Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.DER OSTEN UND KÖNIG MITHRADATES. schon flüsterten die Kreise der Höflinge von Verrath des Arche-laos; peremtorischer Befehl war gegeben mit der neuen Armee sofort eine zweite Schlacht zu liefern und nun unfehlbar die Rö- mer zu vernichten. Der Wille des Herrn geschah, wo nicht im Siegen, doch wenigstens im Schlagen. Abermals in der Kephis- sosebene, bei Orchomenos begegneten sich die Römer und die Asiaten. Die zahlreiche und vortreffliche Reiterei der letzteren warf sich ungestüm auf das römische Fussvolk, das zu schwan- ken und zu weichen begann; die Gefahr ward so dringend, dass Sulla ein Feldzeichen ergriff und mit seinen Adjutanten und Or- donnanzen gegen den Feind vorgehend mit lauter Stimme den Soldaten zurief, wenn man daheim sie frage, wo sie ihren Feld- herrn im Stich gelassen hätten, so möchten sie antworten: bei Orchomenos. Dies wirkte; die Legionen standen wieder und überwältigten die feindlichen Reiter, worauf auch die Infanterie mit leichter Mühe geworfen ward. Am folgenden Tage wurde das Lager der Asiaten umstellt und erstürmt; der weitaus grösste Theil derselben fiel oder kam um in den kopaischen Sümpfen; nur wenige, unter ihnen Archelaos, gelangten nach Euboea. Die boeotischen Gemeinden hatten den abermaligen Abfall von Rom schwer, zum Theil bis zur Vernichtung zu büssen. Am Ende des dritten Kriegsjahrs war das europäische Festland von Fein- den gereinigt und Sulla konnte Winterquartiere in Thessalien be- ziehen, um im Frühjahr 670 * den asiatischen Feldzug zu begin- nen, zu welchem Ende er Befehl gab in den thessalischen Häfen Schiffe zu bauen. Inzwischen hatte auch die Lage der kleinasiatischen Verhält- * Die Chronologie dieser Ereignisse liegt wie alle Einzelheiten über-
haupt in einem Dunkel, das die Forschung höchstens bis zur Dämmerung zu zerstreuen vermag. Dass die Schlacht von Chaeroneia wenn auch nicht an demselben Tage wie die Erstürmung von Athen (Pausan. 1, 20), doch bald nachher, etwa im März 668 stattfand, ist ziemlich sicher; dass die darauf folgende thessalische und die zweite boeotische Campagne nicht bloss den Rest des J. 668, sondern auch das ganze J. 669 ausfüllten, ist an sich wahrscheinlich und wird es noch mehr dadurch, dass Sullas Unter- nehmungen in Asien nicht genügen um mehr als einen Feldzug auszufüllen. Darum ist der Uebergang Sullas nach Asien nicht 669, sondern 670 gesetzt worden. DER OSTEN UND KÖNIG MITHRADATES. schon flüsterten die Kreise der Höflinge von Verrath des Arche-laos; peremtorischer Befehl war gegeben mit der neuen Armee sofort eine zweite Schlacht zu liefern und nun unfehlbar die Rö- mer zu vernichten. Der Wille des Herrn geschah, wo nicht im Siegen, doch wenigstens im Schlagen. Abermals in der Kephis- sosebene, bei Orchomenos begegneten sich die Römer und die Asiaten. Die zahlreiche und vortreffliche Reiterei der letzteren warf sich ungestüm auf das römische Fuſsvolk, das zu schwan- ken und zu weichen begann; die Gefahr ward so dringend, daſs Sulla ein Feldzeichen ergriff und mit seinen Adjutanten und Or- donnanzen gegen den Feind vorgehend mit lauter Stimme den Soldaten zurief, wenn man daheim sie frage, wo sie ihren Feld- herrn im Stich gelassen hätten, so möchten sie antworten: bei Orchomenos. Dies wirkte; die Legionen standen wieder und überwältigten die feindlichen Reiter, worauf auch die Infanterie mit leichter Mühe geworfen ward. Am folgenden Tage wurde das Lager der Asiaten umstellt und erstürmt; der weitaus gröſste Theil derselben fiel oder kam um in den kopaischen Sümpfen; nur wenige, unter ihnen Archelaos, gelangten nach Euboea. Die boeotischen Gemeinden hatten den abermaligen Abfall von Rom schwer, zum Theil bis zur Vernichtung zu büſsen. Am Ende des dritten Kriegsjahrs war das europäische Festland von Fein- den gereinigt und Sulla konnte Winterquartiere in Thessalien be- ziehen, um im Frühjahr 670 * den asiatischen Feldzug zu begin- nen, zu welchem Ende er Befehl gab in den thessalischen Häfen Schiffe zu bauen. Inzwischen hatte auch die Lage der kleinasiatischen Verhält- * Die Chronologie dieser Ereignisse liegt wie alle Einzelheiten über-
