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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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LITTERATUR UND KUNST.
dem mit fliegender Feder geschriebenen Brief. Aber die unver-
gleichlich höhere geistige Begabung und freiere Lebensanschau-
ung, die der Ritter von Suessa vor dem africanischen Sclaven
voraus hatte, machten seinen Erfolg ebenso rasch und glänzend
wie der des Terenz mühsam und zweifelhaft gewesen war; Lu-
cilius ward sofort der Liebling der Nation und auch er konnte
wie Beranger von seinen Gedichten sagen, ,dass sie allein unter
allen vom Volke gelesen würden'. Die ungemeine Popularität
der lucilischen Gedichte ist auch geschichtlich ein bemerkens-
werthes Ereigniss; man sieht daraus, dass die Litteratur schon
eine Macht war und ohne Zweifel würden wir deren Spuren,
wenn es eine wirkliche Geschichte dieser Zeit gäbe, in dersel-
ben mehrfach antreffen. Die Folgezeit hat das Urtheil der Zeit-
genossen nur bestätigt; die antialexandrinisch gesinnten römi-
schen Kunstrichter sprachen dem Lucilius den ersten Rang un-
ter allen lateinischen Dichtern zu und seine Satire ist die einzige
originelle Kunstgattung geblieben, die Italien erzeugt und auf
die Nachwelt vererbt hat. -- Von der an den Alexandrinismus
anknüpfenden Poesie ist in Rom in dieser Epoche noch im We-
sentlichen nichts zu verspüren; nicht ihrer selbst wegen, aber
als der erste geringe Keim dieser später so reich entwickelten
Schule sind erwähnenswerth die nach alexandrinischen Epigram-
men übersetzten oder nachgebildeten Gedichte des Quintus Ca-
tulus (Consul 652).

Die Geschichtschreibung dieser Epoche ist vor allen Dingen
bezeichnet durch einen Schriftsteller, der zwar weder durch Ge-
burt noch nach seinem geistigen und litterarischen Standpunct
der italischen Entwicklung angehört, der aber zuerst oder viel-
mehr allein die Weltstellung Roms zur schriftstellerischen Gel-
tung und Darstellung gebracht hat und dem alle späteren Ge-
schlechter und auch wir das Beste verdanken, was wir von der
römischen Entwickelung wissen. Polybios (c. 546-c. 627) von
Megalopolis im Peloponnes, des achäischen Staatsmannes Ly-
kortas Sohn, machte schon 565 wie es scheint den Zug der Römer
gegen die kleinasiatischen Kelten mit und ward später vielfach na-
mentlich während des dritten makedonischen Krieges von seinen
Landsleuten in militärischen und diplomatischen Geschäften ver-
wendet, ward sodann siebzehn Jahre (587-603) mit den an-
dern achaeischen Geisseln in Italien confinirt und durch die Söhne
des Paullus in die vornehmen hauptstädtischen Kreise eingeführt
(I, 596), endlich nach Rücksendung der achaeischen Geisseln
(II, 41) stehender Vermittler zwischen seiner Eidgenossenschaft

LITTERATUR UND KUNST.
dem mit fliegender Feder geschriebenen Brief. Aber die unver-
gleichlich höhere geistige Begabung und freiere Lebensanschau-
ung, die der Ritter von Suessa vor dem africanischen Sclaven
voraus hatte, machten seinen Erfolg ebenso rasch und glänzend
wie der des Terenz mühsam und zweifelhaft gewesen war; Lu-
cilius ward sofort der Liebling der Nation und auch er konnte
wie Beranger von seinen Gedichten sagen, ‚daſs sie allein unter
allen vom Volke gelesen würden‘. Die ungemeine Popularität
der lucilischen Gedichte ist auch geschichtlich ein bemerkens-
werthes Ereigniſs; man sieht daraus, daſs die Litteratur schon
eine Macht war und ohne Zweifel würden wir deren Spuren,
wenn es eine wirkliche Geschichte dieser Zeit gäbe, in dersel-
ben mehrfach antreffen. Die Folgezeit hat das Urtheil der Zeit-
genossen nur bestätigt; die antialexandrinisch gesinnten römi-
schen Kunstrichter sprachen dem Lucilius den ersten Rang un-
ter allen lateinischen Dichtern zu und seine Satire ist die einzige
originelle Kunstgattung geblieben, die Italien erzeugt und auf
die Nachwelt vererbt hat. — Von der an den Alexandrinismus
anknüpfenden Poesie ist in Rom in dieser Epoche noch im We-
sentlichen nichts zu verspüren; nicht ihrer selbst wegen, aber
als der erste geringe Keim dieser später so reich entwickelten
Schule sind erwähnenswerth die nach alexandrinischen Epigram-
men übersetzten oder nachgebildeten Gedichte des Quintus Ca-
tulus (Consul 652).

