Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.VIERTES BUCH. KAPITEL XIII. und den Römern und war auch gegenwärtig bei der Zerstörungvon Karthago und von Korinth. Er schien vom Schicksal selber dazu erzogen Roms geschichtliche Stellung deutlicher zu erfassen, als die damaligen Römer selbst es vermochten. Auf dem Platze, wo er stand, ein griechischer Staatsmann und ein römischer Gefan- gener, seiner hellenischen Bildung wegen geschätzt und gelegent- lich beneidet von Scipio Aemilianus und überhaupt den ersten Männern Roms, sah er die Ströme, die so lange getrennt geflos- sen waren, zusammenrinnen in dasselbe Bett und die Geschichte der Mittelmeerstaaten zusammengehen in die Hegemonie der rö- mischen Macht und der griechischen Bildung. So ward Polybios der erste namhafte Hellene, der mit ernster Ueberzeugung auf die Weltanschauung des scipionischen Kreises einging und die Ueber- legenheit des Hellenismus auf dem geistigen, des Römerthums auf dem politischen Gebiet als Thatsachen anerkannte, über die die Geschichte in letzter Instanz gesprochen hatte und denen man beiderseits sich zu unterwerfen berechtigt und verpflichtet war. In diesem Sinne handelte er als praktischer Staatsmann wenig- stens in seinen späteren Jahren; er hatte die engen Bande des achaeischen Localpatriotismus abgestreift und vertrat nicht aus Servilität, sondern in deutlicher Einsicht der unvermeidlichen Nothwendigkeit in seiner Gemeinde die Politik des engsten An- schlusses an Rom. In diesem Sinn schrieb er die Geschichte der Gründung der Hegemonie Roms über die Mittelmeerstaaten, welche vom ersten punischen Krieg bis zur Zerstörung von Kar- thago und Korinth die Schicksale der sämmtlichen Culturstaaten, das heisst Griechenlands, Makedoniens, Kleinasiens, Syriens, Aegyptens, Karthagos und Italiens, zusammenfasst und deren Eintreten in die römische Schutzherrschaft im ursachlichen Zu- sammenhang darstellt. Insofern bezeichnet er es als sein Ziel die Zweck- und Vernunftmässigkeit der römischen Hegemonie zu er- weisen. In der Anlage wie in der Ausführung steht diese Ge- schichtschreibung in scharfem und bewusstem Gegensatz gegen die gleichzeitige römische wie gegen die gleichzeitige griechische Historiographie. In Rom stand man noch vollständig auf dem Chronikenstandpunct; hier gab es wohl einen bedeutungsvollen geschichtlichen Stoff, aber die sogenannte Geschichtschreibung beschränkte sich mit Ausnahme der sehr achtbaren, aber rein in- dividuellen Schriften Catos theils auf Ammenmährchen, theils auf Notizenbündel. Die Griechen, das heisst die Attiker dieser Zeit wussten sehr wohl, was Forschung und Kritik war; aber ihre zerfahrene politische Existenz bot keinen im höchsten Sinn ge- VIERTES BUCH. KAPITEL XIII. und den Römern und war auch gegenwärtig bei der Zerstörungvon Karthago und von Korinth. Er schien vom Schicksal selber dazu erzogen Roms geschichtliche Stellung deutlicher zu erfassen, als die damaligen Römer selbst es vermochten. Auf dem Platze, wo er stand, ein griechischer Staatsmann und ein römischer Gefan- gener, seiner hellenischen Bildung wegen geschätzt und gelegent- lich beneidet von Scipio Aemilianus und überhaupt den ersten Männern Roms, sah er die Ströme, die so lange getrennt geflos- sen waren, zusammenrinnen in dasselbe Bett und die Geschichte der Mittelmeerstaaten zusammengehen in die Hegemonie der rö- mischen Macht und der griechischen Bildung. So ward Polybios der erste namhafte Hellene, der mit ernster Ueberzeugung auf die Weltanschauung des scipionischen Kreises einging und die Ueber- legenheit des Hellenismus auf dem geistigen, des Römerthums auf dem politischen Gebiet als Thatsachen anerkannte, über die die Geschichte in letzter Instanz gesprochen hatte und denen man beiderseits sich zu unterwerfen berechtigt und verpflichtet war. In diesem Sinne handelte er als praktischer Staatsmann wenig- stens in seinen späteren Jahren; er hatte die engen Bande des achaeischen Localpatriotismus abgestreift und vertrat nicht aus Servilität, sondern in deutlicher Einsicht der unvermeidlichen Nothwendigkeit in seiner Gemeinde die Politik des engsten An- schlusses an Rom. In diesem Sinn schrieb er die Geschichte