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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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den bewegt. Ihr Ursprung liegt im Dunkel; es ist nicht ganz un-
wahrscheinlich, dass Naevius wie der Begründer des nationalen
Schauspiels so auch der der Nationalkomödie gewesen ist; der
nachweislich älteste Verfasser von römischen Lustspielen ist Titi-
nius, dessen Zeitalter sich nur im Allgemeinen dahin bestimmen
lässt, dass er dem Ende der vorigen oder dem Anfang dieser Epoche
angehören muss. Auf alle Fälle ist er eine ungemein merkwürdige
Erscheinung; es ist in seinen Stücken etwas von der landschaft-
lichen Opposition gegen das hauptstädtische Wesen, wie sie in
früherer Zeit bei Cato, in späterer bei Varro begegnet. Das lati-
nische Leben und Treiben tritt hier in eigenthümlicher Frische
hervor. Die Stücke spielen grossentheils in den Landstädten des
südlichen Latium, in Setia, Ferentinum, Velitrae und wurzeln in
deren bürgerlichem Leben, wie schon die Titel zeigen, zum Bei-
spiel ,die Juristin', ,die Walker', ,die Harfenistin von Ferenti-
num', und manche einzelne Situationen, zum Beispiel der Spiess-
bürger, der sich seine Schuhe nach dem Muster der albanischen
Königssandalen machen lässt. Sie sind voll von localen Schilde-
rungen und volksthümlichen Reminiscenzen: die Schlachten des
pyrrhischen und des hannibalischen Krieges werden erwähnt; in
ächt latinischer Weise gedenkt der Dichter an einem Ort der Nei-
gung der Ferentinaten für das griechische Wesen und sieht an
einem andern stolz herab auf die Nachbarn,

Welche oskisch und volskisch reden, da's nicht gehn will auf Latein.

Lebhaft wird man noch durch die wenigen Bruchstücke der Ko-
mödien dieses Dichters erinnert an das Zeugniss Ciceros, dass vor
dem Bundesgenossenkrieg die allgemeine Bildung in den latini-
schen Städten höher gestanden habe als in Rom selbst (S. 390).
Später bemächtigte sich der verfeinerte hauptstädtische Hellenis-
mus auch dieser Gattung; es war ganz in seinem Sinn die grie-
chische Komödie einerseits in getreuer Uebersetzung, andrerseits
in rein römischer Nachdichtung in Italien einzubürgern. Der
Hauptvertreter dieser Richtung ist Lucius Afranius (blüht um
660). Die Bruchstücke, die uns von ihm vorliegen, geben kei-
nen bestimmten Eindruck, aber sie widersprechen auch nicht
dem, was die römischen Kunstkritiker über ihn bemerken. Seine
zahlreichen Nationallustspiele waren der Anlage nach durchaus
dem griechischen Intriguenstück nachgebildet, nur dass sie, wie
bei der Nachdichtung natürlich ist, einfacher und kürzer ausfie-
len. Auch im Einzelnen borgte er was ihm gefiel theils von Men-
andros, theils aus der ältern Nationalliteratur. Ein feiner Eklekti-

VIERTES BUCH. KAPITEL XIII.
den bewegt. Ihr Ursprung liegt im Dunkel; es ist nicht ganz un-
wahrscheinlich, daſs Naevius wie der Begründer des nationalen
Schauspiels so auch der der Nationalkomödie gewesen ist; der
nachweislich älteste Verfasser von römischen Lustspielen ist Titi-
nius, dessen Zeitalter sich nur im Allgemeinen dahin bestimmen
läſst, daſs er dem Ende der vorigen oder dem Anfang dieser Epoche
angehören muſs. Auf alle Fälle ist er eine ungemein merkwürdige
Erscheinung; es ist in seinen Stücken etwas von der landschaft-
lichen Opposition gegen das hauptstädtische Wesen, wie sie in
früherer Zeit bei Cato, in späterer bei Varro begegnet. Das lati-
nische Leben und Treiben tritt hier in eigenthümlicher Frische
hervor. Die Stücke spielen groſsentheils in den Landstädten des
südlichen Latium, in Setia, Ferentinum, Velitrae und wurzeln in
deren bürgerlichem Leben, wie schon die Titel zeigen, zum Bei-
spiel ‚die Juristin‘, ‚die Walker‘, ‚die Harfenistin von Ferenti-
num‘, und manche einzelne Situationen, zum Beispiel der Spieſs-
bürger, der sich seine Schuhe nach dem Muster der albanischen
Königssandalen machen läſst. Sie sind voll von localen Schilde-
rungen und volksthümlichen Reminiscenzen: die Schlachten des
pyrrhischen und des hannibalischen Krieges werden erwähnt; in
ächt latinischer Weise gedenkt der Dichter an einem Ort der Nei-
gung der Ferentinaten für das griechische Wesen und sieht an
einem andern stolz herab auf die Nachbarn,

Welche oskisch und volskisch reden, da's nicht gehn will auf Latein.