Die Geschichtschreibung dieser Epoche ist vor allen Dingen
bezeichnet durch einen Schriftsteller, der zwar weder durch Ge-
burt noch nach seinem geistigen und litterarischen Standpunct
der italischen Entwicklung angehört, der aber zuerst oder viel-
mehr allein die Weltstellung Roms zur schriftstellerischen Gel-
tung und Darstellung gebracht hat und dem alle späteren Ge-
schlechter und auch wir das Beste verdanken, was wir von der
römischen Entwickelung wissen. Polybios (c. 546-c. 627) von
Megalopolis im Peloponnes, des achäischen Staatsmannes Ly-
kortas Sohn, machte schon 565 wie es scheint den Zug der Römer
gegen die kleinasiatischen Kelten mit und ward später vielfach na-
mentlich während des dritten makedonischen Krieges von seinen
Landsleuten in militärischen und diplomatischen Geschäften ver-
wendet, ward sodann siebzehn Jahre (587-603) mit den an-
dern achaeischen Geiſseln in Italien confinirt und durch die Söhne
des Paullus in die vornehmen hauptstädtischen Kreise eingeführt
(I, 596), endlich nach Rücksendung der achaeischen Geiſseln
(II, 41) stehender Vermittler zwischen seiner Eidgenossenschaft

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[427/0437] LITTERATUR UND KUNST. dem mit fliegender Feder geschriebenen Brief. Aber die unver- gleichlich höhere geistige Begabung und freiere Lebensanschau- ung, die der Ritter von Suessa vor dem africanischen Sclaven voraus hatte, machten seinen Erfolg ebenso rasch und glänzend wie der des Terenz mühsam und zweifelhaft gewesen war; Lu- cilius ward sofort der Liebling der Nation und auch er konnte wie Beranger von seinen Gedichten sagen, ‚daſs sie allein unter allen vom Volke gelesen würden‘. Die ungemeine Popularität der lucilischen Gedichte ist auch geschichtlich ein bemerkens- werthes Ereigniſs; man sieht daraus, daſs die Litteratur schon eine Macht war und ohne Zweifel würden wir deren Spuren, wenn es eine wirkliche Geschichte dieser Zeit gäbe, in dersel- ben mehrfach antreffen. Die Folgezeit hat das Urtheil der Zeit- genossen nur bestätigt; die antialexandrinisch gesinnten römi- schen Kunstrichter sprachen dem Lucilius den ersten Rang un- ter allen lateinischen Dichtern zu und seine Satire ist die einzige originelle Kunstgattung geblieben, die Italien erzeugt und auf die Nachwelt vererbt hat. — Von der an den Alexandrinismus anknüpfenden Poesie ist in Rom in dieser Epoche noch im We- sentlichen nichts zu verspüren; nicht ihrer selbst wegen, aber als der erste geringe Keim dieser später so reich entwickelten Schule sind erwähnenswerth die nach alexandrinischen Epigram- men übersetzten oder nachgebildeten Gedichte des Quintus Ca- tulus (Consul 652). Die Geschichtschreibung dieser Epoche ist vor allen Dingen bezeichnet durch einen Schriftsteller, der zwar weder durch Ge- burt noch nach seinem geistigen und litterarischen Standpunct der italischen Entwicklung angehört, der aber zuerst oder viel- mehr allein die Weltstellung Roms zur schriftstellerischen Gel- tung und Darstellung gebracht hat und dem alle späteren Ge- schlechter und auch wir das Beste verdanken, was wir von der römischen Entwickelung wissen. Polybios (c. 546-c. 627) von Megalopolis im Peloponnes, des achäischen Staatsmannes Ly- kortas Sohn, machte schon 565 wie es scheint den Zug der Römer gegen die kleinasiatischen Kelten mit und ward später vielfach na- mentlich während des dritten makedonischen Krieges von seinen Landsleuten in militärischen und diplomatischen Geschäften ver- wendet, ward sodann siebzehn Jahre (587-603) mit den an- dern achaeischen Geiſseln in Italien confinirt und durch die Söhne des Paullus in die vornehmen hauptstädtischen Kreise eingeführt (I, 596), endlich nach Rücksendung der achaeischen Geiſseln (II, 41) stehender Vermittler zwischen seiner Eidgenossenschaft

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/437>, abgerufen am 24.11.2024.