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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL VIII.
Sehr bald war er aufgetreten in seinem wahren Charakter und
hatte eine selbst die Tyrannei der römischen Vögte überbietende
Zwingherrschaft zu üben begonnen, die sogar die geduldigen
Kleinasiaten zu offener Auflehnung trieb. Der Sultan griff dage-
gen wieder zu den gewaltsamsten Mitteln. Seine Verordnungen
verliehen den zugewandten Ortschaften die Selbstständigkeit, den
Insassen das Bürgerrecht, den Schuldnern vollen Schuldenerlass,
den Besitzlosen Aecker, den Sclaven die Freiheit; an 15000 sol-
cher freigelassener Sclaven fochten im Heer des Archelaos. Die
fürchterlichsten Scenen waren die Folge dieser von oben herab
erfolgenden Umwälzung aller bestehenden Ordnung. Die ansehn-
lichsten Kaufstädte, Smyrna, Kolophon, Ephesos, Tralleis, Sar-
deis schlossen den Vögten des Königs die Thore oder brachten
sie um. Dagegen liess der königliche Vogt Diodoros, ein nam-
hafter Philosoph wie Aristion, von anderer Schule, aber gleich
brauchbar zur schlimmsten Herrendienerei, im Auftrag seines
Herrn den gesammten Stadtrath von Adramyttion niedermachen.
Die Chier, die der Hinneigung zu Rom verdächtig schienen, wur-
den zunächst um 2000 Talente (31/2 Mill. Thlr.) gebüsst und da
die Zahlung nicht richtig befunden wurde, in Masse auf Schiffe
gesetzt und gebunden unter Aufsicht ihrer eigenen Sclaven an
die kolchische Küste deportirt, während ihre Insel mit pontischen
Colonisten besetzt ward. Die Häuptlinge der kleinasiatischen
Kelten befahl der König sämmtlich an einem Tage mit ihren Wei-
bern und Kindern umzubringen und ihr Land in eine pontische
Satrapie zu verwandeln. Die meisten dieser Blutbefehle wur-
den auch entweder an Mithradates eigenem Hoflager, oder im
galatischen Lande vollstreckt, allein die wenigen Entronnenen
stellten sich an die Spitze ihrer kräftigen Stämme und schlugen
den Statthalter des Königs, Eumachos, aus ihren Grenzen hinaus.
Es ist begreiflich, dass die Dolche der Mörder den König verfolg-
ten; sechzehnhundert Menschen wurden als in solche Complotte
verwickelt von den königlichen Untersuchungsgerichten zum
Tode verurtheilt. -- Wenn also der König durch dies selbstmör-
derische Wüthen seine zeitigen Unterthanen gegen sich unter die
Waffen rief, so ward er zugleich von den Römern auch in Asien
zu See und zu Lande gedrängt. Lucullus hatte, nachdem der
Versuch die aegyptische Flotte gegen Mithradates vorzuführen
gescheitert war, sein Bemühen sich Kriegsschiffe zu verschaffen
in den syrischen Seestädten mit besserem Erfolg wiederholt, und
seine werdende Flotte in den kyprischen, pamphylischen und
rhodischen Häfen verstärkt, bis er sich stark genug fand zum