haupt in einem Dunkel, das die Forschung höchstens bis zur Dämmerung zu zerstreuen vermag. Daſs die Schlacht von Chaeroneia wenn auch nicht an demselben Tage wie die Erstürmung von Athen (Pausan. 1, 20), doch bald nachher, etwa im März 668 stattfand, ist ziemlich sicher; daſs die darauf folgende thessalische und die zweite boeotische Campagne nicht bloſs den Rest des J. 668, sondern auch das ganze J. 669 ausfüllten, ist an sich wahrscheinlich und wird es noch mehr dadurch, daſs Sullas Unter- nehmungen in Asien nicht genügen um mehr als einen Feldzug auszufüllen. Darum ist der Uebergang Sullas nach Asien nicht 669, sondern 670 gesetzt worden. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0293" n="283"/><fw place="top" type="header">DER OSTEN UND KÖNIG MITHRADATES.</fw><lb/> schon flüsterten die Kreise der Höflinge von Verrath des Arche-<lb/> laos; peremtorischer Befehl war gegeben mit der neuen Armee<lb/> sofort eine zweite Schlacht zu liefern und nun unfehlbar die Rö-<lb/> mer zu vernichten. Der Wille des Herrn geschah, wo nicht im<lb/> Siegen, doch wenigstens im Schlagen. Abermals in der Kephis-<lb/> sosebene, bei Orchomenos begegneten sich die Römer und die<lb/> Asiaten. Die zahlreiche und vortreffliche Reiterei der letzteren<lb/> warf sich ungestüm auf das römische Fuſsvolk, das zu schwan-<lb/> ken und zu weichen begann; die Gefahr ward so dringend, daſs<lb/> Sulla ein Feldzeichen ergriff und mit seinen Adjutanten und Or-<lb/> donnanzen gegen den Feind vorgehend mit lauter Stimme den<lb/> Soldaten zurief, wenn man daheim sie frage, wo sie ihren Feld-<lb/> herrn im Stich gelassen hätten, so möchten sie antworten: bei<lb/> Orchomenos. Dies wirkte; die Legionen standen wieder und<lb/> überwältigten die feindlichen Reiter, worauf auch die Infanterie<lb/> mit leichter Mühe geworfen ward. Am folgenden Tage wurde<lb/> das Lager der Asiaten umstellt und erstürmt; der weitaus gröſste<lb/> Theil derselben fiel oder kam um in den kopaischen Sümpfen;<lb/> nur wenige, unter ihnen Archelaos, gelangten nach Euboea. Die<lb/> boeotischen Gemeinden hatten den abermaligen Abfall von Rom<lb/> schwer, zum Theil bis zur Vernichtung zu büſsen. Am Ende<lb/> des dritten Kriegsjahrs war das europäische Festland von Fein-<lb/> den gereinigt und Sulla konnte Winterquartiere in Thessalien be-<lb/> ziehen, um im Frühjahr 670 <note place="foot" n="*">Die Chronologie dieser Ereignisse liegt wie alle Einzelheiten über-<lb/> haupt in einem Dunkel, das die Forschung höchstens bis zur Dämmerung<lb/> zu zerstreuen vermag. Daſs die Schlacht von Chaeroneia wenn auch nicht<lb/> an demselben Tage wie die Erstürmung von Athen (Pausan. 1, 20), doch<lb/> bald nachher, etwa im März 668 stattfand, ist ziemlich sicher; daſs die<lb/> darauf folgende thessalische und die zweite boeotische Campagne nicht<lb/> bloſs den Rest des J. 668, sondern auch das ganze J. 669 ausfüllten, ist<lb/> an sich wahrscheinlich und wird es noch mehr dadurch, daſs Sullas Unter-<lb/> nehmungen in Asien nicht genügen um mehr als einen Feldzug auszufüllen.<lb/> Darum ist der Uebergang Sullas nach Asien nicht 669, sondern 670 gesetzt<lb/> worden.</note> den asiatischen Feldzug zu begin-<lb/> nen, zu welchem Ende er Befehl gab in den thessalischen Häfen<lb/> Schiffe zu bauen.</p><lb/> <p>Inzwischen hatte auch die Lage der kleinasiatischen Verhält-<lb/> nisse sich wesentlich umgestaltet. Wenn König Mithradates einst<lb/> aufgetreten war als der Befreier der Hellenen, wenn er mit För-<lb/> derung der städtischen Unabhängigkeit und mit Steuererlassen<lb/> seine Herrschaft eingeleitet hatte, so war auf diesen kurzen Tau-<lb/> mel nur zu rasch und nur zu bitter die Enttäuschung gefolgt.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [283/0293]
DER OSTEN UND KÖNIG MITHRADATES.
