Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.FÜNFTES BUCH. KAPITEL IV. eingetreten. Der Partherkönig, dem Drängen der Römer und vorallem dem des landflüchtigen armenischen Prinzen nachgebend, war mit gewaffneter Hand in das Reich des Tigranes eingefallen und hatte denselben gezwungen sich in die unzugänglichen Ge- birge zurückzuziehen, worauf die Invasionsarmee die Belagerung der Hauptstadt Artaxata begann. Allein da dieselbe sich in die Länge zog, entfernte sich König Phraates mit dem grössten Theil seiner Truppen, worauf Tigranes das zurückgebliebene parthische Corps und die von seinem Sohn geführten armenischen Emigran- ten überwältigte und in dem ganzen Reiche seine Herrschaft wie- der herstellte. Begreiflicher Weise indess war unter diesen Um- ständen der König wenig geneigt mit den aufs Neue siegreichen Römern zu schlagen, am wenigsten sich für Mithradates aufzu- opfern, dem er minder traute als je, seit ihm die Meldung zuge- kommen war, dass sein rebellischer Sohn beabsichtigte sich zu seinem Grossvater zu begeben. So begann er mit den Römern Unterhandlungen über einen Sonderfrieden; aber er wartete den Abschluss des Vertrages nicht ab, um das Bündniss, das ihn an Mithradates fesselte, zu zerreissen. An der armenischen Grenze angelangt musste dieser vernehmen, dass der Grosskönig Tigranes einen Preis von 100 Talenten (150000 Thlr.) auf seinen Kopf gesetzt, seine Gesandten gefangen genommen und sie den Römern ausgeliefert habe. Auch diese Hoffnung also war dem König Mi- thradates vereitelt; sein Reich war in den Händen des Feindes, seine Bundesgenossen im Begriff mit demselben sich zu verglei- chen; es war nicht möglich den Krieg fortzusetzen; er musste sich glücklich schätzen, wenn es ihm gelang sich an die Ost- und Nord- gestade des schwarzen Meeres zu retten, vielleicht seinen abtrün- nigen und mit den Römern in Verbindung getretenen Sohn Ma- chares (S. 56) wieder aus dem bosporanischen Reiche zu verdrän- gen und an der Maeotis für neue Entwürfe einen neuen Boden zu finden. So schlug er sich nordwärts. Als der König auf der Flucht, die alte Grenze Kleinasiens, den Phasis, überschritten hatte, stellte Pompeius vorläufig seine Verfolgung ein; statt aber in das Quellgebiet des Euphrat zurückzukehren, wandte er sich seitwärts in das Gebiet des Araxes, um mit Tigranes ein Ende zu machen. Fast ohne Widerstand zu finden gelangte er in die Gegend von Artaxata (unweit Eriwan) und schlug drei deutsche Meilen von der Stadt sein Lager. Daselbst fand der Sohn des Grosskönigs sich zu ihm, der nach dem Sturze des Vaters das armenische Dia- dem aus der Hand der Römer zu empfangen hoffte und darum den Abschluss des Vertrages zwischen seinem Vater und den Rö- FÜNFTES BUCH. KAPITEL IV. eingetreten. Der Partherkönig, dem Drängen der Römer und vorallem dem des landflüchtigen armenischen Prinzen nachgebend, war mit gewaffneter Hand in das Reich des Tigranes eingefallen und hatte denselben gezwungen sich in die unzugänglichen Ge- birge zurückzuziehen, worauf die Invasionsarmee die Belagerung der Hauptstadt Artaxata begann. Allein da dieselbe sich in die Länge zog, entfernte sich König Phraates mit dem gröſsten Theil seiner Truppen, worauf Tigranes das zurückgebliebene parthische Corps und die von seinem Sohn geführten armenischen Emigran- ten überwältigte und in dem ganzen Reiche seine Herrschaft wie- der herstellte. Begreiflicher Weise indeſs war unter diesen Um- ständen der König wenig geneigt mit den aufs Neue siegreichen Römern zu schlagen, am wenigsten sich für Mithradates aufzu- opfern, dem er minder traute als je, seit ihm die Meldung zuge- kommen war, daſs sein rebellischer Sohn beabsichtigte sich zu seinem Groſsvater zu begeben. So begann er mit den Römern Unterhandlungen über einen Sonderfrieden; aber er wartete den Abschluſs des Vertrages nicht ab, um das Bündniſs, das ihn an Mithradates fesselte, zu zerreiſsen. An der armenischen Grenze angelangt muſste dieser vernehmen, daſs der Groſskönig Tigranes einen Preis von 100 Talenten (150000 Thlr.) auf seinen Kopf gesetzt, seine Gesandten gefangen genommen und sie den Römern ausgeliefert habe. Auch diese