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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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ERZIEHUNG.
machte lateinische Litteratur gab und der höhere Unterricht in
der Muttersprache ein Anhängsel des griechischen Cursus blieb.
Erst als die klassische Litteratur des sechsten Jahrhunderts in
einer gewissen Abgeschlossenheit vorlag, traten die Mutter-
sprache und die einheimische Litteratur wahrhaft ein in den
Kreis der höheren Bildungselemente; und die Emancipation von
den griechischen Sprachmeistern liess nun auch nicht lange
auf sich warten. Angeregt durch die homerischen Vorlesungen
des Krates begannen gebildete Römer die recitativen Werke auch
ihrer Litteratur, Naevius punischen Krieg, Ennius Chronik, spä-
terhin auch Lucilius Gedichte zuerst einem erlesenen Kreis, dann
öffentlich an festbestimmten Tagen und unter grossem Zulauf vor-
zutragen, auch wohl nach dem Vorgang der homerischen Gram-
matiker sie kritisch zu bearbeiten. Diese litterarischen Vorträge,
die gebildete Dilettanten (litterati) unentgeltlich hielten, waren
zwar kein förmlicher Jugendunterricht, aber doch ein wesentliches
Mittel die Jugend in das Verständniss und den Vortrag der klas-
sischen lateinischen Litteratur einzuführen. -- Aehnlich wie der
Unterricht in der lateinischen Litteratur entwickelte sich in dieser
Epoche der lateinische Redeunterricht. Die vornehme römische
Jugend, die schon in frühem Alter mit Lob- und gerichtlichen
Reden öffentlich aufzutreten angehalten ward, wird es an Rede-
übungen nie haben fehlen lassen; indess von einer specifischen
Redekunst weiss die ältere Zeit so wenig wie von einer specifi-
schen Bildung. Erst in dieser Epoche und in Folge der neuen ex-
clusiven Bildung entstand auch eine exclusive Redekunst: als der
erste römische Sachwalter, der Sprache und Stoff kunstmässig
behandelte, wird Marcus Lepidus Porcina (Consul 617) genannt;
die beiden berühmten Advocaten der marianischen Zeit, der männ-
liche und lebhafte Marcus Antonius (611-667) und der feine
gehaltene Redner Lucius Crassus (614-663) waren schon voll-
ständig Kunstredner. Die Uebungen der Jugend im Sprechen stie-
gen natürlich an Umfang und Bedeutung, aber blieben doch eben
wie die lateinischen Litteraturübungen wesentlich darauf be-
schränkt, dass der Anfänger an den Meister der Kunst persönlich
sich anschloss und unter ihm durch Beispiel und Lehre sich aus-
zubilden versuchte. Eigentliche Unterweisung sowohl in lateini-
scher Litteratur als in lateinischer Redekunst gab zuerst um 650
Lucius Aelius Praeconinus von Lanuvium, der Griffelmann
(stilo) genannt, ein angesehener streng conservativ gesinnter rö-
mischer Ritter, der mit einem auserlesenen Kreise jüngerer Män-
ner -- darunter Varro und Cicero -- den Plautus und Aehnli-

ERZIEHUNG.
machte lateinische Litteratur gab und der höhere Unterricht in
der Muttersprache ein Anhängsel des griechischen Cursus blieb.
