Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.LITTERATUR UND KUNST. gen' erhalten hätten. Er liess die Rede sich gefallen oder begün-stigte sie sogar, dass vornehme Leute ihn bei seinem Dichten mit Rath und sogar mit der That unterstützten.* In der That drang er durch; selbst in der Litteratur herrschte die Oligarchie und verdrängte die kunstmässige Komödie der Exclusiven das volks- thümliche Lustspiel: wir finden, dass um 620 die plautinischen Stücke vom Repertoire verschwanden. Es ist dies um so bezeich- nender, als nach dem frühen Tod des Terenz durchaus kein her- vorstechendes Talent weiter auf diesem Gebiet thätig war; über die Komödien des Turpilius (+ 651 hochbejahrt), des ,hölzernen Poeten' Atilius, des Licinius Imbrex und all die sonst hier ein- tretenden Lückenbüsser urtheilte schon am Ende dieser Periode ein Kenner, dass die neuen Komödien noch viel schlechter seien, als die schlechten neuen Pfennige (S. 380). Neben der griechisch-römischen Komödie (palliata) begann * Im Prolog des Selbstquälers lässt er von seinen Recensenten sich vorwerfen: Er habe verlegt sich plötzlich auf die Poesie, Der Freunde Geist vertrauend, nicht aus eignem Drang; und in dem späteren (594) zu den Brüdern heisst es: Denn wenn Missgünstige sagen, dass vornehme Herrn Beim Werk ihm helfen und mitschreiben an jedem Stück, So rechnet der Dichter solchen Tadels herbes Wort Zum Ruhme sich: dass jenen Männern er gefällt, Die euch und allem Volke wohlgefällig sind, Die in Kriegesläuften seiner Zeit mit Rath und That Hülfreich erprobt ihr all' und ohne Uebermuth. Schon in der ciceronischen Zeit war es allgemeine Annahme, dass hier Lae- lius und Scipio Aemilianus gemeint seien; man bezeichnete die Scenen, die von denselben herrühren sollten; man erzählte von den Fahrten des armen Dichters mit seinen vornehmen Gönnern auf ihre Güter bei Rom und fand es unverzeihlich, dass dieselben für die Verbesserung seiner ökonomischen Lage gar nichts gethan hätten. Allein die sagenbildende Kraft ist bekannt- lich nirgends mächtiger als in der Litteraturgeschichte. Es leuchtet ein und schon besonnene römische Kritiker haben es erkannt, dass diese Zeilen un- möglich auf den damals 25jährigen Scipio und auf seinen wenig älte- ren Freund Laelius gehen können; verständiger wenigstens dachte man an die vornehmen Poeten Quintus Labeo (Consul 571) und Marcus Popil- lius (Consul 581) und den gelehrten Consul des J. 588 Lucius Sulpicius Gallus; doch ist auch dies offenbar nur Vermuthung. Dass Terenz dem sci- pionischen Hause nahe stand, ist übrigens nicht zu bezweifeln; es ist be- zeichnend, dass die erste Aufführung der ,Brüder' und die zweite der ,Schwiegermutter' stattfand bei den Begräbnissfeierlichkeiten des Lucius Paullus, die dessen Söhne Scipio und Fabius ausrichteten. Röm. Gesch. II. 27
LITTERATUR UND KUNST. gen‘ erhalten hätten. Er lieſs die Rede sich gefallen oder begün-stigte sie sogar, daſs vornehme Leute ihn bei seinem Dichten mit Rath und sogar mit der That unterstützten.* In der That drang er durch; selbst in der Litteratur herrschte die Oligarchie und verdrängte die kunstmäſsige Komödie der Exclusiven das volks- thümliche Lustspiel: wir finden, daſs um 620 die plautinischen Stücke vom Repertoire verschwanden. Es ist dies um so bezeich- nender, als nach dem frühen Tod des Terenz durchaus kein her- vorstechendes Talent weiter auf diesem Gebiet thätig war; über die Komödien des Turpilius († 651 hochbejahrt), des ‚hölzernen Poeten‘ Atilius, des Licinius Imbrex und all die sonst hier ein- tretenden Lückenbüſser urtheilte schon am Ende dieser Periode ein Kenner, daſs die neuen Komödien noch viel schlechter seien, als die schlechten neuen Pfennige (S. 380). Neben der griechisch-römischen Komödie (palliata) begann * Im Prolog des Selbstquälers läſst er von seinen Recensenten sich vorwerfen: Er habe verlegt sich plötzlich auf die Poesie, Der Freunde Geist vertrauend, nicht aus eignem Drang; und in dem späteren (594) zu den Brüdern heiſst es: Denn wenn Miſsgünstige sagen, daſs vornehme Herrn Beim Werk ihm helfen und mitschreiben an jedem Stück, So rechnet der Dichter solchen Tadels herbes Wort Zum Ruhme sich: daſs jenen Männern er gefällt, Die euch und allem Volke wohlgefällig sind, Die in Kriegesläuften seiner Zeit mit Rath und That Hülfreich erprobt ihr all' und ohne Uebermuth. Schon in der ciceronischen Zeit war es allgemeine Annahme, daſs hier Lae- lius und Scipio Aemilianus gemeint seien; man bezeichnete die Scenen, die von denselben herrühren sollten; man erzählte von den Fahrten des armen Dichters mit seinen vornehmen Gönnern auf ihre Güter bei Rom und fand es unverzeihlich, daſs dieselben für die Verbesserung seiner ökonomischen Lage gar nichts gethan hätten. Allein die sagenbildende Kraft ist bekannt- lich nirgends mächtiger als in der Litteraturgeschichte. Es leuchtet ein und schon besonnene römische Kritiker haben es erkannt, daſs diese Zeilen un- möglich auf den damals 25jährigen Scipio und auf seinen wenig älte- ren Freund Laelius gehen können; verständiger wenigstens dachte man an die vornehmen Poeten Quintus Labeo (Consul 571) und Marcus Popil- lius (Consul 581) und den gelehrten Consul des J. 588 Lucius Sulpicius Gallus; doch ist auch dies offenbar nur Vermuthung. Daſs Terenz dem sci- pionischen Hause nahe stand, ist übrigens nicht zu bezweifeln; es ist be- zeichnend, daſs die erste Aufführung der ‚Brüder‘ und die zweite der ‚Schwiegermutter‘ stattfand bei den Begräbniſsfeierlichkeiten des Lucius Paullus, die dessen Söhne Scipio und Fabius ausrichteten. Röm. Gesch. II. 27
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LITTERATUR UND KUNST.
