Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.VIERTES BUCH. KAPITEL I. römischen Clientel bilden solle (I, 561), ward keineswegs vomSenat eingehalten und trug auch die Unhaltbarkeit in sich selber; der politische Horizont ist Selbsttäuschung so gut wie der physische und wenn dem Staate Syrien die Zahl der ihm gestatteten Kriegs- schiffe und Kriegselephanten im Friedensvertrag normirt ward (I, 561), wenn das syrische Heer auf Befehl des römischen Se- nats das halb gewonnene Aegypten räumte (I, 595), so lag darin die vollständigste Anerkennung der Hegemonie und der Clientel. Allein eben hier zeigt es sich noch bestimmter als in den unmit- telbarer von Rom beherrschten Landschaften, wie die Hand, die so kraftvoll die Zügel ergriffen hatte, sie allmählich erschlaffen und bald gänzlich fallen liess. Noch im J. 590 hatte der rö- mische Senat die Angelegenheiten Syriens und Aegyptens in letzter Instanz geordnet. Dort stritten nach Antiochos Epipha- nes Tode (590) der als Geissel in Rom lebende Sohn Seleu- kos IV, Demetrios und des letzten Königs Antiochos Epiphanes unmündiger Sohn Antiochos Eupator um die Krone; hier war von den beiden seit 584 gemeinschaftlich regierendenBrüdern, Pto- lemaeos Philometor (573-608) und Ptolemaeos Euergetes II oder der Dicke (+ 637), der ältere durch den jüngeren aus dem Lande getrieben worden (590) und um seine Herstellung zu er- wirken persönlich in Rom erschienen. Beide Angelegenheiten ordnete der Senat ohne andere als diplomatische Mittel anzu- wenden und wesentlich im römischen Interesse. In Syrien ward Antiochos Eupator mit Beseitigung des besser berechtigten De- metrios als König anerkannt und mit der Führung der Vor- mundschaft über den königlichen Knaben der römische Senator Gnaeus Octavius vom Senat beauftragt, welcher wie begreiflich durchaus im römischen Interesse regierte, die Kriegsflotte und das Elephantenheer in Gemässheit des Friedensvertrags von 565 reducirte und im besten Zuge war den militärischen Ruin des Landes zu vollenden. In Aegypten ward nicht bloss Philometors Herstellung bewirkt, sondern auch theils um dem Bruderzwist ein Ziel zu setzen, theils um die noch immer ansehnliche Macht Aegyptens zu schwächen. Kyrene vom Reich getrennt und Euer- getes mit demselben abgefunden. ,Könige sind, wen die Römer wollen', schrieb nicht lange nachher ein jüdischer Mann, ,und wen sie nicht wollen, den verjagen sie von Land und Leuten'. Allein bald änderten sich die Dinge. Der vormundschaftliche Regent von Syrien ward in Laodikeia ermordet; der zurückge- wiesene Prätendent Demetrios entfloh aus Rom und bemächtigte sich unter dem dreisten Vorgeben, dass der römische Senat ihn VIERTES BUCH. KAPITEL I. römischen Clientel bilden solle (I, 561), ward keineswegs vomSenat eingehalten und trug auch die Unhaltbarkeit in sich selber; der politische Horizont ist Selbsttäuschung so gut wie der physische und wenn dem Staate Syrien die Zahl der ihm gestatteten Kriegs- schiffe und Kriegselephanten im Friedensvertrag normirt ward (I, 561), wenn das syrische Heer auf Befehl des römischen Se- nats das halb gewonnene Aegypten räumte (I, 595), so lag darin die vollständigste Anerkennung der Hegemonie und der Clientel. Allein eben hier zeigt es sich noch bestimmter als in den unmit- telbarer von Rom beherrschten Landschaften, wie die Hand, die so kraftvoll die Zügel ergriffen hatte, sie allmählich erschlaffen und bald gänzlich fallen lieſs. Noch im J. 590 hatte der rö- mische Senat die Angelegenheiten Syriens und Aegyptens in letzter Instanz geordnet. Dort stritten nach Antiochos Epipha- nes Tode (590) der als Geiſsel in Rom lebende Sohn Seleu- kos IV, Demetrios und des letzten Königs Antiochos Epiphanes unmündiger Sohn Antiochos Eupator um die Krone; hier war von den beiden seit 584 gemeinschaftlich regierendenBrüdern, Pto- lemaeos Philometor (573-608) und Ptolemaeos Euergetes II oder der Dicke († 637), der ältere durch den jüngeren aus dem Lande getrieben worden (590) und um seine Herstellung zu er- wirken persönlich in Rom erschienen. Beide Angelegenheiten