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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL XIII.
aus sich gehen lässt; ein Poet wie Lucilius, der angeblich vor
Tisch zweihundert und nach Tisch wieder zweihundert Hexameter
machte, ist viel zu eilig um knapp zu sein; unnütze Weitläuftig-
keiten, schluderige Wiederholung derselben Wendung, arge Nach-
lässigkeiten begegnen häufig; das erste Wort, lateinisch oder
griechisch, ist immer das beste. Aehnlich sind die Masse, na-
mentlich der sehr vorherrschende Hexameter behandelt; wenn
man die Worte umstellt, sagt sein geistreicher Nachahmer, so würde
kein Mensch merken, dass er etwas anderes vor sich habe als ein-
fache Prosa; der Wirkung nach lassen sie sich nur mit unseren
Knittelversen vergleichen *. Die terenzischen und die lucilischen
Gedichte stehen auf demselben Bildungsniveau und verhalten sich
wie die sorgsam gepflegte und gefeilte litterarische Arbeit zu

* Für die stilistische und metrische Behandlung charakteristisch ist
folgendes längere Bruchstück:
Virtus, Albine, est pretium persolvere verum
Queis in versamur, queis vivimu' rebu' potesse;
Virtus est homini scire id quod quaeque habeat res;
Virtus scire homini rectum, utile quid sit, honestum,
Quae bona, quae mala item, quid inutile, turpe, inhonestum;
Virtus quaerendae rei finem scire modumque;
Virtus divitiis pretium persolvere posse;
Virtus id dare quod re ipsa debetur honori,
Hostem esse atque inimicum hominum morumque malorum,
Contra defensorem hominum morumque bonorum,
Hos magni facere, his bene velle, his vivere amicum;
Commoda praeterea patriae sibi prima putare,
Deinde parentum, tertia iam postremaque nostra.

Tugend ist zahlen den rechten Preis
Zu können nach ihrer Art und Weis'
Für jede Sach' in unserm Kreis;
Tugend zu wissen, was jedes Ding
Mit sich für den Menschen bring';
Tugend zu wissen, was nützlich und recht,
Was gut und übel, unnütz und schlecht;
Tugend, wenn dem Erwerb und Fleiss
Zu setzen die rechte Grenze man weiss
Und dem Reichthum den rechten Preis;
Tugend dem Rang zu geben sein Recht,
Feind zu sein Menschen und Sitten schlecht,
Freund Menschen und Sitten gut und recht;
Vor solchen zu hegen Achtung und Scheu,
Zu ihnen zu halten in Lieb' und Treu';
Immer zu sehn am ersten Theil
Auf des Vaterlandes Heil,
Sodann auf das, was den Aeltern frommt,
Und drittens der eigene Vortheil kommt.

VIERTES BUCH. KAPITEL XIII.
aus sich gehen läſst; ein Poet wie Lucilius, der angeblich vor
Tisch zweihundert und nach Tisch wieder zweihundert Hexameter
machte, ist viel zu eilig um knapp zu sein; unnütze Weitläuftig-
keiten, schluderige Wiederholung derselben Wendung, arge Nach-
lässigkeiten begegnen häufig; das erste Wort, lateinisch oder
griechisch, ist immer das beste. Aehnlich sind die Maſse, na-
mentlich der sehr vorherrschende Hexameter behandelt; wenn
man die Worte umstellt, sagt sein geistreicher Nachahmer, so würde
kein Mensch merken, daſs er etwas anderes vor sich habe als ein-
fache Prosa; der Wirkung nach lassen sie sich nur mit unseren
Knittelversen vergleichen *. Die terenzischen und die lucilischen
Gedichte stehen auf demselben Bildungsniveau und verhalten sich
wie die sorgsam gepflegte und gefeilte litterarische Arbeit zu

* Für die stilistische und metrische Behandlung charakteristisch ist
folgendes längere Bruchstück:
Virtus, Albine, est pretium persolvere verum
Queis in versamur, queis vivimu' rebu' potesse;
Virtus est homini scire id quod quaeque habeat res;
Virtus scire homini rectum, utile quid sit, honestum,
Quae bona, quae mala item, quid inutile, turpe, inhonestum;
Virtus quaerendae rei finem scire modumque;
Virtus divitiis pretium persolvere posse;
Virtus id dare quod re ipsa debetur honori,
Hostem esse atque inimicum hominum morumque malorum,
Contra defensorem hominum morumque bonorum,
Hos magni facere, his bene velle, his vivere amicum;
Commoda praeterea patriae sibi prima putare,
Deinde parentum, tertia iam postremaque nostra.