Erst als die klassische Litteratur des sechsten Jahrhunderts in
einer gewissen Abgeschlossenheit vorlag, traten die Mutter-
sprache und die einheimische Litteratur wahrhaft ein in den
Kreis der höheren Bildungselemente; und die Emancipation von
den griechischen Sprachmeistern lieſs nun auch nicht lange
auf sich warten. Angeregt durch die homerischen Vorlesungen
des Krates begannen gebildete Römer die recitativen Werke auch
ihrer Litteratur, Naevius punischen Krieg, Ennius Chronik, spä-
terhin auch Lucilius Gedichte zuerst einem erlesenen Kreis, dann
öffentlich an festbestimmten Tagen und unter groſsem Zulauf vor-
zutragen, auch wohl nach dem Vorgang der homerischen Gram-
matiker sie kritisch zu bearbeiten. Diese litterarischen Vorträge,
die gebildete Dilettanten (litterati) unentgeltlich hielten, waren
zwar kein förmlicher Jugendunterricht, aber doch ein wesentliches
Mittel die Jugend in das Verständniſs und den Vortrag der klas-
sischen lateinischen Litteratur einzuführen. — Aehnlich wie der
Unterricht in der lateinischen Litteratur entwickelte sich in dieser
Epoche der lateinische Redeunterricht. Die vornehme römische
Jugend, die schon in frühem Alter mit Lob- und gerichtlichen
Reden öffentlich aufzutreten angehalten ward, wird es an Rede-
übungen nie haben fehlen lassen; indeſs von einer specifischen
Redekunst weiſs die ältere Zeit so wenig wie von einer specifi-
schen Bildung. Erst in dieser Epoche und in Folge der neuen ex-
clusiven Bildung entstand auch eine exclusive Redekunst: als der
erste römische Sachwalter, der Sprache und Stoff kunstmäſsig
behandelte, wird Marcus Lepidus Porcina (Consul 617) genannt;
die beiden berühmten Advocaten der marianischen Zeit, der männ-
liche und lebhafte Marcus Antonius (611-667) und der feine
gehaltene Redner Lucius Crassus (614-663) waren schon voll-
ständig Kunstredner. Die Uebungen der Jugend im Sprechen stie-
gen natürlich an Umfang und Bedeutung, aber blieben doch eben
wie die lateinischen Litteraturübungen wesentlich darauf be-
schränkt, daſs der Anfänger an den Meister der Kunst persönlich
sich anschloſs und unter ihm durch Beispiel und Lehre sich aus-
zubilden versuchte. Eigentliche Unterweisung sowohl in lateini-
scher Litteratur als in lateinischer Redekunst gab zuerst um 650
Lucius Aelius Praeconinus von Lanuvium, der Griffelmann
(stilo) genannt, ein angesehener streng conservativ gesinnter rö-
mischer Ritter, der mit einem auserlesenen Kreise jüngerer Män-
ner — darunter Varro und Cicero — den Plautus und Aehnli-

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[407/0417] ERZIEHUNG. machte lateinische Litteratur gab und der höhere Unterricht in der Muttersprache ein Anhängsel des griechischen Cursus blieb. Erst als die klassische Litteratur des sechsten Jahrhunderts in einer gewissen Abgeschlossenheit vorlag, traten die Mutter- sprache und die einheimische Litteratur wahrhaft ein in den Kreis der höheren Bildungselemente; und die Emancipation von den griechischen Sprachmeistern lieſs nun auch nicht lange auf sich warten. Angeregt durch die homerischen Vorlesungen des Krates begannen gebildete Römer die recitativen Werke auch ihrer Litteratur, Naevius punischen Krieg, Ennius Chronik, spä- terhin auch Lucilius Gedichte zuerst einem erlesenen Kreis, dann öffentlich an festbestimmten Tagen und unter groſsem Zulauf vor- zutragen, auch wohl nach dem Vorgang der homerischen Gram- matiker sie kritisch zu bearbeiten. Diese litterarischen Vorträge, die gebildete Dilettanten (litterati) unentgeltlich hielten, waren zwar kein förmlicher Jugendunterricht, aber doch ein wesentliches Mittel die Jugend in das Verständniſs und den Vortrag der klas- sischen lateinischen Litteratur einzuführen. — Aehnlich wie der Unterricht in der lateinischen Litteratur entwickelte sich in dieser Epoche der lateinische Redeunterricht. Die vornehme römische Jugend, die schon in frühem Alter mit Lob- und gerichtlichen Reden öffentlich aufzutreten angehalten ward, wird es an Rede- übungen nie haben fehlen lassen; indeſs von einer specifischen Redekunst weiſs die ältere Zeit so wenig wie von einer specifi- schen Bildung. Erst in dieser Epoche und in Folge der neuen ex- clusiven Bildung entstand auch eine exclusive Redekunst: als der erste römische Sachwalter, der Sprache und Stoff kunstmäſsig behandelte, wird Marcus Lepidus Porcina (Consul 617) genannt; die beiden berühmten Advocaten der marianischen Zeit, der männ- liche und lebhafte Marcus Antonius (611-667) und der feine gehaltene Redner Lucius Crassus (614-663) waren schon voll- ständig Kunstredner. Die Uebungen der Jugend im Sprechen stie- gen natürlich an Umfang und Bedeutung, aber blieben doch eben wie die lateinischen Litteraturübungen wesentlich darauf be- schränkt, daſs der Anfänger an den Meister der Kunst persönlich sich anschloſs und unter ihm durch Beispiel und Lehre sich aus- zubilden versuchte. Eigentliche Unterweisung sowohl in lateini- scher Litteratur als in lateinischer Redekunst gab zuerst um 650 Lucius Aelius Praeconinus von Lanuvium, der Griffelmann (stilo) genannt, ein angesehener streng conservativ gesinnter rö- mischer Ritter, der mit einem auserlesenen Kreise jüngerer Män- ner — darunter Varro und Cicero — den Plautus und Aehnli-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/417>, abgerufen am 25.11.2024.