ordnete der Senat ohne andere als diplomatische Mittel anzu- wenden und wesentlich im römischen Interesse. In Syrien ward Antiochos Eupator mit Beseitigung des besser berechtigten De- metrios als König anerkannt und mit der Führung der Vor- mundschaft über den königlichen Knaben der römische Senator Gnaeus Octavius vom Senat beauftragt, welcher wie begreiflich durchaus im römischen Interesse regierte, die Kriegsflotte und das Elephantenheer in Gemäſsheit des Friedensvertrags von 565 reducirte und im besten Zuge war den militärischen Ruin des Landes zu vollenden. In Aegypten ward nicht bloſs Philometors Herstellung bewirkt, sondern auch theils um dem Bruderzwist ein Ziel zu setzen, theils um die noch immer ansehnliche Macht Aegyptens zu schwächen. Kyrene vom Reich getrennt und Euer- getes mit demselben abgefunden. ‚Könige sind, wen die Römer wollen‘, schrieb nicht lange nachher ein jüdischer Mann, ‚und wen sie nicht wollen, den verjagen sie von Land und Leuten‘. Allein bald änderten sich die Dinge. Der vormundschaftliche Regent von Syrien ward in Laodikeia ermordet; der zurückge- wiesene Prätendent Demetrios entfloh aus Rom und bemächtigte sich unter dem dreisten Vorgeben, daſs der römische Senat ihn <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0064" n="54"/><fw place="top" type="header">VIERTES BUCH. 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VIERTES BUCH. KAPITEL I.
römischen Clientel bilden solle (I, 561), ward keineswegs vom
Senat eingehalten und trug auch die Unhaltbarkeit in sich selber;
der politische Horizont ist Selbsttäuschung so gut wie der physische
und wenn dem Staate Syrien die Zahl der ihm gestatteten Kriegs-
schiffe und Kriegselephanten im Friedensvertrag normirt ward
(I, 561), wenn das syrische Heer auf Befehl des römischen Se-
nats das halb gewonnene Aegypten räumte (I, 595), so lag darin
die vollständigste Anerkennung der Hegemonie und der Clientel.
Allein eben hier zeigt es sich noch bestimmter als in den unmit-
telbarer von Rom beherrschten Landschaften, wie die Hand, die
so kraftvoll die Zügel ergriffen hatte, sie allmählich erschlaffen
und bald gänzlich fallen lieſs. Noch im J. 590 hatte der rö-
mische Senat die Angelegenheiten Syriens und Aegyptens in
letzter Instanz geordnet. Dort stritten nach Antiochos Epipha-
nes Tode (590) der als Geiſsel in Rom lebende Sohn Seleu-
kos IV, Demetrios und des letzten Königs Antiochos Epiphanes
unmündiger Sohn Antiochos Eupator um die Krone; hier war von
den beiden seit 584 gemeinschaftlich regierendenBrüdern, Pto-
lemaeos Philometor (573-608) und Ptolemaeos Euergetes II
oder der Dicke († 637), der ältere durch den jüngeren aus dem
Lande getrieben worden (590) und um seine Herstellung zu er-
wirken persönlich in Rom erschienen. Beide Angelegenheiten
ordnete der Senat ohne andere als diplomatische Mittel anzu-
wenden und wesentlich im römischen Interesse. In Syrien ward
Antiochos Eupator mit Beseitigung des besser berechtigten De-
metrios als König anerkannt und mit der Führung der Vor-
mundschaft über den königlichen Knaben der römische Senator
Gnaeus Octavius vom Senat beauftragt, welcher wie begreiflich
durchaus im römischen Interesse regierte, die Kriegsflotte und
das Elephantenheer in Gemäſsheit des Friedensvertrags von 565
reducirte und im besten Zuge war den militärischen Ruin des
Landes zu vollenden. In Aegypten ward nicht bloſs Philometors
Herstellung bewirkt, sondern auch theils um dem Bruderzwist
ein Ziel zu setzen, theils um die noch immer ansehnliche Macht
Aegyptens zu schwächen. Kyrene vom Reich getrennt und Euer-
getes mit demselben abgefunden. ‚Könige sind, wen die Römer
wollen‘, schrieb nicht lange nachher ein jüdischer Mann, ‚und
wen sie nicht wollen, den verjagen sie von Land und Leuten‘.
Allein bald änderten sich die Dinge. Der vormundschaftliche
Regent von Syrien ward in Laodikeia ermordet; der zurückge-
wiesene Prätendent Demetrios entfloh aus Rom und bemächtigte
sich unter dem dreisten Vorgeben, daſs der römische Senat ihn
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