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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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lichen und nördlichen Gestaden des schwarzen Meeres, auf deren
damalige Zustände hier einen Blick zu werfen nicht unterlassen
werden darf, so schwierig oder vielmehr unmöglich es ist ein
wirklich anschauliches Bild davon zu geben. An dem östlichen
Ufer des schwarzen Meeres, das bisher fast unbekannt erst durch
Mithradates der allgemeineren Kunde aufgeschlossen ward, wurde
die kolchische Landschaft am Phasis (Mingrelien und Imereti)
mit der wichtigen Handelsstadt Dioskurias den einheimischen
Fürsten entrissen und verwandelt in eine pontische Satrapie.
Folgenreicher noch waren seine Unternehmungen in den nörd-
lichen Landschaften*. Die weiten hügel- und waldlosen Steppen,
die sich nördlich vom schwarzen Meer, vom Kaukasus und von
der kaspischen See hinziehen, sind ihrer Naturbeschaffenheit zu-
folge, namentlich wegen der zwischen dem Klima von Stock-
holm und dem von Madeira schwankenden Temperaturdifferenz
und der nicht selten eintretenden und bis zu 22 Monaten und län-
ger anhaltenden absoluten Regen- und Schneelosigkeit, für den
Ackerbau und überhaupt für feste Ansiedlung wenig geeignet,
und waren dies immer, wenn gleich vor zweitausend Jahren die
klimatischen Verhältnisse etwas weniger ungünstig standen als
dies heutzutage der Fall ist**. Die verschiedenen Stämme, die der
Wandertrieb in diese Gegenden geführt hatte, fügten sich diesem
Gebot der Natur und führten und führen zum Theil noch jetzt
ein wanderndes Hirtenleben, indem sie mit ihren Rinder- oder
häufiger noch mit ihren Rossheerden Wohn- und Weideplatz
wechselten und ihr Geräth auf Wagenhäusern sich nachführten.
Auch die Bewaffnung und Kampfweise richtete sich hiernach; die
Bewohner dieser Steppen fochten grossentheils beritten und
immer aufgelöst, mit Helm und Panzer von Leder und leder-
überzogenem Schild gerüstet, gewaffnet mit Schwert, Lanze und
Bogen -- die Vorfahren der heutigen Kosaken. Den ursprüng-
lich hier ansässigen Skythen, die mongolischer Race und in Sitte

* Sie sind hier zusammengefasst, da sie freilich zum Theil erst zwi-
schen den ersten und den zweiten Krieg mit Rom, zum Theil aber doch
schon vor den ersten Krieg mit Rom fallen (Memn. 30; Justin 38, 7 a. E.;
App. Mithr. 13; Eutrop. 5, 5) und eine Erzählung nach der Zeitfolge sich
hier nun einmal schlechterdings nicht durchführen lässt.
** Es hat viele Wahrscheinlichkeit, dass die ungemeine Trockenheit,
die vornämlich jetzt den Ackerbau in der Krim und in diesen Gegenden
überhaupt erschwert, sehr gesteigert worden ist durch das Schwinden der
Wälder des mittleren und südlichen Russland, die ehemals bis zu einem ge-
wissen Grad die Küstenlandschaft gegen den austrocknenden Nordostwind
schützten.

VIERTES BUCH. KAPITEL VIII.
lichen und nördlichen Gestaden des schwarzen Meeres, auf deren
damalige Zustände hier einen Blick zu werfen nicht unterlassen
werden darf, so schwierig oder vielmehr unmöglich es ist ein
wirklich anschauliches Bild davon zu geben. An dem östlichen
Ufer des schwarzen Meeres, das bisher fast unbekannt erst durch
Mithradates der allgemeineren Kunde aufgeschlossen ward, wurde
die kolchische Landschaft am Phasis (Mingrelien und Imereti)
mit der wichtigen Handelsstadt Dioskurias den einheimischen
Fürsten entrissen und verwandelt in eine pontische Satrapie.
Folgenreicher noch waren seine Unternehmungen in den nörd-
lichen Landschaften*. Die weiten hügel- und waldlosen Steppen,
die sich nördlich vom schwarzen Meer, vom Kaukasus und von
der kaspischen See hinziehen, sind ihrer Naturbeschaffenheit zu-
folge, namentlich wegen der zwischen dem Klima von Stock-
holm und dem von Madeira schwankenden Temperaturdifferenz
und der nicht selten eintretenden und bis zu 22 Monaten und län-
ger anhaltenden absoluten Regen- und Schneelosigkeit, für den
Ackerbau und überhaupt für feste Ansiedlung wenig geeignet,
und waren dies immer, wenn gleich vor zweitausend Jahren die
klimatischen Verhältnisse etwas weniger ungünstig standen als
dies heutzutage der Fall ist**. Die verschiedenen Stämme, die der
Wandertrieb in diese Gegenden geführt hatte, fügten sich diesem
Gebot der Natur und führten und führen zum Theil noch jetzt
ein wanderndes Hirtenleben, indem sie mit ihren Rinder- oder
häufiger noch mit ihren Roſsheerden Wohn- und Weideplatz
wechselten und ihr Geräth auf Wagenhäusern sich nachführten.
Auch die Bewaffnung und Kampfweise richtete sich hiernach; die
Bewohner dieser Steppen fochten groſsentheils beritten und
immer aufgelöst, mit Helm und Panzer von Leder und leder-
überzogenem Schild gerüstet, gewaffnet mit Schwert, Lanze und
Bogen — die Vorfahren der heutigen Kosaken. Den ursprüng-
lich hier ansäſsigen Skythen, die mongolischer Race und in Sitte

