Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.SULPICISCHE REVOLUTION. ward -- Sulla soll sogar nur dadurch gerettet worden sein, dassMarius ihm sein Haus öffnete. Man musste nachgeben; Sulla verstand sich dazu die angekündigten Festlichkeiten abzusagen und die sulpicischen Anträge gingen nun ohne Weiteres durch. Allein es war damit ihr Schicksal noch keineswegs gesichert. Mochte auch in der Hauptstadt sich die Aristokratie geschlagen geben, so gab es jetzt -- zum ersten Mal seit dem Beginn der Revolution -- noch eine andere Macht in Italien, die nicht über- sehen werden durfte: die beiden starken und siegreichen Armeen des Proconsuls Strabo und des Consuls Sulla. War auch Stra- bos politische Stellung zweideutig und derselbe, namentlich seit seine Hoffnung für 666 wieder zum Consul gewählt zu wer- den getäuscht worden war, mit der Aristokratie gespannt, so stand dagegen Sulla mit der Senatsmajorität im besten Einver- nehmen, und hatte nur der offenbaren Gewalt für den Augenblick sich gefügt. Unmittelbar nachdem er die Festlichkeiten abgesagt hatte, war er nach Campanien abgegangen und hatte den Ober- befehl seiner Armee übernommen. Den unbewaffneten Consul durch die Knittelmänner oder die wehrlose Hauptstadt durch die Schwerter der Legionen zu terrorisiren lief am Ende auf dasselbe hinaus; Sulpicius erwartete, dass der Gegner, jetzt wo er es konnte, Gewalt mit Gewalt vergelten und an der Spitze seiner Legionen nach der Hauptstadt zurückkehren werde, um den con- servativen Demagogen mitsammt seinen Gesetzen über den Hau- fen zu werfen. Vielleicht irrte er sich. Sulla beschäftigte sich damit die Belagerung von Nola und die Anstalten zur Einschif- fung nach Asien zu betreiben; er wünschte den Krieg gegen Mi- thradates ebenso sehr, wie ihm grauen mochte vor dem haupt- städtischen politischen Brodel, und bei seinem originellen Indif- ferentismus und seiner unübertroffenen politischen Nonchalance hat es grosse Wahrscheinlichkeit, dass er den Staatsstreich, den Sulpicius erwartete, keineswegs beabsichtigte. Indess wie dem auch sein mag, Sulpicius entwarf, um diesen vermutheten Streich zu pariren, den Plan Sulla den Oberbefehl abzunehmen und liess zu diesem Ende mit Marius sich ein, dessen Name noch immer hinreichend populär war um einen Antrag den Oberbefehl im asiatischen Kriege auf ihn zu übertragen der Menge plausibel er- scheinen zu lassen und dessen militärische Stellung und Capaci- tät für den Fall eines Bruches mit Sulla eine wichtige Stütze werden konnte. Die Gefahr, die darin lag den alten ebenso un- fähigen als rach- und ehrsüchtigen Mann an die Spitze der cam- panischen Armee zu stellen, mochte Sulpicius nicht übersehen 16*
SULPICISCHE REVOLUTION. ward — Sulla soll sogar nur dadurch gerettet worden sein, daſsMarius ihm sein Haus öffnete. Man muſste nachgeben; Sulla verstand sich dazu die angekündigten Festlichkeiten abzusagen und die sulpicischen Anträge gingen nun ohne Weiteres durch. Allein es war damit ihr Schicksal noch keineswegs gesichert. Mochte auch in der Hauptstadt sich die Aristokratie geschlagen geben, so gab es jetzt — zum ersten Mal seit dem Beginn der Revolution — noch eine andere Macht in Italien, die nicht über- sehen werden durfte: die beiden starken und siegreichen Armeen des Proconsuls Strabo und des Consuls Sulla. War auch Stra- bos politische Stellung zweideutig und derselbe, namentlich seit seine Hoffnung für 666 wieder zum Consul gewählt zu wer- den getäuscht worden war, mit der Aristokratie gespannt, so stand dagegen Sulla mit der Senatsmajorität im besten Einver- nehmen, und hatte nur der offenbaren Gewalt für den Augenblick sich gefügt. Unmittelbar nachdem er die Festlichkeiten abgesagt hatte, war er nach Campanien abgegangen und hatte den Ober- befehl seiner Armee übernommen. Den unbewaffneten Consul durch die Knittelmänner oder die wehrlose Hauptstadt durch die Schwerter der Legionen zu terrorisiren lief am Ende auf dasselbe hinaus; Sulpicius erwartete, daſs der Gegner, jetzt