Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.LEPIDUS UND SERTORIUS. warf, aber, was vielleicht schlimmer ist, kalt und im Gutenwie im Bösen ohne Leidenschaft. Im Schlachtgetümmel sah er dem Feinde das Weisse im Auge; im bürgerlichen Leben war er ein schüchterner Mann, dem bei der geringsten Veran- lassung das Blut in die Wangen stieg und der nicht ohne Ver- legenheit öffentlich sprach, überhaupt eckig, steif und ungelenk im Verkehr war. Bei all seinem hoffärtigen Eigensinn war er, wie ja in der Regel diejenigen es sind, die mit ihrer Selbststän- digkeit renommiren, ein lenksames Werkzeug in der Hand der- jenigen, die ihn zu nehmen verstanden, namentlich seiner Freige- lassenen und Clienten, von denen er nicht fürchtete beherrscht zu werden. Zu nichts war er minder geschaffen als zum Staats- mann. Unklar über sein Ziel, ungewandt in der Wahl seiner Mittel, im Kleinen wie im Grossen kurzsichtig und rathlos pflegte er seine Unschlüssigkeit und Unsicherheit unter feierlichem Schweigen zu verbergen und wenn er täuschen wollte, nur mit dem Glauben Andere zu täuschen sich selber zu betrügen. Durch seine mili- tärische Stellung und seine landsmannschaftlichen Beziehungen fiel ihm fast ohne sein Zuthun eine ansehnliche ihm persönlich ergebene Partei zu, mit der sich die grössten Dinge hätten durch- führen lassen; allein Pompeius war in jeder Beziehung unfähig eine Partei zu leiten und zusammenzuhalten und wenn sie den- noch zusammenhielt, so geschah dies gleichfalls ohne sein Zu- thun durch das blosse Schwergewicht der Verhältnisse. Hierin wie in anderen Dingen erinnert er an Marius; aber Marius ist mit seinem bauerhaft rohen, sinnlich leidenschaftlichen Wesen doch noch minder unerträglich als dieser langweiligste und steif- leinenste aller nachgemachten grossen Männer. Seine politische Stellung war durchaus schief. Er war sullanischer Offizier und Anhänger der bestehenden Verfassung, und doch auch wieder in der Opposition gegen Sulla persönlich wie gegen das ganze sena- torische Regiment. Das Geschlecht der Pompeier, das erst seit etwa sechzig Jahren in den Consularverzeichnissen genannt ward, galt in den Augen der Aristokratie noch keineswegs als voll; auch hatte der Vater dieses Pompeius gegen den Senat eine sehr gehässige halbe Opposition gemacht (II, 251. 297) und er selbst einst in den Reihen der Cinnaner gestanden (II, 308) -- Erinne- rungen, die wohl verschwiegen, aber nicht vergessen wurden. Die eminente Stellung, die Pompeius unter Sulla sich erwarb, ent- zweite ihn innerlich ebenso sehr mit der Aristokratie, wie sie ihn äusserlich mit derselben verflocht. Schwachköpfig wie er war, ward Pompeius auf der so bedenklich rasch und leicht erklom- LEPIDUS UND SERTORIUS. warf, aber, was vielleicht schlimmer ist, kalt und im Gutenwie im Bösen ohne Leidenschaft. Im Schlachtgetümmel sah er dem Feinde das Weiſse im Auge; im bürgerlichen Leben war er ein schüchterner Mann, dem bei der geringsten Veran- lassung das Blut in die Wangen stieg und der nicht ohne Ver- legenheit öffentlich sprach, überhaupt eckig, steif und ungelenk im Verkehr war. Bei all seinem hoffärtigen Eigensinn war er, wie ja in der Regel diejenigen es sind, die mit ihrer Selbststän- digkeit renommiren, ein lenksames Werkzeug in der Hand der- jenigen, die ihn zu nehmen verstanden, namentlich seiner Freige- lassenen und Clienten, von denen er nicht fürchtete beherrscht zu werden. Zu nichts war er minder geschaffen als zum Staats- mann. Unklar über sein Ziel, ungewandt in der Wahl seiner Mittel, im Kleinen wie im Groſsen kurzsichtig und rathlos pflegte er seine Unschlüssigkeit und Unsicherheit unter feierlichem Schweigen zu verbergen und wenn er täuschen wollte, nur mit dem Glauben Andere zu täuschen sich selber zu betrügen. Durch seine mili- tärische Stellung und seine landsmannschaftlichen Beziehungen fiel ihm fast ohne sein Zuthun eine ansehnliche ihm persönlich ergebene Partei zu, mit der sich die gröſsten Dinge hätten durch- führen lassen; allein Pompeius war in