Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.DER OSTEN UND KÖNIG MITHRADATES. Kunde von dem gährenden Zustande der Hauptstadt und von derzwar überwundenen, aber doch noch lange nicht unterdrückten italischen Insurrection. Unmittelbare Beziehungen indess mit den Unzufriedenen und Insurgenten in Italien bestanden nicht; nur wurde ein römisch bewaffnetes und organisirtes Fremden- corps gebildet, dessen Kern römische und italische Flüchtlinge waren. Streitkräfte gleich denen Mithradats waren seit den Per- serkriegen in Asien nicht gesehen worden. Die Angaben, dass er, das armenische Hülfsheer ungerechnet, mit 250000 Mann zu Fuss und 40000 Reitern das Feld nahm, dass 300 pontische Deck- und 100 offene Schiffe in See stachen, scheinen nicht allzu über- trieben bei einem Kriegsherrn, der über die zahllosen Steppen- bewohner verfügte. Die Feldherrn, namentlich die Brüder Neo- ptolemos und Archelaos, waren erfahrene und umsichtige grie- chische Hauptleute; auch unter den Soldaten des Königs fehlte es nicht an tapfern todverachtenden Männern und die gold- und silberblinkenden Rüstungen und reichen Gewänder der Skythen und Meder mischten sich lustig mit dem Erz und Stahl der grie- chischen Reisigen. Aber kein einheitlicher militärischer Orga- nismus hielt diese buntscheckigen Haufen zusammen und es war auch die Armee des Mithradates nichts als eine jener unge- heuerlichen asiatischen Kriegsmaschinen, wie sie bei Issos und zuletzt, genau ein Jahrhundert vor ihm, bei Magnesia einer hö- heren militärischen Organisation unterlegen waren. Immer aber stand der Osten gegen die Römer in Waffen und es war dies um so bedenklicher, als auch in der westlichen Hälfte des Reichs es keineswegs friedlich aussah. So sehr es für Rom eine politische Nothwendigkeit war an Mithradates den Krieg zu erklären, so war doch gerade dieser Augenblick so übel gewählt wie möglich, und auch aus diesem Grunde ist es sehr wahrscheinlich, dass Manius Aquillius zunächst nur aus egoistischen Rücksichten auf seinen eigenen Vortheil den Bruch zwischen Rom und Mithradates eben jetzt herbeigeführt hatte. Für den Augenblick hatte man in Asien keine anderen Truppen zur Verfügung als die kleine römische Abtheilung unter Lucius Cassius und die vorderasiatischen Mili- zen, und bei der militärischen und finanziellen Klemme, in der man sich in Folge des Insurrectionskrieges befand, konnte eine rö- mische Armee im günstigsten Fall nicht vor dem Sommer 666 in Asien landen. Bis dahin hatte man daselbst einen schweren Stand; indess hoffte man die römische Provinz decken und sich behaup- ten zu können wo man stand: das bithynische Heer unter König Nikomedes in seiner im vorigen Jahr eingenommenen Stellung DER OSTEN UND KÖNIG MITHRADATES. Kunde von dem gährenden Zustande der Hauptstadt und von derzwar überwundenen, aber doch noch lange nicht unterdrückten italischen Insurrection. Unmittelbare Beziehungen indeſs mit den Unzufriedenen und Insurgenten in Italien bestanden nicht; nur wurde ein römisch bewaffnetes und organisirtes Fremden- corps gebildet, dessen Kern römische und italische Flüchtlinge waren. Streitkräfte gleich denen Mithradats waren seit den Per- serkriegen in Asien nicht gesehen worden. Die Angaben, daſs er, das armenische Hülfsheer ungerechnet, mit 250000 Mann zu Fuſs und 40000 Reitern das Feld nahm, daſs 300 pontische Deck- und 100 offene Schiffe in See stachen, scheinen nicht allzu über- trieben bei einem Kriegsherrn, der über die zahllosen Steppen- bewohner verfügte. Die Feldherrn, namentlich die Brüder Neo- ptolemos und Archelaos, waren erfahrene und umsichtige grie- chische Hauptleute; auch unter den Soldaten des Königs fehlte es nicht an tapfern todverachtenden Männern und die gold- und silberblinkenden Rüstungen und reichen Gewänder der Skythen und Meder mischten sich lustig mit dem Erz und Stahl der grie- chischen Reisigen. Aber kein einheitlicher militärischer Orga- nismus hielt diese buntscheckigen Haufen zusammen und es war auch die Armee des Mithradates nichts als eine jener unge- heuerlichen asiatischen Kriegsmaschinen, wie sie bei Issos und zuletzt, genau ein Jahrhundert vor ihm, bei Magnesia einer hö- heren militärischen Organisation unterlegen