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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL XI.
war es verhältnissmässig überall. -- Wie es um die Ehe und
Kinderzucht stand, zeigen schon die gracchischen Ackergesetze,
die zuerst darauf eine Prämie setzten (S. 81). Die Scheidung,
einst in Rom fast unerhört, war jetzt ein alltägliches Ereig-
niss; wenn bei der ältesten römischen Ehe der Mann die Frau
gekauft hatte, so hätte man den jetzigen vornehmen Römern vor-
schlagen mögen, um zu der Sache auch den Namen zu haben,
eine Ehemiethe einzuführen. Selbst ein Mann wie Metellus Mace-
donicus, der durch seine ehrenwerthe Häuslichkeit und seine
zahlreiche Kinderschaar die Bewunderung seiner Zeitgenossen
war, schärfte als Censor 623 den Bürgern die Pflicht im Ehe-
stande zu leben in der Art ein, dass er denselben bezeichnete als
eine drückende, aber von dem Patrioten pflichtmässig zu über-
nehmende öffentliche Last *. -- Allerdings gab es Ausnahmen.
In den landstädtischen Kreisen, namentlich in denen der grösse-
ren Gutsbesitzer, war die alte ehrenwerthe latinische National-
sitte besser bewahrt geblieben. In der Hauptstadt aber war die
catonische Opposition zur Phrase geworden; der Hellenismus
herrschte souverän und, wenn auch einzelne fest und fein orga-
nisirte Naturen, wie Scipio Aemilianus, römische Sitte mit atti-
scher Bildung zu vereinigen wussten, war doch hei der grossen
Menge der Hellenismus gleichbedeutend mit geistiger und sitt-
licher Verderbniss. Den Rückschlag dieser socialen Uebelstände
auf die politischen Verhältnisse darf man niemals aus den Augen
verlieren, wenn man die römische Revolution verstehen will.
Es war nicht gleichgültig, dass von den beiden vornehmen Män-
nern, die im J. 662 als oberste Sittenmeister der Gemeinde vor-
standen, der eine dem andern öffentlich vorrückte, dass er
einer Muräne, dem Stolz seines Fischteichs, bei ihrem Tode
Thränen nachgeweint habe, und dieser wieder jenem, dass er
drei Frauen begraben und keiner eine Thräne geweint habe.
Es war nicht gleichgültig, dass im J. 593 auf offenem Markt ein
Redner folgende Schilderung eines senatorischen Civilgeschwor-
nen zum Besten geben konnte, den der angesetzte Termin
in dem Kreise seiner Zechbrüder findet. ,Sie spielen Hasard,
,fein parfümirt, die Mätressen um sie herum. Wie der Tag sich

* ,Wenn wir könnten, ihr Bürger -- hiess es in seiner Rede -- wür-
,den wir freilich alle von dieser Last uns befreien. Da aber die Natur es
,so eingerichtet hat, dass weder mit den Frauen sich bequem noch ohne die
,Frauen überhaupt sich leben lässt, so ziemt es sich auf dauernde Wohl-
,fahrt mehr zu sehen als auf kurze Wollust'.

VIERTES BUCH. KAPITEL XI.
war es verhältniſsmäſsig überall. — Wie es um die Ehe und
Kinderzucht stand, zeigen schon die gracchischen Ackergesetze,
die zuerst darauf eine Prämie setzten (S. 81). Die Scheidung,
einst in Rom fast unerhört, war jetzt ein alltägliches Ereig-
niſs; wenn bei der ältesten römischen Ehe der Mann die Frau
gekauft hatte, so hätte man den jetzigen vornehmen Römern vor-
schlagen mögen, um zu der Sache auch den Namen zu haben,
eine Ehemiethe einzuführen. Selbst ein Mann wie Metellus Mace-
donicus, der durch seine ehrenwerthe Häuslichkeit und seine
zahlreiche Kinderschaar die Bewunderung seiner Zeitgenossen
war, schärfte als Censor 623 den Bürgern die Pflicht im Ehe-
stande zu leben in der Art ein, daſs er denselben bezeichnete als
eine drückende, aber von dem Patrioten pflichtmäſsig zu über-
nehmende öffentliche Last *. — Allerdings gab es Ausnahmen.
In den landstädtischen Kreisen, namentlich in denen der gröſse-
ren Gutsbesitzer, war die alte ehrenwerthe latinische National-
sitte besser bewahrt geblieben. In der Hauptstadt aber war die
catonische Opposition zur Phrase geworden; der Hellenismus
herrschte souverän und, wenn auch einzelne fest und fein orga-
nisirte Naturen, wie Scipio Aemilianus, römische Sitte mit atti-
scher Bildung zu vereinigen wuſsten, war doch hei der groſsen
Menge der Hellenismus gleichbedeutend mit geistiger und sitt-
licher Verderbniſs. Den Rückschlag dieser socialen Uebelstände
auf die politischen Verhältnisse darf man niemals aus den Augen
verlieren, wenn man die römische Revolution verstehen will.
Es war nicht gleichgültig, daſs von den beiden vornehmen Män-
nern, die im J. 662 als oberste Sittenmeister der Gemeinde vor-
standen, der eine dem andern öffentlich vorrückte, daſs er
einer Muräne, dem Stolz seines Fischteichs, bei ihrem Tode
Thränen nachgeweint habe, und dieser wieder jenem, daſs er
drei Frauen begraben und keiner eine Thräne geweint habe.
Es war nicht gleichgültig, daſs im J. 593 auf offenem Markt ein
Redner folgende Schilderung eines senatorischen Civilgeschwor-
nen zum Besten geben konnte, den der angesetzte Termin
in dem Kreise seiner Zechbrüder findet. ‚Sie spielen Hasard,
‚fein parfümirt, die Mätressen um sie herum. Wie der Tag sich