jeder Beziehung unfähig eine Partei zu leiten und zusammenzuhalten und wenn sie den- noch zusammenhielt, so geschah dies gleichfalls ohne sein Zu- thun durch das bloſse Schwergewicht der Verhältnisse. Hierin wie in anderen Dingen erinnert er an Marius; aber Marius ist mit seinem bauerhaft rohen, sinnlich leidenschaftlichen Wesen doch noch minder unerträglich als dieser langweiligste und steif- leinenste aller nachgemachten groſsen Männer. Seine politische Stellung war durchaus schief. Er war sullanischer Offizier und Anhänger der bestehenden Verfassung, und doch auch wieder in der Opposition gegen Sulla persönlich wie gegen das ganze sena- torische Regiment. Das Geschlecht der Pompeier, das erst seit etwa sechzig Jahren in den Consularverzeichnissen genannt ward, galt in den Augen der Aristokratie noch keineswegs als voll; auch hatte der Vater dieses Pompeius gegen den Senat eine sehr gehässige halbe Opposition gemacht (II, 251. 297) und er selbst einst in den Reihen der Cinnaner gestanden (II, 308) — Erinne- rungen, die wohl verschwiegen, aber nicht vergessen wurden. Die eminente Stellung, die Pompeius unter Sulla sich erwarb, ent- zweite ihn innerlich ebenso sehr mit der Aristokratie, wie sie ihn äuſserlich mit derselben verflocht. 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LEPIDUS UND SERTORIUS.
warf, aber, was vielleicht schlimmer ist, kalt und im Guten
wie im Bösen ohne Leidenschaft. Im Schlachtgetümmel sah
er dem Feinde das Weiſse im Auge; im bürgerlichen Leben
war er ein schüchterner Mann, dem bei der geringsten Veran-
lassung das Blut in die Wangen stieg und der nicht ohne Ver-
legenheit öffentlich sprach, überhaupt eckig, steif und ungelenk
im Verkehr war. Bei all seinem hoffärtigen Eigensinn war er,
wie ja in der Regel diejenigen es sind, die mit ihrer Selbststän-
digkeit renommiren, ein lenksames Werkzeug in der Hand der-
jenigen, die ihn zu nehmen verstanden, namentlich seiner Freige-
lassenen und Clienten, von denen er nicht fürchtete beherrscht
zu werden. Zu nichts war er minder geschaffen als zum Staats-
mann. Unklar über sein Ziel, ungewandt in der Wahl seiner Mittel,
im Kleinen wie im Groſsen kurzsichtig und rathlos pflegte er seine
Unschlüssigkeit und Unsicherheit unter feierlichem Schweigen
zu verbergen und wenn er täuschen wollte, nur mit dem Glauben
Andere zu täuschen sich selber zu betrügen. Durch seine mili-
tärische Stellung und seine landsmannschaftlichen Beziehungen
fiel ihm fast ohne sein Zuthun eine ansehnliche ihm persönlich
ergebene Partei zu, mit der sich die gröſsten Dinge hätten durch-
führen lassen; allein Pompeius war in jeder Beziehung unfähig
eine Partei zu leiten und zusammenzuhalten und wenn sie den-
noch zusammenhielt, so geschah dies gleichfalls ohne sein Zu-
thun durch das bloſse Schwergewicht der Verhältnisse. Hierin
wie in anderen Dingen erinnert er an Marius; aber Marius ist
mit seinem bauerhaft rohen, sinnlich leidenschaftlichen Wesen
doch noch minder unerträglich als dieser langweiligste und steif-
leinenste aller nachgemachten groſsen Männer. Seine politische
Stellung war durchaus schief. Er war sullanischer Offizier und
Anhänger der bestehenden Verfassung, und doch auch wieder in
der Opposition gegen Sulla persönlich wie gegen das ganze sena-
torische Regiment. Das Geschlecht der Pompeier, das erst seit
etwa sechzig Jahren in den Consularverzeichnissen genannt ward,
galt in den Augen der Aristokratie noch keineswegs als voll;
auch hatte der Vater dieses Pompeius gegen den Senat eine sehr
gehässige halbe Opposition gemacht (II, 251. 297) und er selbst
einst in den Reihen der Cinnaner gestanden (II, 308) — Erinne-
rungen, die wohl verschwiegen, aber nicht vergessen wurden. Die
eminente Stellung, die Pompeius unter Sulla sich erwarb, ent-
zweite ihn innerlich ebenso sehr mit der Aristokratie, wie sie ihn
äuſserlich mit derselben verflocht. Schwachköpfig wie er war,
ward Pompeius auf der so bedenklich rasch und leicht erklom-
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