Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.VIERTES BUCH. KAPITEL VII. und ebenso wenig die arge Abnormität, einem Privatmann einausserordentliches Obercommando durch Volksschluss zu über- tragen; aber eben Marius erprobte staatsmännische Incapacität gab eine Art Garantie dafür, dass er die Verfassung nicht ernst- lich würde gefährden können, und vor allem war Sulpicius eigene Lage, wenn er Sullas Absichten richtig beurtheilte, eine so be- drohte, dass dergleichen Rücksichten kaum mehr in Betracht ka- men. Dass der abgestandene Held selbst bereitwillig jedem ent- gegenkam, der ihn als Condottier gebrauchen wollte, versteht sich von selbst; nach dem Oberbefehl nun gar in einem asiati- schen Krieg gelüstete sein Herz seit vielen Jahren und nicht weniger vielleicht danach einmal gründlich abzurechnen mit der Senatsmajorität. Demnach erhielt auf Antrag des Sulpicius durch Beschluss des Volkes Gaius Marius mit ausserordentlicher höchster oder sogenannter proconsularischer Gewalt das Com- mando der campanischen Armee und den Oberbefehl in dem Krieg gegen Mithradates und es wurden, um das Heer von Sulla zu übernehmen, zwei Volkstribunen in das Lager von Nola ab- gesandt. Die Botschaft kam an den unrechten Mann. Wenn irgend je- VIERTES BUCH. KAPITEL VII. und ebenso wenig die arge Abnormität, einem Privatmann einauſserordentliches Obercommando durch Volksschluſs zu über- tragen; aber eben Marius erprobte staatsmännische Incapacität gab eine Art Garantie dafür, daſs er die Verfassung nicht ernst- lich würde gefährden können, und vor allem war Sulpicius eigene Lage, wenn er Sullas Absichten richtig beurtheilte, eine so be- drohte, daſs dergleichen Rücksichten kaum mehr in Betracht ka- men. Daſs der abgestandene Held selbst bereitwillig jedem ent- gegenkam, der ihn als Condottier gebrauchen wollte, versteht sich von selbst; nach dem Oberbefehl nun gar in einem asiati- schen Krieg gelüstete sein Herz seit vielen Jahren und nicht weniger vielleicht danach einmal gründlich abzurechnen mit der Senatsmajorität. Demnach erhielt auf Antrag des Sulpicius durch Beschluſs des Volkes Gaius Marius mit auſserordentlicher höchster oder sogenannter proconsularischer Gewalt das Com- mando der campanischen Armee und den Oberbefehl in dem Krieg gegen Mithradates und es wurden, um das Heer von Sulla zu übernehmen, zwei Volkstribunen in das Lager von Nola ab- gesandt. Die Botschaft kam an den unrechten Mann. Wenn irgend je- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0254" n="244"/><fw place="top" type="header">VIERTES BUCH. KAPITEL VII.</fw><lb/> und ebenso wenig die arge Abnormität, einem Privatmann ein<lb/> auſserordentliches Obercommando durch Volksschluſs zu über-<lb/> tragen; aber eben Marius erprobte staatsmännische Incapacität<lb/> gab eine Art Garantie dafür, daſs er die Verfassung nicht ernst-<lb/> lich würde gefährden können, und vor allem war Sulpicius eigene<lb/> Lage, wenn er Sullas Absichten richtig beurtheilte, eine so be-<lb/> drohte, daſs dergleichen Rücksichten kaum mehr in Betracht ka-<lb/> men. Daſs der abgestandene Held selbst bereitwillig jedem ent-<lb/> gegenkam, der ihn als Condottier gebrauchen wollte, versteht<lb/> sich von selbst; nach dem Oberbefehl nun gar in einem asiati-<lb/> schen Krieg gelüstete sein Herz seit vielen Jahren und nicht<lb/> weniger vielleicht danach einmal gründlich abzurechnen mit der<lb/> Senatsmajorität. 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Sein Heer war, theils<lb/> durch die Folgen der von Marius herrührenden Umgestaltungen des<lb/> Heerwesens, theils durch die von Sulla gehandhabte sittlich lockere<lb/> und militärisch strenge Disciplin, wenig mehr als eine ihrem Füh-<lb/> rer unbedingt ergebene und in politischen Dingen indifferente<lb/> Lanzknechtschaar. Sulla selbst war ein blasirter, kalter und klarer<lb/> Kopf, dem die souveräne römische Bürgerschaft ein Pöbelhaufen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [244/0254]
VIERTES BUCH. KAPITEL VII.
und ebenso wenig die arge Abnormität, einem Privatmann ein
auſserordentliches Obercommando durch Volksschluſs zu über-
tragen; aber eben Marius erprobte staatsmännische Incapacität
gab eine Art Garantie dafür, daſs er die Verfassung nicht ernst-
lich würde gefährden können, und vor allem war Sulpicius eigene
Lage, wenn er Sullas Absichten richtig beurtheilte, eine so be-
drohte, daſs dergleichen Rücksichten kaum mehr in Betracht ka-
men. Daſs der abgestandene Held selbst bereitwillig jedem ent-
gegenkam, der ihn als Condottier gebrauchen wollte, versteht
sich von selbst; nach dem Oberbefehl nun gar in einem asiati-
schen Krieg gelüstete sein Herz seit vielen Jahren und nicht
weniger vielleicht danach einmal gründlich abzurechnen mit der
Senatsmajorität. Demnach erhielt auf Antrag des Sulpicius
durch Beschluſs des Volkes Gaius Marius mit auſserordentlicher
höchster oder sogenannter proconsularischer Gewalt das Com-
mando der campanischen Armee und den Oberbefehl in dem
Krieg gegen Mithradates und es wurden, um das Heer von Sulla
zu übernehmen, zwei Volkstribunen in das Lager von Nola ab-
gesandt.
Die Botschaft kam an den unrechten Mann. Wenn irgend je-
mand berufen war den Oberbefehl im asiatischen Kriege zu führen,
so war es Sulla. Er hatte wenige Jahre zuvor mit dem gröſsten Er-
folge auf demselben Kriegsschauplatz commandirt; er hatte mehr
als irgend ein anderer Mann beigetragen zur Ueberwältigung der
gefährlichen italischen Insurrection; ihm als Consul des Jahres, in
welchem der asiatische Krieg zum Ausbruch kam, war in der her-
gebrachten Weise und mit voller Zustimmung seines ihm befreun-
deten und verschwägerten Collegen das Commando in demselben
übertragen worden. Es war ein starkes Ansinnen einen unter sol-
chen Verhältnissen übernommenen Oberbefehl nach Beschluss der
souveränen Bürgerschaft von Rom abzugeben an einen alten mili-
tärischen und politischen Antagonisten, in dessen Händen die
Armee, Niemand mochte sagen zu welchen Gewaltsamkeiten und
Verkehrtheiten miſsbraucht werden konnte. Sulla war weder gut-
müthig genug um freiwillig einem solchen Befehl Folge zu leisten,
noch abhängig genug um es zu müssen. Sein Heer war, theils
durch die Folgen der von Marius herrührenden Umgestaltungen des
Heerwesens, theils durch die von Sulla gehandhabte sittlich lockere
und militärisch strenge Disciplin, wenig mehr als eine ihrem Füh-
rer unbedingt ergebene und in politischen Dingen indifferente
Lanzknechtschaar. Sulla selbst war ein blasirter, kalter und klarer
Kopf, dem die souveräne römische Bürgerschaft ein Pöbelhaufen
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