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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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DIE UNTERTHÄNIGEN LANDSCHAFTEN.
den Einfällen der turanischen Steppenvölker in dessen östliche
Landschaften. -- Diese Umwandlung der Völkerverhältnisse im
inneren Asien ist der Wendepunct in der Geschichte des Alter-
thums. Statt der Völkerfluth, die bisher von Westen nach Osten
sich ergossen und in dem grossen Alexander ihren letzten und
höchsten Ausdruck gefunden hatte, beginnt die Ebbe. Seit der Par-
therstaat besteht, ist nicht bloss verloren, was in Baktrien und am
Indus etwa noch von hellenischen Elementen sich erhalten haben
mochte, sondern auch das westliche Iran weicht wieder zurück
in das seit Jahrhunderten verlassene, aber noch nicht verwischte
Geleise. Der römische Senat opfert das erste wesentliche Ergeb-
niss der Politik Alexanders und leitet damit jene rückläufige Be-
wegung ein, deren letzte Ausläufer im Alhambra von Granada
und in der grossen Moschee von Constantinopel endigen. So
lange noch das Land von Ragae und Persepolis bis zum Mittel-
meer dem König von Antiocheia gehorchte, erstreckte auch
Roms Macht sich bis an die Grenze der grossen Wüste; der Par-
therstaat, nicht weil er so gar mächtig war, sondern weil er fern
von der Küste, im innern Asien seinen Schwerpunct fand, konnte
niemals eintreten in die Clientel des Mittelmeerreiches. Seit
Alexander hatte die Welt den Occidentalen allein gehört und der
Orient schien für diese nur zu sein was später Amerika und
Australien für die Europäer wurden; mit Mithradates I trat er
wieder ein in den Kreis der politischen Bewegung. Die Welt
hatte wieder zwei Herren.

Wir haben die äussere geschichtliche Entwicklung von der
Schlacht bei Pydna bis auf die Gracchenzeit in ihren Umrissen vom
Tajo zum Nil und zum Euphrat begleitet. Es ist noch übrig auf die
maritimen Verhältnisse dieser Zeit einen Blick zu werfen, obwohl
darüber sich kaum etwas Anderes sagen lässt, als dass es nir-
gends mehr eine Seemacht gab. Karthago war vernichtet, Sy-
riens Kriegsflotte vertragsmässig zu Grunde gerichtet, Aegyptens
einst so gewaltige Kriegsmarine unter seinen gegenwärtigen
schlaffen Regenten in tiefem Verfall. Die kleineren Staaten und
namentlich die Kaufstädte hatten wohl einige bewaffnete Fahr-
zeuge, aber sie genügten nicht einmal für die im Mittelmeer so
schwierige Unterdrückung des Seeraubs. Mit Nothwendigkeit
fiel diese Rom zu als der führenden Macht im Mittelmeer. So
entschieden wie ein Jahrhundert zuvor die Römer eben hierin
aufgetreten waren, wie sich ihre ganze Suprematie im Osten zu-
nächst eingeführt hatte durch die zum allgemeinen Besten ener-
gisch gehandhabte Seepolizei (I, 370), ebenso bestimmt be-

DIE UNTERTHÄNIGEN LANDSCHAFTEN.
den Einfällen der turanischen Steppenvölker in dessen östliche
Landschaften. — Diese Umwandlung der Völkerverhältnisse im
inneren Asien ist der Wendepunct in der Geschichte des Alter-
thums. Statt der Völkerfluth, die bisher von Westen nach Osten
sich ergossen und in dem groſsen Alexander ihren letzten und
höchsten Ausdruck gefunden hatte, beginnt die Ebbe. Seit der Par-
therstaat besteht, ist nicht bloſs verloren, was in Baktrien und am
Indus etwa noch von hellenischen Elementen sich erhalten haben
mochte, sondern auch das westliche Iran weicht wieder zurück
in das seit Jahrhunderten verlassene, aber noch nicht verwischte
Geleise. Der römische Senat opfert das erste wesentliche Ergeb-
niſs der Politik Alexanders und leitet damit jene rückläufige Be-
wegung ein, deren letzte Ausläufer im Alhambra von Granada
und in der groſsen Moschee von Constantinopel endigen. So
lange noch das Land von Ragae und Persepolis bis zum Mittel-
meer dem König von Antiocheia gehorchte, erstreckte auch
Roms Macht sich bis an die Grenze der groſsen Wüste; der Par-
therstaat, nicht weil er so gar mächtig war, sondern weil er fern
von der Küste, im innern Asien seinen Schwerpunct fand, konnte
niemals eintreten in die Clientel des Mittelmeerreiches. Seit
Alexander hatte die Welt den Occidentalen allein gehört und der
Orient schien für diese nur zu sein was später Amerika und
Australien für die Europäer wurden; mit Mithradates I trat er
wieder ein in den Kreis der politischen Bewegung. Die Welt
hatte wieder zwei Herren.

