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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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NATIONALITÄT.
römische Gesellschaft, vor allem in den scipionischen Kreis, des-
sen hervorragende griechische Mitglieder, der Geschichtschreiber
Polybios, der Philosoph Panaetios bereits mehr der römischen
als der griechischen Entwickelungeschichte angehören. Aber auch
in anderen minder hoch stehenden Zirkeln begegnen ähnliche
Beziehungen; wir gedenken eines andern Zeitgenossen Scipios,
des Philosophen Kleitomachos, weil in seinem Leben zugleich
die gewaltige Völkermischung dieser Zeit sinnlich vor das Auge
tritt: ein geborner Karthager, sodann in Athen Zuhörer des Kar-
neades und später dessen Nachfolger in seiner Professur, ver-
kehrte er von Athen aus mit den gebildetsten Männern Italiens,
dem Historiker Aulus Albinus und dem Dichter Lucilius und
widmete theils dem römischen Consul, der die Belagerung Kar-
thagos eröffnete, Lucius Censorinus, ein wissenschaftliches Werk,
theils seinen als Sclaven nach Italien geführten Mitbürgern eine
philosophische Trostschrift. Hatten namhafte griechische Litte-
raten bisher wohl vorübergehend als Gesandte, Verbannte oder
sonst wie ihren Aufenthalt in Rom genommen, so fingen sie jetzt
schon an dort sich niederzulassen; wie zum Beispiel der schon
genannte Panaetios in Scipios Hause lebte und der Hexameter-
macher Archias von Antiochia im J. 652 sich in Rom niederliess
und von der Improvisirkunst und von Heldengedichten auf römi-
sche Consulare sich anständig ernährte. Sogar Gaius Marius, der
schwerlich von seinem Carmen eine Zeile verstand und überhaupt
zum Maecen möglichst übel sich schickte, konnte nicht umhin
den Verskünstler zu patronisiren. Während also das geistige und
litterarische Leben wenn nicht die reineren, doch die vornehme-
ren Elemente der beiden Nationen mit einander in Verbindung
brachte, flossen andererseits durch das massenhafte Eindringen
der kleinasiatischen und syrischen Sclavenschaaren und durch
die kaufmännische Einwanderung aus dem griechischen und halb-
griechischen Osten die rohesten und stark mit orientalischen
und überhaupt barbarischen Bestandtheilen versetzten Schichten
des Hellenismus zusammen mit dem italischen Proletariat und
gaben auch diesem eine hellenische Färbung. Die Bemerkung
Ciceros, dass neue Sprache und neue Weise zuerst in den See-
städten aufkommt, dürfte zunächst auf das halbhellenische Wesen
in Ostia, Puteoli und Brundisium sich beziehen, wo mit der
fremden Waare auch die fremde Sitte zuerst Eingang und von
da aus weiteren Vertrieb fand. -- Das unmittelbare Resultat dieser
vollständigen Revolution in den Nationalitätsverhältnissen war
allerdings nichts weniger als erfreulich. Italien wimmelte von

