Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.VIERTES BUCH. KAPITEL VIII. Römer mit den Asiaten zugleich eindrangen. Nicht den zwölftenMann soll Archelaos nach Chalkis gerettet haben. Sulla folgte ihm bis an den Euripos; den schmalen Meeresarm zu über- schreiten war er nicht im Stande. -- Es war ein grosser Sieg, aber die Resultate waren geringfügig, theils wegen des Mangels einer Flotte, theils weil der römische Sieger sich genöthigt sah statt die Besiegten zu verfolgen zunächst vor seinen Landsleuten sich zu schützen. Lucius Flaccus war inzwischen in der That mit zwei Legionen in Epeiros gelandet, nicht ohne unterwegs durch Stürme und durch die jetzt auch im adriatischen Meer kreuzenden feindlichen Kriegsschiffe starken Verlust erlitten zu haben; bereits standen seine Truppen in Thessalien; dorthin zu- nächst musste Sulla sich wenden. Bei Melitaea am nördlichen Abhang des Othrysgebirges lagerten beide römische Heere sich gegenüber; ein Zusammenstoss schien unvermeidlich. Indess Flaccus, nachdem er Gelegenheit gehabt hatte sich zu überzeu- gen, dass Sullas Soldaten keineswegs geneigt waren ihren sieg- reichen Führer an den gänzlich unbekannten demokratischen Oberfeldherrn zu verrathen, dass vielmehr seine eigene Vorhut anfing in das sullanische Lager zu desertiren, wich dem Kampfe aus, dem er in keiner Hinsicht gewachsen war, und brach gen Norden auf, um durch Makedonien und Thrakien nach Asien zu gelangen und dort durch Ueberwältigung Mithradats sich den Weg zu weiteren Erfolgen zu bahnen. Dass Sulla den schwäche- ren Gegner ungehindert abziehen liess, ist militärisch betrachtet auffallend; vielleicht darf man annehmen, dass auch hier politi- sche Beweggründe ihn leiteten und er gemässigt und patriotisch genug war einen Sieg über die Landsleute wenigstens so lange, als man noch mit den Asiaten zu thun hatte, gern zu vermeiden und die erträglichste Lösung der leidigen Verwickelung darin zu finden, dass die Revolutionsarmee in Asien, die der Oligarchie in Europa mit dem gemeinschaftlichen Feinde stritt. -- Inzwischen gab es auch hier wieder für diese neue Arbeit. Mithradates, der in Kleinasien seine Rüstungen unermüdlich fortsetzte, hatte eine nicht viel geringere Armee, als die bei Chaeroneia aufgeriebene gewesen, unter Dorylaos nach Euboea gesandt; von dort war die- selbe in Verbindung mit den Ueberbleibseln der Armee des Ar- chelaos, während Sulla in Thessalien beschäftigt war, über den Euripos nach Boeotien gegangen. Der pontische König, der in den Siegen über die bithynische und kappadokische Miliz den Massstab fand für die Leistungsfähigkeit seiner Armee, begriff die ungünstige Wendung nicht, die die Dinge in Europa nahmen; VIERTES BUCH. KAPITEL VIII. Römer mit den Asiaten zugleich eindrangen. Nicht den zwölftenMann soll Archelaos nach Chalkis gerettet haben. Sulla folgte ihm bis an den Euripos; den schmalen Meeresarm zu über- schreiten war er nicht im Stande. — Es war ein groſser Sieg, aber die Resultate waren geringfügig, theils wegen des Mangels einer Flotte, theils weil der römische Sieger sich genöthigt sah statt die Besiegten zu verfolgen zunächst vor seinen Landsleuten sich zu schützen. Lucius Flaccus war inzwischen in der That mit zwei Legionen in Epeiros gelandet, nicht ohne unterwegs durch Stürme und durch die jetzt auch im adriatischen Meer kreuzenden feindlichen Kriegsschiffe starken Verlust erlitten zu haben; bereits standen seine Truppen in Thessalien; dorthin zu- nächst muſste Sulla sich wenden. Bei Melitaea am nördlichen Abhang des Othrysgebirges lagerten beide römische Heere sich gegenüber; ein Zusammenstoſs schien unvermeidlich. Indeſs Flaccus, nachdem er Gelegenheit gehabt hatte sich zu überzeu- gen, daſs Sullas Soldaten keineswegs geneigt waren ihren sieg- reichen Führer an den gänzlich unbekannten demokratischen Oberfeldherrn zu verrathen, daſs vielmehr seine eigene Vorhut anfing in das sullanische Lager zu desertiren, wich dem Kampfe aus, dem er in keiner Hinsicht gewachsen war, und brach gen Norden auf, um durch Makedonien und Thrakien nach Asien zu gelangen und dort durch Ueberwältigung Mithradats sich den Weg zu weiteren Erfolgen zu bahnen. Daſs Sulla den schwäche- ren Gegner ungehindert abziehen lieſs, ist militärisch betrachtet auffallend; vielleicht darf man annehmen, daſs auch hier politi- sche Beweggründe ihn leiteten und er gemäſsigt und patriotisch genug war einen Sieg über die Landsleute wenigstens so lange, als man noch mit den Asiaten zu thun hatte, gern zu vermeiden und die erträglichste Lösung der leidigen Verwickelung darin zu finden, daſs die Revolutionsarmee in Asien, die der Oligarchie in Europa mit dem gemeinschaftlichen Feinde stritt. — Inzwischen gab es auch hier wieder für diese neue Arbeit. Mithradates, der in Kleinasien seine Rüstungen unermüdlich fortsetzte, hatte eine nicht viel geringere Armee, als die bei Chaeroneia aufgeriebene gewesen, unter Dorylaos nach Euboea gesandt; von dort war die- selbe in Verbindung mit den Ueberbleibseln der Armee des Ar- chelaos, während Sulla in Thessalien beschäftigt war, über den Euripos nach Boeotien gegangen. Der pontische König, der in den Siegen über die bithynische und kappadokische Miliz den Maſsstab fand für die Leistungsfähigkeit seiner Armee, begriff die ungünstige Wendung nicht, die die Dinge in Europa nahmen; <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0292" n="282"/><fw place="top" type="header">VIERTES BUCH. KAPITEL VIII.</fw><lb/> Römer mit den Asiaten zugleich eindrangen. Nicht den zwölften<lb/> Mann soll Archelaos nach Chalkis gerettet haben. Sulla folgte<lb/> ihm bis an den Euripos; den schmalen Meeresarm zu über-<lb/> schreiten war er nicht im Stande. — Es war ein groſser Sieg,<lb/> aber die Resultate waren geringfügig, theils wegen des Mangels<lb/> einer Flotte, theils weil der römische Sieger sich genöthigt sah<lb/> statt die Besiegten zu verfolgen zunächst vor seinen Landsleuten<lb/> sich zu schützen. 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VIERTES BUCH. KAPITEL VIII.
Römer mit den Asiaten zugleich eindrangen. Nicht den zwölften
Mann soll Archelaos nach Chalkis gerettet haben. Sulla folgte
ihm bis an den Euripos; den schmalen Meeresarm zu über-
schreiten war er nicht im Stande. — Es war ein groſser Sieg,
aber die Resultate waren geringfügig, theils wegen des Mangels
einer Flotte, theils weil der römische Sieger sich genöthigt sah
statt die Besiegten zu verfolgen zunächst vor seinen Landsleuten
sich zu schützen. Lucius Flaccus war inzwischen in der That
mit zwei Legionen in Epeiros gelandet, nicht ohne unterwegs
durch Stürme und durch die jetzt auch im adriatischen Meer
kreuzenden feindlichen Kriegsschiffe starken Verlust erlitten zu
haben; bereits standen seine Truppen in Thessalien; dorthin zu-
nächst muſste Sulla sich wenden. Bei Melitaea am nördlichen
Abhang des Othrysgebirges lagerten beide römische Heere sich
gegenüber; ein Zusammenstoſs schien unvermeidlich. Indeſs
Flaccus, nachdem er Gelegenheit gehabt hatte sich zu überzeu-
gen, daſs Sullas Soldaten keineswegs geneigt waren ihren sieg-
reichen Führer an den gänzlich unbekannten demokratischen
Oberfeldherrn zu verrathen, daſs vielmehr seine eigene Vorhut
anfing in das sullanische Lager zu desertiren, wich dem Kampfe
aus, dem er in keiner Hinsicht gewachsen war, und brach gen
Norden auf, um durch Makedonien und Thrakien nach Asien zu
gelangen und dort durch Ueberwältigung Mithradats sich den
Weg zu weiteren Erfolgen zu bahnen. Daſs Sulla den schwäche-
ren Gegner ungehindert abziehen lieſs, ist militärisch betrachtet
auffallend; vielleicht darf man annehmen, daſs auch hier politi-
sche Beweggründe ihn leiteten und er gemäſsigt und patriotisch
genug war einen Sieg über die Landsleute wenigstens so lange,
als man noch mit den Asiaten zu thun hatte, gern zu vermeiden
und die erträglichste Lösung der leidigen Verwickelung darin zu
finden, daſs die Revolutionsarmee in Asien, die der Oligarchie in
Europa mit dem gemeinschaftlichen Feinde stritt. — Inzwischen
gab es auch hier wieder für diese neue Arbeit. Mithradates, der
in Kleinasien seine Rüstungen unermüdlich fortsetzte, hatte eine
nicht viel geringere Armee, als die bei Chaeroneia aufgeriebene
gewesen, unter Dorylaos nach Euboea gesandt; von dort war die-
selbe in Verbindung mit den Ueberbleibseln der Armee des Ar-
chelaos, während Sulla in Thessalien beschäftigt war, über den
Euripos nach Boeotien gegangen. Der pontische König, der in
den Siegen über die bithynische und kappadokische Miliz den
Maſsstab fand für die Leistungsfähigkeit seiner Armee, begriff die
ungünstige Wendung nicht, die die Dinge in Europa nahmen;
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