* ‚Wenn wir könnten, ihr Bürger — hieſs es in seiner Rede — wür-
‚den wir freilich alle von dieser Last uns befreien. Da aber die Natur es
‚so eingerichtet hat, daſs weder mit den Frauen sich bequem noch ohne die
‚Frauen überhaupt sich leben läſst, so ziemt es sich auf dauernde Wohl-
‚fahrt mehr zu sehen als auf kurze Wollust‘.
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[384/0394] VIERTES BUCH. KAPITEL XI. war es verhältniſsmäſsig überall. — Wie es um die Ehe und Kinderzucht stand, zeigen schon die gracchischen Ackergesetze, die zuerst darauf eine Prämie setzten (S. 81). Die Scheidung, einst in Rom fast unerhört, war jetzt ein alltägliches Ereig- niſs; wenn bei der ältesten römischen Ehe der Mann die Frau gekauft hatte, so hätte man den jetzigen vornehmen Römern vor- schlagen mögen, um zu der Sache auch den Namen zu haben, eine Ehemiethe einzuführen. Selbst ein Mann wie Metellus Mace- donicus, der durch seine ehrenwerthe Häuslichkeit und seine zahlreiche Kinderschaar die Bewunderung seiner Zeitgenossen war, schärfte als Censor 623 den Bürgern die Pflicht im Ehe- stande zu leben in der Art ein, daſs er denselben bezeichnete als eine drückende, aber von dem Patrioten pflichtmäſsig zu über- nehmende öffentliche Last *. — Allerdings gab es Ausnahmen. In den landstädtischen Kreisen, namentlich in denen der gröſse- ren Gutsbesitzer, war die alte ehrenwerthe latinische National- sitte besser bewahrt geblieben. In der Hauptstadt aber war die catonische Opposition zur Phrase geworden; der Hellenismus herrschte souverän und, wenn auch einzelne fest und fein orga- nisirte Naturen, wie Scipio Aemilianus, römische Sitte mit atti- scher Bildung zu vereinigen wuſsten, war doch hei der groſsen Menge der Hellenismus gleichbedeutend mit geistiger und sitt- licher Verderbniſs. Den Rückschlag dieser socialen Uebelstände auf die politischen Verhältnisse darf man niemals aus den Augen verlieren, wenn man die römische Revolution verstehen will. Es war nicht gleichgültig, daſs von den beiden vornehmen Män- nern, die im J. 662 als oberste Sittenmeister der Gemeinde vor- standen, der eine dem andern öffentlich vorrückte, daſs er einer Muräne, dem Stolz seines Fischteichs, bei ihrem Tode Thränen nachgeweint habe, und dieser wieder jenem, daſs er drei Frauen begraben und keiner eine Thräne geweint habe. Es war nicht gleichgültig, daſs im J. 593 auf offenem Markt ein Redner folgende Schilderung eines senatorischen Civilgeschwor- nen zum Besten geben konnte, den der angesetzte Termin in dem Kreise seiner Zechbrüder findet. ‚Sie spielen Hasard, ‚fein parfümirt, die Mätressen um sie herum. Wie der Tag sich * ‚Wenn wir könnten, ihr Bürger — hieſs es in seiner Rede — wür- ‚den wir freilich alle von dieser Last uns befreien. Da aber die Natur es ‚so eingerichtet hat, daſs weder mit den Frauen sich bequem noch ohne die ‚Frauen überhaupt sich leben läſst, so ziemt es sich auf dauernde Wohl- ‚fahrt mehr zu sehen als auf kurze Wollust‘.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/394>, abgerufen am 27.11.2024.