NATIONALITÄT.
römische Gesellschaft, vor allem in den scipionischen Kreis, des-
sen hervorragende griechische Mitglieder, der Geschichtschreiber
Polybios, der Philosoph Panaetios bereits mehr der römischen
als der griechischen Entwickelungeschichte angehören. Aber auch
in anderen minder hoch stehenden Zirkeln begegnen ähnliche
Beziehungen; wir gedenken eines andern Zeitgenossen Scipios,
des Philosophen Kleitomachos, weil in seinem Leben zugleich
die gewaltige Völkermischung dieser Zeit sinnlich vor das Auge
tritt: ein geborner Karthager, sodann in Athen Zuhörer des Kar-
neades und später dessen Nachfolger in seiner Professur, ver-
kehrte er von Athen aus mit den gebildetsten Männern Italiens,
dem Historiker Aulus Albinus und dem Dichter Lucilius und
widmete theils dem römischen Consul, der die Belagerung Kar-
thagos eröffnete, Lucius Censorinus, ein wissenschaftliches Werk,
theils seinen als Sclaven nach Italien geführten Mitbürgern eine
philosophische Trostschrift. Hatten namhafte griechische Litte-
raten bisher wohl vorübergehend als Gesandte, Verbannte oder
sonst wie ihren Aufenthalt in Rom genommen, so fingen sie jetzt
schon an dort sich niederzulassen; wie zum Beispiel der schon
genannte Panaetios in Scipios Hause lebte und der Hexameter-
macher Archias von Antiochia im J. 652 sich in Rom niederlieſs
und von der Improvisirkunst und von Heldengedichten auf römi-
sche Consulare sich anständig ernährte. Sogar Gaius Marius, der
schwerlich von seinem Carmen eine Zeile verstand und überhaupt
zum Maecen möglichst übel sich schickte, konnte nicht umhin
den Verskünstler zu patronisiren. Während also das geistige und
litterarische Leben wenn nicht die reineren, doch die vornehme-
ren Elemente der beiden Nationen mit einander in Verbindung
brachte, flossen andererseits durch das massenhafte Eindringen
der kleinasiatischen und syrischen Sclavenschaaren und durch
die kaufmännische Einwanderung aus dem griechischen und halb-
griechischen Osten die rohesten und stark mit orientalischen
und überhaupt barbarischen Bestandtheilen versetzten Schichten
des Hellenismus zusammen mit dem italischen Proletariat und
gaben auch diesem eine hellenische Färbung. Die Bemerkung
Ciceros, daſs neue Sprache und neue Weise zuerst in den See-
städten aufkommt, dürfte zunächst auf das halbhellenische Wesen
in Ostia, Puteoli und Brundisium sich beziehen, wo mit der
fremden Waare auch die fremde Sitte zuerst Eingang und von
da aus weiteren Vertrieb fand. — Das unmittelbare Resultat dieser
vollständigen Revolution in den Nationalitätsverhältnissen war
allerdings nichts weniger als erfreulich. Italien wimmelte von

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[389/0399] NATIONALITÄT. römische Gesellschaft, vor allem in den scipionischen Kreis, des- sen hervorragende griechische Mitglieder, der Geschichtschreiber Polybios, der Philosoph Panaetios bereits mehr der römischen als der griechischen Entwickelungeschichte angehören. Aber auch in anderen minder hoch stehenden Zirkeln begegnen ähnliche Beziehungen; wir gedenken eines andern Zeitgenossen Scipios, des Philosophen Kleitomachos, weil in seinem Leben zugleich die gewaltige Völkermischung dieser Zeit sinnlich vor das Auge tritt: ein geborner Karthager, sodann in Athen Zuhörer des Kar- neades und später dessen Nachfolger in seiner Professur, ver- kehrte er von Athen aus mit den gebildetsten Männern Italiens, dem Historiker Aulus Albinus und dem Dichter Lucilius und widmete theils dem römischen Consul, der die Belagerung Kar- thagos eröffnete, Lucius Censorinus, ein wissenschaftliches Werk, theils seinen als Sclaven nach Italien geführten Mitbürgern eine philosophische Trostschrift. Hatten namhafte griechische Litte- raten bisher wohl vorübergehend als Gesandte, Verbannte oder sonst wie ihren Aufenthalt in Rom genommen, so fingen sie jetzt schon an dort sich niederzulassen; wie zum Beispiel der schon genannte Panaetios in Scipios Hause lebte und der Hexameter- macher Archias von Antiochia im J. 652 sich in Rom niederlieſs und von der Improvisirkunst und von Heldengedichten auf römi- sche Consulare sich anständig ernährte. Sogar Gaius Marius, der schwerlich von seinem Carmen eine Zeile verstand und überhaupt zum Maecen möglichst übel sich schickte, konnte nicht umhin den Verskünstler zu patronisiren. Während also das geistige und litterarische Leben wenn nicht die reineren, doch die vornehme- ren Elemente der beiden Nationen mit einander in Verbindung brachte, flossen andererseits durch das massenhafte Eindringen der kleinasiatischen und syrischen Sclavenschaaren und durch die kaufmännische Einwanderung aus dem griechischen und halb- griechischen Osten die rohesten und stark mit orientalischen und überhaupt barbarischen Bestandtheilen versetzten Schichten des Hellenismus zusammen mit dem italischen Proletariat und gaben auch diesem eine hellenische Färbung. Die Bemerkung Ciceros, daſs neue Sprache und neue Weise zuerst in den See- städten aufkommt, dürfte zunächst auf das halbhellenische Wesen in Ostia, Puteoli und Brundisium sich beziehen, wo mit der fremden Waare auch die fremde Sitte zuerst Eingang und von da aus weiteren Vertrieb fand. — Das unmittelbare Resultat dieser vollständigen Revolution in den Nationalitätsverhältnissen war allerdings nichts weniger als erfreulich. Italien wimmelte von

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/399>, abgerufen am 27.11.2024.