waren. Immer aber stand der Osten gegen die Römer in Waffen und es war dies um so bedenklicher, als auch in der westlichen Hälfte des Reichs es keineswegs friedlich aussah. So sehr es für Rom eine politische Nothwendigkeit war an Mithradates den Krieg zu erklären, so war doch gerade dieser Augenblick so übel gewählt wie möglich, und auch aus diesem Grunde ist es sehr wahrscheinlich, daſs Manius Aquillius zunächst nur aus egoistischen Rücksichten auf seinen eigenen Vortheil den Bruch zwischen Rom und Mithradates eben jetzt herbeigeführt hatte. Für den Augenblick hatte man in Asien keine anderen Truppen zur Verfügung als die kleine römische Abtheilung unter Lucius Cassius und die vorderasiatischen Mili- zen, und bei der militärischen und finanziellen Klemme, in der man sich in Folge des Insurrectionskrieges befand, konnte eine rö- mische Armee im günstigsten Fall nicht vor dem Sommer 666 in Asien landen. Bis dahin hatte man daselbst einen schweren Stand; indeſs hoffte man die römische Provinz decken und sich behaup- ten zu können wo man stand: das bithynische Heer unter König Nikomedes in seiner im vorigen Jahr eingenommenen Stellung <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0281" n="271"/><fw place="top" type="header">DER OSTEN UND KÖNIG MITHRADATES.</fw><lb/> Kunde von dem gährenden Zustande der Hauptstadt und von der<lb/> zwar überwundenen, aber doch noch lange nicht unterdrückten<lb/> italischen Insurrection. Unmittelbare Beziehungen indeſs mit<lb/> den Unzufriedenen und Insurgenten in Italien bestanden nicht;<lb/> nur wurde ein römisch bewaffnetes und organisirtes Fremden-<lb/> corps gebildet, dessen Kern römische und italische Flüchtlinge<lb/> waren. Streitkräfte gleich denen Mithradats waren seit den Per-<lb/> serkriegen in Asien nicht gesehen worden. Die Angaben, daſs er,<lb/> das armenische Hülfsheer ungerechnet, mit 250000 Mann zu<lb/> Fuſs und 40000 Reitern das Feld nahm, daſs 300 pontische Deck-<lb/> und 100 offene Schiffe in See stachen, scheinen nicht allzu über-<lb/> trieben bei einem Kriegsherrn, der über die zahllosen Steppen-<lb/> bewohner verfügte. Die Feldherrn, namentlich die Brüder Neo-<lb/> ptolemos und Archelaos, waren erfahrene und umsichtige grie-<lb/> chische Hauptleute; auch unter den Soldaten des Königs fehlte<lb/> es nicht an tapfern todverachtenden Männern und die gold- und<lb/> silberblinkenden Rüstungen und reichen Gewänder der Skythen<lb/> und Meder mischten sich lustig mit dem Erz und Stahl der grie-<lb/> chischen Reisigen. Aber kein einheitlicher militärischer Orga-<lb/> nismus hielt diese buntscheckigen Haufen zusammen und es<lb/> war auch die Armee des Mithradates nichts als eine jener unge-<lb/> heuerlichen asiatischen Kriegsmaschinen, wie sie bei Issos und<lb/> zuletzt, genau ein Jahrhundert vor ihm, bei Magnesia einer hö-<lb/> heren militärischen Organisation unterlegen waren. Immer aber<lb/> stand der Osten gegen die Römer in Waffen und es war dies um<lb/> so bedenklicher, als auch in der westlichen Hälfte des Reichs es<lb/> keineswegs friedlich aussah. So sehr es für Rom eine politische<lb/> Nothwendigkeit war an Mithradates den Krieg zu erklären, so war<lb/> doch gerade dieser Augenblick so übel gewählt wie möglich, und<lb/> auch aus diesem Grunde ist es sehr wahrscheinlich, daſs Manius<lb/> Aquillius zunächst nur aus egoistischen Rücksichten auf seinen<lb/> eigenen Vortheil den Bruch zwischen Rom und Mithradates eben<lb/> jetzt herbeigeführt hatte. Für den Augenblick hatte man in Asien<lb/> keine anderen Truppen zur Verfügung als die kleine römische<lb/> Abtheilung unter Lucius Cassius und die vorderasiatischen Mili-<lb/> zen, und bei der militärischen und finanziellen Klemme, in der<lb/> man sich in Folge des Insurrectionskrieges befand, konnte eine rö-<lb/> mische Armee im günstigsten Fall nicht vor dem Sommer 666 in<lb/> Asien landen. Bis dahin hatte man daselbst einen schweren Stand;<lb/> indeſs hoffte man die römische Provinz decken und sich behaup-<lb/> ten zu können wo man stand: das bithynische Heer unter König<lb/> Nikomedes in seiner im vorigen Jahr eingenommenen Stellung<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [271/0281]
DER OSTEN UND KÖNIG MITHRADATES.