schon flüsterten die Kreise der Höflinge von Verrath des Arche-
laos; peremtorischer Befehl war gegeben mit der neuen Armee
sofort eine zweite Schlacht zu liefern und nun unfehlbar die Rö-
mer zu vernichten. Der Wille des Herrn geschah, wo nicht im
Siegen, doch wenigstens im Schlagen. Abermals in der Kephis-
sosebene, bei Orchomenos begegneten sich die Römer und die
Asiaten. Die zahlreiche und vortreffliche Reiterei der letzteren
warf sich ungestüm auf das römische Fuſsvolk, das zu schwan-
ken und zu weichen begann; die Gefahr ward so dringend, daſs
Sulla ein Feldzeichen ergriff und mit seinen Adjutanten und Or-
donnanzen gegen den Feind vorgehend mit lauter Stimme den
Soldaten zurief, wenn man daheim sie frage, wo sie ihren Feld-
herrn im Stich gelassen hätten, so möchten sie antworten: bei
Orchomenos. Dies wirkte; die Legionen standen wieder und
überwältigten die feindlichen Reiter, worauf auch die Infanterie
mit leichter Mühe geworfen ward. Am folgenden Tage wurde
das Lager der Asiaten umstellt und erstürmt; der weitaus gröſste
Theil derselben fiel oder kam um in den kopaischen Sümpfen;
nur wenige, unter ihnen Archelaos, gelangten nach Euboea. Die
boeotischen Gemeinden hatten den abermaligen Abfall von Rom
schwer, zum Theil bis zur Vernichtung zu büſsen. Am Ende
des dritten Kriegsjahrs war das europäische Festland von Fein-
den gereinigt und Sulla konnte Winterquartiere in Thessalien be-
ziehen, um im Frühjahr 670 * den asiatischen Feldzug zu begin-
nen, zu welchem Ende er Befehl gab in den thessalischen Häfen
Schiffe zu bauen.
Inzwischen hatte auch die Lage der kleinasiatischen Verhält-
nisse sich wesentlich umgestaltet. Wenn König Mithradates einst
aufgetreten war als der Befreier der Hellenen, wenn er mit För-
derung der städtischen Unabhängigkeit und mit Steuererlassen
seine Herrschaft eingeleitet hatte, so war auf diesen kurzen Tau-
mel nur zu rasch und nur zu bitter die Enttäuschung gefolgt.
* Die Chronologie dieser Ereignisse liegt wie alle Einzelheiten über-
haupt in einem Dunkel, das die Forschung höchstens bis zur Dämmerung
zu zerstreuen vermag. Daſs die Schlacht von Chaeroneia wenn auch nicht
an demselben Tage wie die Erstürmung von Athen (Pausan. 1, 20), doch
bald nachher, etwa im März 668 stattfand, ist ziemlich sicher; daſs die
darauf folgende thessalische und die zweite boeotische Campagne nicht
bloſs den Rest des J. 668, sondern auch das ganze J. 669 ausfüllten, ist
an sich wahrscheinlich und wird es noch mehr dadurch, daſs Sullas Unter-
nehmungen in Asien nicht genügen um mehr als einen Feldzug auszufüllen.
Darum ist der Uebergang Sullas nach Asien nicht 669, sondern 670 gesetzt
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