Lebhaft wird man noch durch die wenigen Bruchstücke der Ko-
mödien dieses Dichters erinnert an das Zeugniſs Ciceros, daſs vor
dem Bundesgenossenkrieg die allgemeine Bildung in den latini-
schen Städten höher gestanden habe als in Rom selbst (S. 390).
Später bemächtigte sich der verfeinerte hauptstädtische Hellenis-
mus auch dieser Gattung; es war ganz in seinem Sinn die grie-
chische Komödie einerseits in getreuer Uebersetzung, andrerseits
in rein römischer Nachdichtung in Italien einzubürgern. Der
Hauptvertreter dieser Richtung ist Lucius Afranius (blüht um
660). Die Bruchstücke, die uns von ihm vorliegen, geben kei-
nen bestimmten Eindruck, aber sie widersprechen auch nicht
dem, was die römischen Kunstkritiker über ihn bemerken. Seine
zahlreichen Nationallustspiele waren der Anlage nach durchaus
dem griechischen Intriguenstück nachgebildet, nur daſs sie, wie
bei der Nachdichtung natürlich ist, einfacher und kürzer ausfie-
len. Auch im Einzelnen borgte er was ihm gefiel theils von Men-
andros, theils aus der ältern Nationalliteratur. Ein feiner Eklekti-

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[418/0428] VIERTES BUCH. KAPITEL XIII. den bewegt. Ihr Ursprung liegt im Dunkel; es ist nicht ganz un- wahrscheinlich, daſs Naevius wie der Begründer des nationalen Schauspiels so auch der der Nationalkomödie gewesen ist; der nachweislich älteste Verfasser von römischen Lustspielen ist Titi- nius, dessen Zeitalter sich nur im Allgemeinen dahin bestimmen läſst, daſs er dem Ende der vorigen oder dem Anfang dieser Epoche angehören muſs. Auf alle Fälle ist er eine ungemein merkwürdige Erscheinung; es ist in seinen Stücken etwas von der landschaft- lichen Opposition gegen das hauptstädtische Wesen, wie sie in früherer Zeit bei Cato, in späterer bei Varro begegnet. Das lati- nische Leben und Treiben tritt hier in eigenthümlicher Frische hervor. Die Stücke spielen groſsentheils in den Landstädten des südlichen Latium, in Setia, Ferentinum, Velitrae und wurzeln in deren bürgerlichem Leben, wie schon die Titel zeigen, zum Bei- spiel ‚die Juristin‘, ‚die Walker‘, ‚die Harfenistin von Ferenti- num‘, und manche einzelne Situationen, zum Beispiel der Spieſs- bürger, der sich seine Schuhe nach dem Muster der albanischen Königssandalen machen läſst. Sie sind voll von localen Schilde- rungen und volksthümlichen Reminiscenzen: die Schlachten des pyrrhischen und des hannibalischen Krieges werden erwähnt; in ächt latinischer Weise gedenkt der Dichter an einem Ort der Nei- gung der Ferentinaten für das griechische Wesen und sieht an einem andern stolz herab auf die Nachbarn, Welche oskisch und volskisch reden, da's nicht gehn will auf Latein. Lebhaft wird man noch durch die wenigen Bruchstücke der Ko- mödien dieses Dichters erinnert an das Zeugniſs Ciceros, daſs vor dem Bundesgenossenkrieg die allgemeine Bildung in den latini- schen Städten höher gestanden habe als in Rom selbst (S. 390). Später bemächtigte sich der verfeinerte hauptstädtische Hellenis- mus auch dieser Gattung; es war ganz in seinem Sinn die grie- chische Komödie einerseits in getreuer Uebersetzung, andrerseits in rein römischer Nachdichtung in Italien einzubürgern. Der Hauptvertreter dieser Richtung ist Lucius Afranius (blüht um 660). Die Bruchstücke, die uns von ihm vorliegen, geben kei- nen bestimmten Eindruck, aber sie widersprechen auch nicht dem, was die römischen Kunstkritiker über ihn bemerken. Seine zahlreichen Nationallustspiele waren der Anlage nach durchaus dem griechischen Intriguenstück nachgebildet, nur daſs sie, wie bei der Nachdichtung natürlich ist, einfacher und kürzer ausfie- len. Auch im Einzelnen borgte er was ihm gefiel theils von Men- andros, theils aus der ältern Nationalliteratur. Ein feiner Eklekti-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/428>, abgerufen am 24.11.2024.