Kunde von dem gährenden Zustande der Hauptstadt und von der
zwar überwundenen, aber doch noch lange nicht unterdrückten
italischen Insurrection. Unmittelbare Beziehungen indeſs mit
den Unzufriedenen und Insurgenten in Italien bestanden nicht;
nur wurde ein römisch bewaffnetes und organisirtes Fremden-
corps gebildet, dessen Kern römische und italische Flüchtlinge
waren. Streitkräfte gleich denen Mithradats waren seit den Per-
serkriegen in Asien nicht gesehen worden. Die Angaben, daſs er,
das armenische Hülfsheer ungerechnet, mit 250000 Mann zu
Fuſs und 40000 Reitern das Feld nahm, daſs 300 pontische Deck-
und 100 offene Schiffe in See stachen, scheinen nicht allzu über-
trieben bei einem Kriegsherrn, der über die zahllosen Steppen-
bewohner verfügte. Die Feldherrn, namentlich die Brüder Neo-
ptolemos und Archelaos, waren erfahrene und umsichtige grie-
chische Hauptleute; auch unter den Soldaten des Königs fehlte
es nicht an tapfern todverachtenden Männern und die gold- und
silberblinkenden Rüstungen und reichen Gewänder der Skythen
und Meder mischten sich lustig mit dem Erz und Stahl der grie-
chischen Reisigen. Aber kein einheitlicher militärischer Orga-
nismus hielt diese buntscheckigen Haufen zusammen und es
war auch die Armee des Mithradates nichts als eine jener unge-
heuerlichen asiatischen Kriegsmaschinen, wie sie bei Issos und
zuletzt, genau ein Jahrhundert vor ihm, bei Magnesia einer hö-
heren militärischen Organisation unterlegen waren. Immer aber
stand der Osten gegen die Römer in Waffen und es war dies um
so bedenklicher, als auch in der westlichen Hälfte des Reichs es
keineswegs friedlich aussah. So sehr es für Rom eine politische
Nothwendigkeit war an Mithradates den Krieg zu erklären, so war
doch gerade dieser Augenblick so übel gewählt wie möglich, und
auch aus diesem Grunde ist es sehr wahrscheinlich, daſs Manius
Aquillius zunächst nur aus egoistischen Rücksichten auf seinen
eigenen Vortheil den Bruch zwischen Rom und Mithradates eben
jetzt herbeigeführt hatte. Für den Augenblick hatte man in Asien
keine anderen Truppen zur Verfügung als die kleine römische
Abtheilung unter Lucius Cassius und die vorderasiatischen Mili-
zen, und bei der militärischen und finanziellen Klemme, in der
man sich in Folge des Insurrectionskrieges befand, konnte eine rö-
mische Armee im günstigsten Fall nicht vor dem Sommer 666 in
Asien landen. Bis dahin hatte man daselbst einen schweren Stand;
indeſs hoffte man die römische Provinz decken und sich behaup-
ten zu können wo man stand: das bithynische Heer unter König
Nikomedes in seiner im vorigen Jahr eingenommenen Stellung
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |