Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.DER OSTEN UND KÖNIG MITHRADATES. Angriff überzugehen. Gewandt vermied er es mit überlegenenStreitkräften sich zu messen und errang dennoch nicht unbe- deutende Erfolge. Die knidische Insel und Halbinsel wurden von ihm besetzt, Samos angegriffen, Kolophon und Chios den Fein- den entrissen. Inzwischen war auch Flaccus mit seiner Armee durch Makedonien und Thrakien nach Byzantion und von dort, die Meerenge passirend, nach Kalchedon gelangt (Ende 668). Hier brach gegen den Feldherrn eine Militärinsurrection aus, an- geblich weil er den Soldaten die Beute unterschlug; die Seele derselben war einer der höchsten Offiziere des Heeres Gaius Fla- vius Fimbria, dessen Name in Rom sprichwörtlich geworden war für den rechten Pöbelredner und der, nachdem er mit seinem Oberfeldherrn sich entzweit hatte, das auf dem Markt begonnene Demagogen-Geschäft ins Lager übertrug. Flaccus ward von dem Heer abgesetzt und bald nachher in Nikomedeia unweit Kalche- don getödtet; an seine Stelle trat nach Beschluss der Soldaten Fimbria. Es versteht sich, dass er seinen Leuten alles nachsah; in dem befreundeten Kyzikos zum Beispiel ward der Bürger- schaft befohlen ihre gesammte Habe an die Soldaten bei Todes- strafe auszuliefern und zum warnenden Exempel zwei der ange- sehensten Bürger sogleich vorläufig hingerichtet. Allein militä- risch war der Wechsel des Oberbefehls dennoch ein Gewinn; Fimbria war nicht wie Flaccus ein unfähiger General, sondern energisch und talentvoll. Bei Miletopolis (am Rhyndakos west- lich von Brussa) schlug er den jüngern Mithradates, der als Statthalter der pontischen Satrapie ihm entgegen gezogen war, vollständig in einem nächtlichen Ueberfall und öffnete sich durch diesen Sieg den Weg nach der Hauptstadt sonst der römischen Provinz, jetzt des pontischen Königs Pergamon, von wo er den König vertrieb und ihn zwang sich nach dem wenig entfernten Hafen Pitane zu retten, um von dort zur See zu entkommen. Eben jetzt erschien Lucullus mit seiner Flotte in diesen Gewäs- sern; Fimbria beschwor ihn durch seinen Beistand ihm die Ge- fangennehmung des Königs möglich zu machen. Aber der Opti- mat war mächtiger in Lucullus als der Patriot; er segelte weiter und der König entkam nach Mytilene. Auch so aber war Mithra- dates Lage bedrängt genug. Am Ende des Jahres 669 war Europa verloren, Kleinasien gegen ihn theils im Aufstand begrif- fen, theils von einem römischen Heer eingenommen. Die römi- sche Flotte unter Lucullus hatte an der Küste der troischen Landschaft durch zwei glückliche Seegefechte am Vorgebirg Lekton und bei der Insel Tenedos ihre Stellung behauptet; sie DER OSTEN UND KÖNIG MITHRADATES. Angriff überzugehen. Gewandt vermied er es mit überlegenenStreitkräften sich zu messen und errang dennoch nicht unbe- deutende Erfolge. Die knidische Insel und Halbinsel wurden von ihm besetzt, Samos angegriffen, Kolophon und Chios den Fein- den entrissen. Inzwischen war auch Flaccus mit seiner Armee durch Makedonien und Thrakien nach Byzantion und von dort, die Meerenge passirend, nach Kalchedon gelangt (Ende 668). Hier brach gegen den Feldherrn eine Militärinsurrection aus, an- geblich weil er den Soldaten die Beute unterschlug; die Seele derselben war einer der höchsten Offiziere des Heeres Gaius Fla- vius Fimbria, dessen Name in Rom sprichwörtlich geworden war für den rechten Pöbelredner und der, nachdem er mit seinem Oberfeldherrn sich entzweit hatte, das auf dem Markt begonnene Demagogen-Geschäft ins Lager übertrug. Flaccus ward von dem Heer abgesetzt und bald nachher in Nikomedeia unweit Kalche- don getödtet; an seine Stelle trat nach Beschluſs der Soldaten Fimbria. Es versteht sich, daſs er seinen Leuten alles nachsah; in dem befreundeten Kyzikos zum Beispiel ward der Bürger- schaft befohlen ihre gesammte Habe an die Soldaten bei Todes- strafe auszuliefern und zum warnenden Exempel zwei der ange- sehensten Bürger sogleich vorläufig hingerichtet. Allein militä- risch war der Wechsel des Oberbefehls dennoch ein Gewinn; Fimbria war nicht wie Flaccus ein unfähiger General, sondern energisch und talentvoll. Bei Miletopolis (am Rhyndakos west- lich von Brussa) schlug er den