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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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EMPÖRUNG DER ITALIKER.
zwei Bundesgenossen aushob. Aehnlich wie die militärische Ober-
leitung wurde die bürgerliche Oberaufsicht, welche mit Einschluss
der davon kaum zu trennenden obersten Administrativjurisdiction
die römische Regierung stets und mit Recht über die abhängigen
italischen Gemeinden sich vorbehalten hatte, in einer Weise aus-
gedehnt, dass die Italiker fast nicht minder als die Provinzialen
sich der Willkür eines jeden der zahllosen römischen Beamten
schutzlos preisgegeben sahen. In Teanum Sidicinum, einer der
angesehensten Bundesstädte, hatte ein Consul den Bürgermeister
der Stadt an dem Schandpfahl auf dem Markt mit Ruthen stäu-
pen lassen, weil seiner Gemahlin, die in dem Männerbad zu ba-
den verlangte, die Municipalbeamten nicht schleunig genug die
Badenden ausgetrieben hatten und ihr das Bad nicht sauber er-
schienen war. Aehnliche Auftritte waren in Ferentinum, gleich-
falls einer Stadt besten Rechts, ja in der alten und wichtigen la-
tinischen Colonie Cales vorgefallen. In der latinischen Colonie
Venusia war ein freier Bauersmann von einem durchpassirenden
jungen amtlosen römischen Diplomaten wegen eines Spasses, den
er sich über dessen Sänfte erlaubt hatte, angehalten, niederge-
worfen und mit den Tragriemen der Sänfte zu Tode gepeitscht
worden. Dieser Vorfälle wird um die Zeit des fregellanischen
Aufstandes gelegentlich gedacht; es leidet keinen Zweifel, dass
ähnliche Unrechtfertigkeiten häufig vorkamen und ebenso wenig,
dass eine ernstliche Genugthuung für solche Missethaten nir-
gends zu erlangen war, wogegen das nicht leicht ungestraft
verletzte Provocationsrecht wenigstens Leib und Leben des rö-
mischen Bürgers einigermassen schützte. Es konnte nicht feh-
len, dass in Folge dieser Behandlung der Italiker seitens der rö-
mischen Regierung die Spannung, welche die Weisheit der
Ahnen zwischen den latinischen und den sonstigen italischen
Gemeinden sorgfältig unterhalten hatte, wenn nicht verschwand,
so doch nachliess. Die Zwingburgen Roms und die durch die
Zwingburgen in Gehorsam erhaltenen Landschaften lebten jetzt
unter dem gleichen Druck; der Latiner konnte den Picenter daran
erinnern, dass sie beide in gleicher Weise ,den Beilen unterwor-
fen' seien; die Vögte und die Knechte von ehemals vereinigte
jetzt der gemeinsame Hass gegen den gemeinsamen Zwingherrn.
-- Wenn also der gegenwärtige Zustand der italischen Bundes-
genossen aus einem leidlichen Abhängigkeitsverhältniss umge-
schlagen war in die drückendste Knechtschaft, so war zugleich
denselben jede Aussicht auf Erlangung besseren Rechts benom-
men worden. Schon mit der Unterwerfung Italiens hatte die rö-