gen‘ erhalten hätten. Er lieſs die Rede sich gefallen oder begün-
stigte sie sogar, daſs vornehme Leute ihn bei seinem Dichten mit
Rath und sogar mit der That unterstützten. * In der That drang
er durch; selbst in der Litteratur herrschte die Oligarchie und
verdrängte die kunstmäſsige Komödie der Exclusiven das volks-
thümliche Lustspiel: wir finden, daſs um 620 die plautinischen
Stücke vom Repertoire verschwanden. Es ist dies um so bezeich-
nender, als nach dem frühen Tod des Terenz durchaus kein her-
vorstechendes Talent weiter auf diesem Gebiet thätig war; über
die Komödien des Turpilius († 651 hochbejahrt), des ‚hölzernen
Poeten‘ Atilius, des Licinius Imbrex und all die sonst hier ein-
tretenden Lückenbüſser urtheilte schon am Ende dieser Periode
ein Kenner, daſs die neuen Komödien noch viel schlechter seien,
als die schlechten neuen Pfennige (S. 380).
Neben der griechisch-römischen Komödie (palliata) begann
die national-römische (togata), welche zwar auch wie jene auf der
gemeinsamen Grundlage des neuattischen Intriguenstücks ruht,
aber doch im Costüm und im Schauplatz sich auf römischem Bo-
* Im Prolog des Selbstquälers läſst er von seinen Recensenten sich
vorwerfen:
Er habe verlegt sich plötzlich auf die Poesie,
Der Freunde Geist vertrauend, nicht aus eignem Drang;
und in dem späteren (594) zu den Brüdern heiſst es:
Denn wenn Miſsgünstige sagen, daſs vornehme Herrn
Beim Werk ihm helfen und mitschreiben an jedem Stück,
So rechnet der Dichter solchen Tadels herbes Wort
Zum Ruhme sich: daſs jenen Männern er gefällt,
Die euch und allem Volke wohlgefällig sind,
Die in Kriegesläuften seiner Zeit mit Rath und That
Hülfreich erprobt ihr all' und ohne Uebermuth.
Schon in der ciceronischen Zeit war es allgemeine Annahme, daſs hier Lae-
lius und Scipio Aemilianus gemeint seien; man bezeichnete die Scenen, die
von denselben herrühren sollten; man erzählte von den Fahrten des armen
Dichters mit seinen vornehmen Gönnern auf ihre Güter bei Rom und fand
es unverzeihlich, daſs dieselben für die Verbesserung seiner ökonomischen
Lage gar nichts gethan hätten. Allein die sagenbildende Kraft ist bekannt-
lich nirgends mächtiger als in der Litteraturgeschichte. Es leuchtet ein und
schon besonnene römische Kritiker haben es erkannt, daſs diese Zeilen un-
möglich auf den damals 25jährigen Scipio und auf seinen wenig älte-
ren Freund Laelius gehen können; verständiger wenigstens dachte man
an die vornehmen Poeten Quintus Labeo (Consul 571) und Marcus Popil-
lius (Consul 581) und den gelehrten Consul des J. 588 Lucius Sulpicius
Gallus; doch ist auch dies offenbar nur Vermuthung. Daſs Terenz dem sci-
pionischen Hause nahe stand, ist übrigens nicht zu bezweifeln; es ist be-
zeichnend, daſs die erste Aufführung der ‚Brüder‘ und die zweite der
‚Schwiegermutter‘ stattfand bei den Begräbniſsfeierlichkeiten des Lucius
Paullus, die dessen Söhne Scipio und Fabius ausrichteten.
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