Tugend ist zahlen den rechten Preis
Zu können nach ihrer Art und Weis'
Für jede Sach' in unserm Kreis;
Tugend zu wissen, was jedes Ding
Mit sich für den Menschen bring';
Tugend zu wissen, was nützlich und recht,
Was gut und übel, unnütz und schlecht;
Tugend, wenn dem Erwerb und Fleiſs
Zu setzen die rechte Grenze man weiſs
Und dem Reichthum den rechten Preis;
Tugend dem Rang zu geben sein Recht,
Feind zu sein Menschen und Sitten schlecht,
Freund Menschen und Sitten gut und recht;
Vor solchen zu hegen Achtung und Scheu,
Zu ihnen zu halten in Lieb' und Treu';
Immer zu sehn am ersten Theil
Auf des Vaterlandes Heil,
Sodann auf das, was den Aeltern frommt,
Und drittens der eigene Vortheil kommt.
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[426/0436] VIERTES BUCH. KAPITEL XIII. aus sich gehen läſst; ein Poet wie Lucilius, der angeblich vor Tisch zweihundert und nach Tisch wieder zweihundert Hexameter machte, ist viel zu eilig um knapp zu sein; unnütze Weitläuftig- keiten, schluderige Wiederholung derselben Wendung, arge Nach- lässigkeiten begegnen häufig; das erste Wort, lateinisch oder griechisch, ist immer das beste. Aehnlich sind die Maſse, na- mentlich der sehr vorherrschende Hexameter behandelt; wenn man die Worte umstellt, sagt sein geistreicher Nachahmer, so würde kein Mensch merken, daſs er etwas anderes vor sich habe als ein- fache Prosa; der Wirkung nach lassen sie sich nur mit unseren Knittelversen vergleichen *. Die terenzischen und die lucilischen Gedichte stehen auf demselben Bildungsniveau und verhalten sich wie die sorgsam gepflegte und gefeilte litterarische Arbeit zu * Für die stilistische und metrische Behandlung charakteristisch ist folgendes längere Bruchstück: Virtus, Albine, est pretium persolvere verum Queis in versamur, queis vivimu' rebu' potesse; Virtus est homini scire id quod quaeque habeat res; Virtus scire homini rectum, utile quid sit, honestum, Quae bona, quae mala item, quid inutile, turpe, inhonestum; Virtus quaerendae rei finem scire modumque; Virtus divitiis pretium persolvere posse; Virtus id dare quod re ipsa debetur honori, Hostem esse atque inimicum hominum morumque malorum, Contra defensorem hominum morumque bonorum, Hos magni facere, his bene velle, his vivere amicum; Commoda praeterea patriae sibi prima putare, Deinde parentum, tertia iam postremaque nostra. Tugend ist zahlen den rechten Preis Zu können nach ihrer Art und Weis' Für jede Sach' in unserm Kreis; Tugend zu wissen, was jedes Ding Mit sich für den Menschen bring'; Tugend zu wissen, was nützlich und recht, Was gut und übel, unnütz und schlecht; Tugend, wenn dem Erwerb und Fleiſs Zu setzen die rechte Grenze man weiſs Und dem Reichthum den rechten Preis; Tugend dem Rang zu geben sein Recht, Feind zu sein Menschen und Sitten schlecht, Freund Menschen und Sitten gut und recht; Vor solchen zu hegen Achtung und Scheu, Zu ihnen zu halten in Lieb' und Treu'; Immer zu sehn am ersten Theil Auf des Vaterlandes Heil, Sodann auf das, was den Aeltern frommt, Und drittens der eigene Vortheil kommt.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/436>, abgerufen am 24.11.2024.