VIERTES BUCH. KAPITEL VIII.
Sehr bald war er aufgetreten in seinem wahren Charakter und
hatte eine selbst die Tyrannei der römischen Vögte überbietende
Zwingherrschaft zu üben begonnen, die sogar die geduldigen
Kleinasiaten zu offener Auflehnung trieb. Der Sultan griff dage-
gen wieder zu den gewaltsamsten Mitteln. Seine Verordnungen
verliehen den zugewandten Ortschaften die Selbstständigkeit, den
Insassen das Bürgerrecht, den Schuldnern vollen Schuldenerlaſs,
den Besitzlosen Aecker, den Sclaven die Freiheit; an 15000 sol-
cher freigelassener Sclaven fochten im Heer des Archelaos. Die
fürchterlichsten Scenen waren die Folge dieser von oben herab
erfolgenden Umwälzung aller bestehenden Ordnung. Die ansehn-
lichsten Kaufstädte, Smyrna, Kolophon, Ephesos, Tralleis, Sar-
deis schlossen den Vögten des Königs die Thore oder brachten
sie um. Dagegen lieſs der königliche Vogt Diodoros, ein nam-
hafter Philosoph wie Aristion, von anderer Schule, aber gleich
brauchbar zur schlimmsten Herrendienerei, im Auftrag seines
Herrn den gesammten Stadtrath von Adramyttion niedermachen.
Die Chier, die der Hinneigung zu Rom verdächtig schienen, wur-
den zunächst um 2000 Talente (3½ Mill. Thlr.) gebüſst und da
die Zahlung nicht richtig befunden wurde, in Masse auf Schiffe
gesetzt und gebunden unter Aufsicht ihrer eigenen Sclaven an
die kolchische Küste deportirt, während ihre Insel mit pontischen
Colonisten besetzt ward. Die Häuptlinge der kleinasiatischen
Kelten befahl der König sämmtlich an einem Tage mit ihren Wei-
bern und Kindern umzubringen und ihr Land in eine pontische
Satrapie zu verwandeln. Die meisten dieser Blutbefehle wur-
den auch entweder an Mithradates eigenem Hoflager, oder im
galatischen Lande vollstreckt, allein die wenigen Entronnenen
stellten sich an die Spitze ihrer kräftigen Stämme und schlugen
den Statthalter des Königs, Eumachos, aus ihren Grenzen hinaus.
Es ist begreiflich, daſs die Dolche der Mörder den König verfolg-
ten; sechzehnhundert Menschen wurden als in solche Complotte
verwickelt von den königlichen Untersuchungsgerichten zum
Tode verurtheilt. — Wenn also der König durch dies selbstmör-
derische Wüthen seine zeitigen Unterthanen gegen sich unter die
Waffen rief, so ward er zugleich von den Römern auch in Asien
zu See und zu Lande gedrängt. Lucullus hatte, nachdem der
Versuch die aegyptische Flotte gegen Mithradates vorzuführen
gescheitert war, sein Bemühen sich Kriegsschiffe zu verschaffen
in den syrischen Seestädten mit besserem Erfolg wiederholt, und
seine werdende Flotte in den kyprischen, pamphylischen und
rhodischen Häfen verstärkt, bis er sich stark genug fand zum

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[284/0294] VIERTES BUCH. KAPITEL VIII. Sehr bald war er aufgetreten in seinem wahren Charakter und hatte eine selbst die Tyrannei der römischen Vögte überbietende Zwingherrschaft zu üben begonnen, die sogar die geduldigen Kleinasiaten zu offener Auflehnung trieb. Der Sultan griff dage- gen wieder zu den gewaltsamsten Mitteln. Seine Verordnungen verliehen den zugewandten Ortschaften die Selbstständigkeit, den Insassen das Bürgerrecht, den Schuldnern vollen Schuldenerlaſs, den Besitzlosen Aecker, den Sclaven die Freiheit; an 15000 sol- cher freigelassener Sclaven fochten im Heer des Archelaos. Die fürchterlichsten Scenen waren die Folge dieser von oben herab erfolgenden Umwälzung aller bestehenden Ordnung. Die ansehn- lichsten Kaufstädte, Smyrna, Kolophon, Ephesos, Tralleis, Sar- deis schlossen den Vögten des Königs die Thore oder brachten sie um. Dagegen lieſs der königliche Vogt Diodoros, ein nam- hafter Philosoph wie Aristion, von anderer Schule, aber gleich brauchbar zur schlimmsten Herrendienerei, im Auftrag seines Herrn den gesammten Stadtrath von Adramyttion niedermachen. Die Chier, die der Hinneigung zu Rom verdächtig schienen, wur- den zunächst um 2000 Talente (3½ Mill. Thlr.) gebüſst und da die Zahlung nicht richtig befunden wurde, in Masse auf Schiffe gesetzt und gebunden unter Aufsicht ihrer eigenen Sclaven an die kolchische Küste deportirt, während ihre Insel mit pontischen Colonisten besetzt ward. Die Häuptlinge der kleinasiatischen Kelten befahl der König sämmtlich an einem Tage mit ihren Wei- bern und Kindern umzubringen und ihr Land in eine pontische Satrapie zu verwandeln. Die meisten dieser Blutbefehle wur- den auch entweder an Mithradates eigenem Hoflager, oder im galatischen Lande vollstreckt, allein die wenigen Entronnenen stellten sich an die Spitze ihrer kräftigen Stämme und schlugen den Statthalter des Königs, Eumachos, aus ihren Grenzen hinaus. Es ist begreiflich, daſs die Dolche der Mörder den König verfolg- ten; sechzehnhundert Menschen wurden als in solche Complotte verwickelt von den königlichen Untersuchungsgerichten zum Tode verurtheilt. — Wenn also der König durch dies selbstmör- derische Wüthen seine zeitigen Unterthanen gegen sich unter die Waffen rief, so ward er zugleich von den Römern auch in Asien zu See und zu Lande gedrängt. Lucullus hatte, nachdem der Versuch die aegyptische Flotte gegen Mithradates vorzuführen gescheitert war, sein Bemühen sich Kriegsschiffe zu verschaffen in den syrischen Seestädten mit besserem Erfolg wiederholt, und seine werdende Flotte in den kyprischen, pamphylischen und rhodischen Häfen verstärkt, bis er sich stark genug fand zum

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/294>, abgerufen am 21.11.2024.