Wir haben die äuſsere geschichtliche Entwicklung von der
Schlacht bei Pydna bis auf die Gracchenzeit in ihren Umrissen vom
Tajo zum Nil und zum Euphrat begleitet. Es ist noch übrig auf die
maritimen Verhältnisse dieser Zeit einen Blick zu werfen, obwohl
darüber sich kaum etwas Anderes sagen läſst, als daſs es nir-
gends mehr eine Seemacht gab. Karthago war vernichtet, Sy-
riens Kriegsflotte vertragsmäſsig zu Grunde gerichtet, Aegyptens
einst so gewaltige Kriegsmarine unter seinen gegenwärtigen
schlaffen Regenten in tiefem Verfall. Die kleineren Staaten und
namentlich die Kaufstädte hatten wohl einige bewaffnete Fahr-
zeuge, aber sie genügten nicht einmal für die im Mittelmeer so
schwierige Unterdrückung des Seeraubs. Mit Nothwendigkeit
fiel diese Rom zu als der führenden Macht im Mittelmeer. So
entschieden wie ein Jahrhundert zuvor die Römer eben hierin
aufgetreten waren, wie sich ihre ganze Suprematie im Osten zu-
nächst eingeführt hatte durch die zum allgemeinen Besten ener-
gisch gehandhabte Seepolizei (I, 370), ebenso bestimmt be-

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[59/0069] DIE UNTERTHÄNIGEN LANDSCHAFTEN. den Einfällen der turanischen Steppenvölker in dessen östliche Landschaften. — Diese Umwandlung der Völkerverhältnisse im inneren Asien ist der Wendepunct in der Geschichte des Alter- thums. Statt der Völkerfluth, die bisher von Westen nach Osten sich ergossen und in dem groſsen Alexander ihren letzten und höchsten Ausdruck gefunden hatte, beginnt die Ebbe. Seit der Par- therstaat besteht, ist nicht bloſs verloren, was in Baktrien und am Indus etwa noch von hellenischen Elementen sich erhalten haben mochte, sondern auch das westliche Iran weicht wieder zurück in das seit Jahrhunderten verlassene, aber noch nicht verwischte Geleise. Der römische Senat opfert das erste wesentliche Ergeb- niſs der Politik Alexanders und leitet damit jene rückläufige Be- wegung ein, deren letzte Ausläufer im Alhambra von Granada und in der groſsen Moschee von Constantinopel endigen. So lange noch das Land von Ragae und Persepolis bis zum Mittel- meer dem König von Antiocheia gehorchte, erstreckte auch Roms Macht sich bis an die Grenze der groſsen Wüste; der Par- therstaat, nicht weil er so gar mächtig war, sondern weil er fern von der Küste, im innern Asien seinen Schwerpunct fand, konnte niemals eintreten in die Clientel des Mittelmeerreiches. Seit Alexander hatte die Welt den Occidentalen allein gehört und der Orient schien für diese nur zu sein was später Amerika und Australien für die Europäer wurden; mit Mithradates I trat er wieder ein in den Kreis der politischen Bewegung. Die Welt hatte wieder zwei Herren. Wir haben die äuſsere geschichtliche Entwicklung von der Schlacht bei Pydna bis auf die Gracchenzeit in ihren Umrissen vom Tajo zum Nil und zum Euphrat begleitet. Es ist noch übrig auf die maritimen Verhältnisse dieser Zeit einen Blick zu werfen, obwohl darüber sich kaum etwas Anderes sagen läſst, als daſs es nir- gends mehr eine Seemacht gab. Karthago war vernichtet, Sy- riens Kriegsflotte vertragsmäſsig zu Grunde gerichtet, Aegyptens einst so gewaltige Kriegsmarine unter seinen gegenwärtigen schlaffen Regenten in tiefem Verfall. Die kleineren Staaten und namentlich die Kaufstädte hatten wohl einige bewaffnete Fahr- zeuge, aber sie genügten nicht einmal für die im Mittelmeer so schwierige Unterdrückung des Seeraubs. Mit Nothwendigkeit fiel diese Rom zu als der führenden Macht im Mittelmeer. So entschieden wie ein Jahrhundert zuvor die Römer eben hierin aufgetreten waren, wie sich ihre ganze Suprematie im Osten zu- nächst eingeführt hatte durch die zum allgemeinen Besten ener- gisch gehandhabte Seepolizei (I, 370), ebenso bestimmt be-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/69>, abgerufen am 21.11.2024.