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EMPÖRUNG DER ITALIKER.
zwei Bundesgenossen aushob. Aehnlich wie die militärische Ober-
leitung wurde die bürgerliche Oberaufsicht, welche mit Einschluſs
der davon kaum zu trennenden obersten Administrativjurisdiction
die römische Regierung stets und mit Recht über die abhängigen
italischen Gemeinden sich vorbehalten hatte, in einer Weise aus-
gedehnt, daſs die Italiker fast nicht minder als die Provinzialen
sich der Willkür eines jeden der zahllosen römischen Beamten
schutzlos preisgegeben sahen. In Teanum Sidicinum, einer der
angesehensten Bundesstädte, hatte ein Consul den Bürgermeister
der Stadt an dem Schandpfahl auf dem Markt mit Ruthen stäu-
pen lassen, weil seiner Gemahlin, die in dem Männerbad zu ba-
den verlangte, die Municipalbeamten nicht schleunig genug die
Badenden ausgetrieben hatten und ihr das Bad nicht sauber er-
schienen war. Aehnliche Auftritte waren in Ferentinum, gleich-
falls einer Stadt besten Rechts, ja in der alten und wichtigen la-
tinischen Colonie Cales vorgefallen. In der latinischen Colonie
Venusia war ein freier Bauersmann von einem durchpassirenden
jungen amtlosen römischen Diplomaten wegen eines Spaſses, den
er sich über dessen Sänfte erlaubt hatte, angehalten, niederge-
worfen und mit den Tragriemen der Sänfte zu Tode gepeitscht
worden. Dieser Vorfälle wird um die Zeit des fregellanischen
Aufstandes gelegentlich gedacht; es leidet keinen Zweifel, daſs
ähnliche Unrechtfertigkeiten häufig vorkamen und ebenso wenig,
daſs eine ernstliche Genugthuung für solche Missethaten nir-
gends zu erlangen war, wogegen das nicht leicht ungestraft
verletzte Provocationsrecht wenigstens Leib und Leben des rö-
mischen Bürgers einigermaſsen schützte. Es konnte nicht feh-
len, daſs in Folge dieser Behandlung der Italiker seitens der rö-
mischen Regierung die Spannung, welche die Weisheit der
Ahnen zwischen den latinischen und den sonstigen italischen
Gemeinden sorgfältig unterhalten hatte, wenn nicht verschwand,
so doch nachlieſs. Die Zwingburgen Roms und die durch die
Zwingburgen in Gehorsam erhaltenen Landschaften lebten jetzt
unter dem gleichen Druck; der Latiner konnte den Picenter daran
erinnern, daſs sie beide in gleicher Weise ‚den Beilen unterwor-
fen‘ seien; die Vögte und die Knechte von ehemals vereinigte
jetzt der gemeinsame Haſs gegen den gemeinsamen Zwingherrn.
— Wenn also der gegenwärtige Zustand der italischen Bundes-
genossen aus einem leidlichen Abhängigkeitsverhältniſs umge-
schlagen war in die drückendste Knechtschaft, so war zugleich
denselben jede Aussicht auf Erlangung besseren Rechts benom-
men worden. Schon mit der Unterwerfung Italiens hatte die rö-

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[211/0221] EMPÖRUNG DER ITALIKER. zwei Bundesgenossen aushob. Aehnlich wie die militärische Ober- leitung wurde die bürgerliche Oberaufsicht, welche mit Einschluſs der davon kaum zu trennenden obersten Administrativjurisdiction die römische Regierung stets und mit Recht über die abhängigen italischen Gemeinden sich vorbehalten hatte, in einer Weise aus- gedehnt, daſs die Italiker fast nicht minder als die Provinzialen sich der Willkür eines jeden der zahllosen römischen Beamten schutzlos preisgegeben sahen. In Teanum Sidicinum, einer der angesehensten Bundesstädte, hatte ein Consul den Bürgermeister der Stadt an dem Schandpfahl auf dem Markt mit Ruthen stäu- pen lassen, weil seiner Gemahlin, die in dem Männerbad zu ba- den verlangte, die Municipalbeamten nicht schleunig genug die Badenden ausgetrieben hatten und ihr das Bad nicht sauber er- schienen war. Aehnliche Auftritte waren in Ferentinum, gleich- falls einer Stadt besten Rechts, ja in der alten und wichtigen la- tinischen Colonie Cales vorgefallen. In der latinischen Colonie Venusia war ein freier Bauersmann von einem durchpassirenden jungen amtlosen römischen Diplomaten wegen eines Spaſses, den er sich über dessen Sänfte erlaubt hatte, angehalten, niederge- worfen und mit den Tragriemen der Sänfte zu Tode gepeitscht worden. Dieser Vorfälle wird um die Zeit des fregellanischen Aufstandes gelegentlich gedacht; es leidet keinen Zweifel, daſs ähnliche Unrechtfertigkeiten häufig vorkamen und ebenso wenig, daſs eine ernstliche Genugthuung für solche Missethaten nir- gends zu erlangen war, wogegen das nicht leicht ungestraft verletzte Provocationsrecht wenigstens Leib und Leben des rö- mischen Bürgers einigermaſsen schützte. Es konnte nicht feh- len, daſs in Folge dieser Behandlung der Italiker seitens der rö- mischen Regierung die Spannung, welche die Weisheit der Ahnen zwischen den latinischen und den sonstigen italischen Gemeinden sorgfältig unterhalten hatte, wenn nicht verschwand, so doch nachlieſs. Die Zwingburgen Roms und die durch die Zwingburgen in Gehorsam erhaltenen Landschaften lebten jetzt unter dem gleichen Druck; der Latiner konnte den Picenter daran erinnern, daſs sie beide in gleicher Weise ‚den Beilen unterwor- fen‘ seien; die Vögte und die Knechte von ehemals vereinigte jetzt der gemeinsame Haſs gegen den gemeinsamen Zwingherrn. — Wenn also der gegenwärtige Zustand der italischen Bundes- genossen aus einem leidlichen Abhängigkeitsverhältniſs umge- schlagen war in die drückendste Knechtschaft, so war zugleich denselben jede Aussicht auf Erlangung besseren Rechts benom- men worden. Schon mit der Unterwerfung Italiens hatte die rö- 14*

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/221>, abgerufen am 25.11.2024.