jüngern Mithradates, der als Statthalter der pontischen Satrapie ihm entgegen gezogen war, vollständig in einem nächtlichen Ueberfall und öffnete sich durch diesen Sieg den Weg nach der Hauptstadt sonst der römischen Provinz, jetzt des pontischen Königs Pergamon, von wo er den König vertrieb und ihn zwang sich nach dem wenig entfernten Hafen Pitane zu retten, um von dort zur See zu entkommen. Eben jetzt erschien Lucullus mit seiner Flotte in diesen Gewäs- sern; Fimbria beschwor ihn durch seinen Beistand ihm die Ge- fangennehmung des Königs möglich zu machen. Aber der Opti- mat war mächtiger in Lucullus als der Patriot; er segelte weiter und der König entkam nach Mytilene. Auch so aber war Mithra- dates Lage bedrängt genug. Am Ende des Jahres 669 war Europa verloren, Kleinasien gegen ihn theils im Aufstand begrif- fen, theils von einem römischen Heer eingenommen. Die römi- sche Flotte unter Lucullus hatte an der Küste der troischen Landschaft durch zwei glückliche Seegefechte am Vorgebirg Lekton und bei der Insel Tenedos ihre Stellung behauptet; sie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0295" n="285"/><fw place="top" type="header">DER OSTEN UND KÖNIG MITHRADATES.</fw><lb/> Angriff überzugehen. Gewandt vermied er es mit überlegenen<lb/> Streitkräften sich zu messen und errang dennoch nicht unbe-<lb/> deutende Erfolge. Die knidische Insel und Halbinsel wurden von<lb/> ihm besetzt, Samos angegriffen, Kolophon und Chios den Fein-<lb/> den entrissen. 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DER OSTEN UND KÖNIG MITHRADATES.
Angriff überzugehen. Gewandt vermied er es mit überlegenen
Streitkräften sich zu messen und errang dennoch nicht unbe-
deutende Erfolge. Die knidische Insel und Halbinsel wurden von
ihm besetzt, Samos angegriffen, Kolophon und Chios den Fein-
den entrissen. Inzwischen war auch Flaccus mit seiner Armee
durch Makedonien und Thrakien nach Byzantion und von dort,
die Meerenge passirend, nach Kalchedon gelangt (Ende 668).
Hier brach gegen den Feldherrn eine Militärinsurrection aus, an-
geblich weil er den Soldaten die Beute unterschlug; die Seele
derselben war einer der höchsten Offiziere des Heeres Gaius Fla-
vius Fimbria, dessen Name in Rom sprichwörtlich geworden war
für den rechten Pöbelredner und der, nachdem er mit seinem
Oberfeldherrn sich entzweit hatte, das auf dem Markt begonnene
Demagogen-Geschäft ins Lager übertrug. Flaccus ward von dem
Heer abgesetzt und bald nachher in Nikomedeia unweit Kalche-
don getödtet; an seine Stelle trat nach Beschluſs der Soldaten
Fimbria. Es versteht sich, daſs er seinen Leuten alles nachsah;
in dem befreundeten Kyzikos zum Beispiel ward der Bürger-
schaft befohlen ihre gesammte Habe an die Soldaten bei Todes-
strafe auszuliefern und zum warnenden Exempel zwei der ange-
sehensten Bürger sogleich vorläufig hingerichtet. Allein militä-
risch war der Wechsel des Oberbefehls dennoch ein Gewinn;
Fimbria war nicht wie Flaccus ein unfähiger General, sondern
energisch und talentvoll. Bei Miletopolis (am Rhyndakos west-
lich von Brussa) schlug er den jüngern Mithradates, der als
Statthalter der pontischen Satrapie ihm entgegen gezogen war,
vollständig in einem nächtlichen Ueberfall und öffnete sich durch
diesen Sieg den Weg nach der Hauptstadt sonst der römischen
Provinz, jetzt des pontischen Königs Pergamon, von wo er den
König vertrieb und ihn zwang sich nach dem wenig entfernten
Hafen Pitane zu retten, um von dort zur See zu entkommen.
Eben jetzt erschien Lucullus mit seiner Flotte in diesen Gewäs-
sern; Fimbria beschwor ihn durch seinen Beistand ihm die Ge-
fangennehmung des Königs möglich zu machen. Aber der Opti-
mat war mächtiger in Lucullus als der Patriot; er segelte weiter
und der König entkam nach Mytilene. Auch so aber war Mithra-
dates Lage bedrängt genug. Am Ende des Jahres 669 war
Europa verloren, Kleinasien gegen ihn theils im Aufstand begrif-
fen, theils von einem römischen Heer eingenommen. Die römi-
sche Flotte unter Lucullus hatte an der Küste der troischen
Landschaft durch zwei glückliche Seegefechte am Vorgebirg
Lekton und bei der Insel Tenedos ihre Stellung behauptet; sie
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