Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII. machten den Strom zu überschreiten. In Folge dessen brachCaesar mit seinem jetzt auf acht Legionen angewachsenen Heer im Frühjahr 697 auf gegen die belgischen Gaue. Eingedenk des tapfern und glücklichen Widerstandes, den sie funfzig Jahre zu- vor mit gesammter Hand an der Landesgrenze den Kimbrern geleistet hatte (II, 173) und gespornt durch die zahlreich aus Mittelgallien zu ihnen geflüchteten Patrioten, sandte die Eidge- nossenschaft der Belgen ihr gesammtes erstes Aufgebot, 300000 Bewaffnete unter Anführung des Königs der Suessionen Galba an ihre südliche Grenze, um Caesar daselbst zu empfangen. Nur ein einziger Gau, der der mächtigen Remer (um Rheims), schloss sich aus und schickte sich an die Rolle, die in Mittelgallien die Haeduer gespielt haben, im nördlichen zu übernehmen. In ihrem Gebiet trafen das römische und das belgische Heer fast gleich- zeitig ein. Caesar unternahm es nicht dem tapfern sechsfach stärkeren Feinde eine Schlacht zu lieferen; er lagerte sich nord- wärts der Aisne, unweit des heutigen Pont a Vere zwischen Rheims und Laon, auf einem theils durch den Fluss und durch Sümpfe, theils durch Gräben und Redouten von allen Seiten fast unangreifbar gemachten Plateau, und begnügte sich die Versuche der Belgen die Aisne zu überschreiten und ihn damit von seinen Verbindungen abzuschneiden durch defensive Massregeln zu ver- eiteln. Wenn er darauf zählte, dass die Coalition demnächst un- ter ihrer eigenen Schwere zusammenbrechen werde, so hatte er richtig gerechnet. König Galba war ein redlicher allgemein ge- achteter Mann; aber der Lenkung einer Armee von 300000 Mann auf feindlichem Boden war er nicht gewachsen. Man kam nicht weiter und die Vorräthe gingen auf die Neige; Unzufriedenheit und Entzweiung fingen an im Lager der Eidgenossen sich einzu- nisten. Die Bellovaker, den Suessionen an Macht gleich und schon verstimmt darüber, dass die Führerschaft des Gesammtaufgebots der Eidgenossen nicht an sie gekommen war, wurden durch die Meldung, dass die Haeduer als Bundesgenossen der Römer An- stalt machten in die bellovakische Landschaft einzurücken, be- wogen in Masse nach Hause zu gehen. Die Führer des Gesammt- aufgebots mussten nachgeben und die einzelnen Aufgebote in die Heimath entlassen, da sie sonst von selber gegangen sein wür- den; wenn Schande halber die sämmtlichen Gaue zugleich sich verpflichteten dem zunächst angegriffenen mit gesammter Hand zu Hülfe zu eilen, so ward durch solche unausführbare Stipula- tionen das klägliche Auseinanderlaufen der Eidgenossenschaft nur kläglich beschönigt. Es war eine Katastrophe, welche lebhaft FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII. machten den Strom zu überschreiten. In Folge dessen brachCaesar mit seinem jetzt auf acht Legionen angewachsenen Heer im Frühjahr 697 auf gegen die belgischen Gaue. Eingedenk des tapfern und glücklichen Widerstandes, den sie funfzig Jahre zu- vor mit gesammter Hand an der Landesgrenze den Kimbrern geleistet hatte (II, 173) und gespornt durch die zahlreich aus Mittelgallien zu ihnen geflüchteten Patrioten, sandte die Eidge- nossenschaft der Belgen ihr gesammtes erstes Aufgebot, 300000 Bewaffnete unter Anführung des Königs der Suessionen Galba an ihre südliche Grenze, um Caesar daselbst zu empfangen. Nur ein einziger Gau, der der mächtigen Remer (um Rheims), schloſs sich aus und schickte sich an die Rolle, die in Mittelgallien die Haeduer gespielt haben, im nördlichen zu übernehmen. In ihrem Gebiet trafen das römische und das belgische Heer fast gleich- zeitig ein. Caesar unternahm es nicht dem tapfern sechsfach stärkeren Feinde eine Schlacht zu lieferen; er lagerte sich nord- wärts der Aisne, unweit des heutigen Pont à Vère zwischen Rheims und Laon, auf einem theils durch den Fluſs und durch Sümpfe, theils durch Gräben und Redouten von allen Seiten fast unangreifbar gemachten Plateau, und begnügte sich die Versuche der Belgen die Aisne zu überschreiten und ihn damit von seinen Verbindungen abzuschneiden durch defensive Maſsregeln zu ver- eiteln. Wenn er darauf zählte, daſs die Coalition demnächst