der Gründung der Hegemonie Roms über die Mittelmeerstaaten, welche vom ersten punischen Krieg bis zur Zerstörung von Kar- thago und Korinth die Schicksale der sämmtlichen Culturstaaten, das heiſst Griechenlands, Makedoniens, Kleinasiens, Syriens, Aegyptens, Karthagos und Italiens, zusammenfaſst und deren Eintreten in die römische Schutzherrschaft im ursachlichen Zu- sammenhang darstellt. Insofern bezeichnet er es als sein Ziel die Zweck- und Vernunftmäſsigkeit der römischen Hegemonie zu er- weisen. In der Anlage wie in der Ausführung steht diese Ge- schichtschreibung in scharfem und bewuſstem Gegensatz gegen die gleichzeitige römische wie gegen die gleichzeitige griechische Historiographie. In Rom stand man noch vollständig auf dem Chronikenstandpunct; hier gab es wohl einen bedeutungsvollen geschichtlichen Stoff, aber die sogenannte Geschichtschreibung beschränkte sich mit Ausnahme der sehr achtbaren, aber rein in- dividuellen Schriften Catos theils auf Ammenmährchen, theils auf Notizenbündel. Die Griechen, das heiſst die Attiker dieser Zeit wuſsten sehr wohl, was Forschung und Kritik war; aber ihre zerfahrene politische Existenz bot keinen im höchsten Sinn ge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0438" n="428"/><fw place="top" type="header">VIERTES BUCH. KAPITEL XIII.</fw><lb/> und den Römern und war auch gegenwärtig bei der Zerstörung<lb/> von Karthago und von Korinth. 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VIERTES BUCH. KAPITEL XIII.
und den Römern und war auch gegenwärtig bei der Zerstörung
von Karthago und von Korinth. Er schien vom Schicksal selber
dazu erzogen Roms geschichtliche Stellung deutlicher zu erfassen,
als die damaligen Römer selbst es vermochten. Auf dem Platze, wo
er stand, ein griechischer Staatsmann und ein römischer Gefan-
gener, seiner hellenischen Bildung wegen geschätzt und gelegent-
lich beneidet von Scipio Aemilianus und überhaupt den ersten
Männern Roms, sah er die Ströme, die so lange getrennt geflos-
sen waren, zusammenrinnen in dasselbe Bett und die Geschichte
der Mittelmeerstaaten zusammengehen in die Hegemonie der rö-
mischen Macht und der griechischen Bildung. So ward Polybios
der erste namhafte Hellene, der mit ernster Ueberzeugung auf die
Weltanschauung des scipionischen Kreises einging und die Ueber-
legenheit des Hellenismus auf dem geistigen, des Römerthums auf
dem politischen Gebiet als Thatsachen anerkannte, über die die
Geschichte in letzter Instanz gesprochen hatte und denen man
beiderseits sich zu unterwerfen berechtigt und verpflichtet war.
In diesem Sinne handelte er als praktischer Staatsmann wenig-
stens in seinen späteren Jahren; er hatte die engen Bande des
achaeischen Localpatriotismus abgestreift und vertrat nicht aus
Servilität, sondern in deutlicher Einsicht der unvermeidlichen
Nothwendigkeit in seiner Gemeinde die Politik des engsten An-
schlusses an Rom. In diesem Sinn schrieb er die Geschichte der
Gründung der Hegemonie Roms über die Mittelmeerstaaten,
welche vom ersten punischen Krieg bis zur Zerstörung von Kar-
thago und Korinth die Schicksale der sämmtlichen Culturstaaten,
das heiſst Griechenlands, Makedoniens, Kleinasiens, Syriens,
Aegyptens, Karthagos und Italiens, zusammenfaſst und deren
Eintreten in die römische Schutzherrschaft im ursachlichen Zu-
sammenhang darstellt. Insofern bezeichnet er es als sein Ziel die
Zweck- und Vernunftmäſsigkeit der römischen Hegemonie zu er-
weisen. In der Anlage wie in der Ausführung steht diese Ge-
schichtschreibung in scharfem und bewuſstem Gegensatz gegen
die gleichzeitige römische wie gegen die gleichzeitige griechische
Historiographie. In Rom stand man noch vollständig auf dem
Chronikenstandpunct; hier gab es wohl einen bedeutungsvollen
geschichtlichen Stoff, aber die sogenannte Geschichtschreibung
beschränkte sich mit Ausnahme der sehr achtbaren, aber rein in-
dividuellen Schriften Catos theils auf Ammenmährchen, theils auf
Notizenbündel. Die Griechen, das heiſst die Attiker dieser Zeit
wuſsten sehr wohl, was Forschung und Kritik war; aber ihre
zerfahrene politische Existenz bot keinen im höchsten Sinn ge-
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