Hoffnung also war dem König Mi- thradates vereitelt; sein Reich war in den Händen des Feindes, seine Bundesgenossen im Begriff mit demselben sich zu verglei- chen; es war nicht möglich den Krieg fortzusetzen; er muſste sich glücklich schätzen, wenn es ihm gelang sich an die Ost- und Nord- gestade des schwarzen Meeres zu retten, vielleicht seinen abtrün- nigen und mit den Römern in Verbindung getretenen Sohn Ma- chares (S. 56) wieder aus dem bosporanischen Reiche zu verdrän- gen und an der Maeotis für neue Entwürfe einen neuen Boden zu finden. So schlug er sich nordwärts. Als der König auf der Flucht, die alte Grenze Kleinasiens, den Phasis, überschritten hatte, stellte Pompeius vorläufig seine Verfolgung ein; statt aber in das Quellgebiet des Euphrat zurückzukehren, wandte er sich seitwärts in das Gebiet des Araxes, um mit Tigranes ein Ende zu machen. Fast ohne Widerstand zu finden gelangte er in die Gegend von Artaxata (unweit Eriwan) und schlug drei deutsche Meilen von der Stadt sein Lager. Daselbst fand der Sohn des Groſskönigs sich zu ihm, der nach dem Sturze des Vaters das armenische Dia- dem aus der Hand der Römer zu empfangen hoffte und darum den Abschluſs des Vertrages zwischen seinem Vater und den Rö- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0126" n="116"/><fw place="top" type="header">FÜNFTES BUCH. KAPITEL IV.</fw><lb/> eingetreten. 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FÜNFTES BUCH. KAPITEL IV.
eingetreten. Der Partherkönig, dem Drängen der Römer und vor
allem dem des landflüchtigen armenischen Prinzen nachgebend,
war mit gewaffneter Hand in das Reich des Tigranes eingefallen
und hatte denselben gezwungen sich in die unzugänglichen Ge-
birge zurückzuziehen, worauf die Invasionsarmee die Belagerung
der Hauptstadt Artaxata begann. Allein da dieselbe sich in die
Länge zog, entfernte sich König Phraates mit dem gröſsten Theil
seiner Truppen, worauf Tigranes das zurückgebliebene parthische
Corps und die von seinem Sohn geführten armenischen Emigran-
ten überwältigte und in dem ganzen Reiche seine Herrschaft wie-
der herstellte. Begreiflicher Weise indeſs war unter diesen Um-
ständen der König wenig geneigt mit den aufs Neue siegreichen
Römern zu schlagen, am wenigsten sich für Mithradates aufzu-
opfern, dem er minder traute als je, seit ihm die Meldung zuge-
kommen war, daſs sein rebellischer Sohn beabsichtigte sich zu
seinem Groſsvater zu begeben. So begann er mit den Römern
Unterhandlungen über einen Sonderfrieden; aber er wartete den
Abschluſs des Vertrages nicht ab, um das Bündniſs, das ihn an
Mithradates fesselte, zu zerreiſsen. An der armenischen Grenze
angelangt muſste dieser vernehmen, daſs der Groſskönig Tigranes
einen Preis von 100 Talenten (150000 Thlr.) auf seinen Kopf
gesetzt, seine Gesandten gefangen genommen und sie den Römern
ausgeliefert habe. Auch diese Hoffnung also war dem König Mi-
thradates vereitelt; sein Reich war in den Händen des Feindes,
seine Bundesgenossen im Begriff mit demselben sich zu verglei-
chen; es war nicht möglich den Krieg fortzusetzen; er muſste sich
glücklich schätzen, wenn es ihm gelang sich an die Ost- und Nord-
gestade des schwarzen Meeres zu retten, vielleicht seinen abtrün-
nigen und mit den Römern in Verbindung getretenen Sohn Ma-
chares (S. 56) wieder aus dem bosporanischen Reiche zu verdrän-
gen und an der Maeotis für neue Entwürfe einen neuen Boden
zu finden. So schlug er sich nordwärts. Als der König auf der
Flucht, die alte Grenze Kleinasiens, den Phasis, überschritten hatte,
stellte Pompeius vorläufig seine Verfolgung ein; statt aber in das
Quellgebiet des Euphrat zurückzukehren, wandte er sich seitwärts
in das Gebiet des Araxes, um mit Tigranes ein Ende zu machen.
Fast ohne Widerstand zu finden gelangte er in die Gegend von
Artaxata (unweit Eriwan) und schlug drei deutsche Meilen von
der Stadt sein Lager. Daselbst fand der Sohn des Groſskönigs
sich zu ihm, der nach dem Sturze des Vaters das armenische Dia-
dem aus der Hand der Römer zu empfangen hoffte und darum
den Abschluſs des Vertrages zwischen seinem Vater und den Rö-
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