* Sie sind hier zusammengefaſst, da sie freilich zum Theil erst zwi-
schen den ersten und den zweiten Krieg mit Rom, zum Theil aber doch
schon vor den ersten Krieg mit Rom fallen (Memn. 30; Justin 38, 7 a. E.;
App. Mithr. 13; Eutrop. 5, 5) und eine Erzählung nach der Zeitfolge sich
hier nun einmal schlechterdings nicht durchführen läſst.
** Es hat viele Wahrscheinlichkeit, daſs die ungemeine Trockenheit,
die vornämlich jetzt den Ackerbau in der Krim und in diesen Gegenden
überhaupt erschwert, sehr gesteigert worden ist durch das Schwinden der
Wälder des mittleren und südlichen Ruſsland, die ehemals bis zu einem ge-
wissen Grad die Küstenlandschaft gegen den austrocknenden Nordostwind
schützten.
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[260/0270] VIERTES BUCH. KAPITEL VIII. lichen und nördlichen Gestaden des schwarzen Meeres, auf deren damalige Zustände hier einen Blick zu werfen nicht unterlassen werden darf, so schwierig oder vielmehr unmöglich es ist ein wirklich anschauliches Bild davon zu geben. An dem östlichen Ufer des schwarzen Meeres, das bisher fast unbekannt erst durch Mithradates der allgemeineren Kunde aufgeschlossen ward, wurde die kolchische Landschaft am Phasis (Mingrelien und Imereti) mit der wichtigen Handelsstadt Dioskurias den einheimischen Fürsten entrissen und verwandelt in eine pontische Satrapie. Folgenreicher noch waren seine Unternehmungen in den nörd- lichen Landschaften *. Die weiten hügel- und waldlosen Steppen, die sich nördlich vom schwarzen Meer, vom Kaukasus und von der kaspischen See hinziehen, sind ihrer Naturbeschaffenheit zu- folge, namentlich wegen der zwischen dem Klima von Stock- holm und dem von Madeira schwankenden Temperaturdifferenz und der nicht selten eintretenden und bis zu 22 Monaten und län- ger anhaltenden absoluten Regen- und Schneelosigkeit, für den Ackerbau und überhaupt für feste Ansiedlung wenig geeignet, und waren dies immer, wenn gleich vor zweitausend Jahren die klimatischen Verhältnisse etwas weniger ungünstig standen als dies heutzutage der Fall ist **. Die verschiedenen Stämme, die der Wandertrieb in diese Gegenden geführt hatte, fügten sich diesem Gebot der Natur und führten und führen zum Theil noch jetzt ein wanderndes Hirtenleben, indem sie mit ihren Rinder- oder häufiger noch mit ihren Roſsheerden Wohn- und Weideplatz wechselten und ihr Geräth auf Wagenhäusern sich nachführten. Auch die Bewaffnung und Kampfweise richtete sich hiernach; die Bewohner dieser Steppen fochten groſsentheils beritten und immer aufgelöst, mit Helm und Panzer von Leder und leder- überzogenem Schild gerüstet, gewaffnet mit Schwert, Lanze und Bogen — die Vorfahren der heutigen Kosaken. Den ursprüng- lich hier ansäſsigen Skythen, die mongolischer Race und in Sitte * Sie sind hier zusammengefaſst, da sie freilich zum Theil erst zwi- schen den ersten und den zweiten Krieg mit Rom, zum Theil aber doch schon vor den ersten Krieg mit Rom fallen (Memn. 30; Justin 38, 7 a. E.; App. Mithr. 13; Eutrop. 5, 5) und eine Erzählung nach der Zeitfolge sich hier nun einmal schlechterdings nicht durchführen läſst. ** Es hat viele Wahrscheinlichkeit, daſs die ungemeine Trockenheit, die vornämlich jetzt den Ackerbau in der Krim und in diesen Gegenden überhaupt erschwert, sehr gesteigert worden ist durch das Schwinden der Wälder des mittleren und südlichen Ruſsland, die ehemals bis zu einem ge- wissen Grad die Küstenlandschaft gegen den austrocknenden Nordostwind schützten.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/270>, abgerufen am 21.11.2024.