un- ter ihrer eigenen Schwere zusammenbrechen werde, so hatte er richtig gerechnet. König Galba war ein redlicher allgemein ge- achteter Mann; aber der Lenkung einer Armee von 300000 Mann auf feindlichem Boden war er nicht gewachsen. Man kam nicht weiter und die Vorräthe gingen auf die Neige; Unzufriedenheit und Entzweiung fingen an im Lager der Eidgenossen sich einzu- nisten. Die Bellovaker, den Suessionen an Macht gleich und schon verstimmt darüber, daſs die Führerschaft des Gesammtaufgebots der Eidgenossen nicht an sie gekommen war, wurden durch die Meldung, daſs die Haeduer als Bundesgenossen der Römer An- stalt machten in die bellovakische Landschaft einzurücken, be- wogen in Masse nach Hause zu gehen. Die Führer des Gesammt- aufgebots muſsten nachgeben und die einzelnen Aufgebote in die Heimath entlassen, da sie sonst von selber gegangen sein wür- den; wenn Schande halber die sämmtlichen Gaue zugleich sich verpflichteten dem zunächst angegriffenen mit gesammter Hand zu Hülfe zu eilen, so ward durch solche unausführbare Stipula- tionen das klägliche Auseinanderlaufen der Eidgenossenschaft nur kläglich beschönigt. Es war eine Katastrophe, welche lebhaft <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0246" n="236"/><fw place="top" type="header">FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.</fw><lb/> machten den Strom zu überschreiten. 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FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
machten den Strom zu überschreiten. In Folge dessen brach
Caesar mit seinem jetzt auf acht Legionen angewachsenen Heer
im Frühjahr 697 auf gegen die belgischen Gaue. Eingedenk des
tapfern und glücklichen Widerstandes, den sie funfzig Jahre zu-
vor mit gesammter Hand an der Landesgrenze den Kimbrern
geleistet hatte (II, 173) und gespornt durch die zahlreich aus
Mittelgallien zu ihnen geflüchteten Patrioten, sandte die Eidge-
nossenschaft der Belgen ihr gesammtes erstes Aufgebot, 300000
Bewaffnete unter Anführung des Königs der Suessionen Galba
an ihre südliche Grenze, um Caesar daselbst zu empfangen. Nur
ein einziger Gau, der der mächtigen Remer (um Rheims), schloſs
sich aus und schickte sich an die Rolle, die in Mittelgallien die
Haeduer gespielt haben, im nördlichen zu übernehmen. In ihrem
Gebiet trafen das römische und das belgische Heer fast gleich-
zeitig ein. Caesar unternahm es nicht dem tapfern sechsfach
stärkeren Feinde eine Schlacht zu lieferen; er lagerte sich nord-
wärts der Aisne, unweit des heutigen Pont à Vère zwischen
Rheims und Laon, auf einem theils durch den Fluſs und durch
Sümpfe, theils durch Gräben und Redouten von allen Seiten fast
unangreifbar gemachten Plateau, und begnügte sich die Versuche
der Belgen die Aisne zu überschreiten und ihn damit von seinen
Verbindungen abzuschneiden durch defensive Maſsregeln zu ver-
eiteln. Wenn er darauf zählte, daſs die Coalition demnächst un-
ter ihrer eigenen Schwere zusammenbrechen werde, so hatte er
richtig gerechnet. König Galba war ein redlicher allgemein ge-
achteter Mann; aber der Lenkung einer Armee von 300000 Mann
auf feindlichem Boden war er nicht gewachsen. Man kam nicht
weiter und die Vorräthe gingen auf die Neige; Unzufriedenheit
und Entzweiung fingen an im Lager der Eidgenossen sich einzu-
nisten. Die Bellovaker, den Suessionen an Macht gleich und schon
verstimmt darüber, daſs die Führerschaft des Gesammtaufgebots
der Eidgenossen nicht an sie gekommen war, wurden durch die
Meldung, daſs die Haeduer als Bundesgenossen der Römer An-
stalt machten in die bellovakische Landschaft einzurücken, be-
wogen in Masse nach Hause zu gehen. Die Führer des Gesammt-
aufgebots muſsten nachgeben und die einzelnen Aufgebote in die
Heimath entlassen, da sie sonst von selber gegangen sein wür-
den; wenn Schande halber die sämmtlichen Gaue zugleich sich
verpflichteten dem zunächst angegriffenen mit gesammter Hand
zu Hülfe zu eilen, so ward durch solche unausführbare Stipula-
tionen das klägliche Auseinanderlaufen der Eidgenossenschaft
nur kläglich beschönigt. Es war eine Katastrophe, welche lebhaft
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