nachweisen lassen. Dagegen entwickelte der politische Gegensatz
sich in immer herberer, immer schrofferer Gestalt. Wohl fand
ein förmlicher unverhüllter Rechtsbruch wenigstens in Haupt-
fragen nicht statt. Die Communalfreiheit, welche unter dem Na-
men der Souveränetät den italischen Gemeinden vertragsmäſsig
zustand, wurde im Ganzen respectirt und auch den Angriff, der
im Anfang der agrarischen Bewegung auf die den besser gestell-
ten Gemeinden verbrieften römischen Domänen von der Re-
formpartei gemacht ward, hatte nicht bloſs die römische Re-
gierung zurückgewiesen, sondern auch die Opposition selbst
sehr bald aufgegeben. Allein die Rechte, welche Rom als der
führenden Gemeinde zustanden und zustehen muſsten, die
oberste Leitung des Kriegswesens und die Oberaufsicht über die
gesammte Verwaltung, wurden in einer Weise ausgeübt, die fast
ebenso schlimm war, als wenn man die Bundesgenossen geradezu
für rechtlose Unterthanen erklärt hätte. Die zahlreichen Milde-
rungen des furchtbar strengen römischen Kriegsrechts, welche
im Laufe des siebenten Jahrhunderts in Rom eingeführt wurden,
scheinen sämmtlich auf die römischen Bürgersoldaten beschränkt
geblieben zu sein; von der wichtigsten, der Abschaffung der stand-
rechtlichen Hinrichtungen (S. 101), ist dies gewiſs und der Ein-
druck leicht zu ermessen, wenn, wie dies im jugurthinischen Krieg
geschah, angesehene latinische Offiziere nach Urtheil des römischen
Kriegsraths enthauptet wurden, dem letzten Bürgersoldaten aber
im gleichen Fall das Recht zustand an die bürgerlichen Gerichte
Roms zu provociren. In welchem Verhältniſs die Bürger und die
italischen Bundesgenossen zum Kriegsdienst angezogen werden
sollten, war vertragsmäſsig wie billig unbestimmt geblieben; allein
während in früherer Zeit beide durchschnittlich die gleiche Zahl
Soldaten gestellt hatten (I, 283), wurden jetzt, obwohl das Bevöl-
kerungsverhältniſs wahrscheinlich eher zu Gunsten als zum Nach-
theil der Bürgerschaft sich verändert hatte, die Forderungen an die
Bundesgenossen allmählich unverhältniſsmäſsig gesteigert (I, 612),
so daſs man ihnen theils den schwereren und kostbareren Dienst
vorzugsweise aufbürdete, theils jetzt regelmäſsig auf einen Bürger
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