wo er es konnte, Gewalt mit Gewalt vergelten und an der Spitze seiner Legionen nach der Hauptstadt zurückkehren werde, um den con- servativen Demagogen mitsammt seinen Gesetzen über den Hau- fen zu werfen. Vielleicht irrte er sich. Sulla beschäftigte sich damit die Belagerung von Nola und die Anstalten zur Einschif- fung nach Asien zu betreiben; er wünschte den Krieg gegen Mi- thradates ebenso sehr, wie ihm grauen mochte vor dem haupt- städtischen politischen Brodel, und bei seinem originellen Indif- ferentismus und seiner unübertroffenen politischen Nonchalance hat es groſse Wahrscheinlichkeit, daſs er den Staatsstreich, den Sulpicius erwartete, keineswegs beabsichtigte. Indeſs wie dem auch sein mag, Sulpicius entwarf, um diesen vermutheten Streich zu pariren, den Plan Sulla den Oberbefehl abzunehmen und lieſs zu diesem Ende mit Marius sich ein, dessen Name noch immer hinreichend populär war um einen Antrag den Oberbefehl im asiatischen Kriege auf ihn zu übertragen der Menge plausibel er- scheinen zu lassen und dessen militärische Stellung und Capaci- tät für den Fall eines Bruches mit Sulla eine wichtige Stütze werden konnte. Die Gefahr, die darin lag den alten ebenso un- fähigen als rach- und ehrsüchtigen Mann an die Spitze der cam- panischen Armee zu stellen, mochte Sulpicius nicht übersehen 16*
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SULPICISCHE REVOLUTION.
ward — Sulla soll sogar nur dadurch gerettet worden sein, daſs
Marius ihm sein Haus öffnete. Man muſste nachgeben; Sulla
verstand sich dazu die angekündigten Festlichkeiten abzusagen
und die sulpicischen Anträge gingen nun ohne Weiteres durch.
Allein es war damit ihr Schicksal noch keineswegs gesichert.
Mochte auch in der Hauptstadt sich die Aristokratie geschlagen
geben, so gab es jetzt — zum ersten Mal seit dem Beginn der
Revolution — noch eine andere Macht in Italien, die nicht über-
sehen werden durfte: die beiden starken und siegreichen Armeen
des Proconsuls Strabo und des Consuls Sulla. War auch Stra-
bos politische Stellung zweideutig und derselbe, namentlich
seit seine Hoffnung für 666 wieder zum Consul gewählt zu wer-
den getäuscht worden war, mit der Aristokratie gespannt, so
stand dagegen Sulla mit der Senatsmajorität im besten Einver-
nehmen, und hatte nur der offenbaren Gewalt für den Augenblick
sich gefügt. Unmittelbar nachdem er die Festlichkeiten abgesagt
hatte, war er nach Campanien abgegangen und hatte den Ober-
befehl seiner Armee übernommen. Den unbewaffneten Consul
durch die Knittelmänner oder die wehrlose Hauptstadt durch die
Schwerter der Legionen zu terrorisiren lief am Ende auf dasselbe
hinaus; Sulpicius erwartete, daſs der Gegner, jetzt wo er es
konnte, Gewalt mit Gewalt vergelten und an der Spitze seiner
Legionen nach der Hauptstadt zurückkehren werde, um den con-
servativen Demagogen mitsammt seinen Gesetzen über den Hau-
fen zu werfen. Vielleicht irrte er sich. Sulla beschäftigte sich
damit die Belagerung von Nola und die Anstalten zur Einschif-
fung nach Asien zu betreiben; er wünschte den Krieg gegen Mi-
thradates ebenso sehr, wie ihm grauen mochte vor dem haupt-
städtischen politischen Brodel, und bei seinem originellen Indif-
ferentismus und seiner unübertroffenen politischen Nonchalance
hat es groſse Wahrscheinlichkeit, daſs er den Staatsstreich, den
Sulpicius erwartete, keineswegs beabsichtigte. Indeſs wie dem
auch sein mag, Sulpicius entwarf, um diesen vermutheten Streich
zu pariren, den Plan Sulla den Oberbefehl abzunehmen und lieſs
zu diesem Ende mit Marius sich ein, dessen Name noch immer
hinreichend populär war um einen Antrag den Oberbefehl im
asiatischen Kriege auf ihn zu übertragen der Menge plausibel er-
scheinen zu lassen und dessen militärische Stellung und Capaci-
tät für den Fall eines Bruches mit Sulla eine wichtige Stütze
werden konnte. Die Gefahr, die darin lag den alten ebenso un-
fähigen als rach- und ehrsüchtigen Mann an die Spitze der cam-
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