Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS. an diejenige erinnert, die im J. 1792 fast auf demselben Bodeneintrat; und gleich wie in dem Feldzug in der Champagne war die Niederlage nur um so schwerer, weil sie ohne Schlacht erfolgt war. Die schlechte Leitung der abziehenden Armee gestattete dem römischen Feldherrn dieselbe zu verfolgen, als wäre sie eine ge- schlagene, und einen Theil der bis zuletzt gebliebenen Contin- gente aufzureiben. Aber die Folgen des Sieges beschränkten sich hierauf nicht. Wie Caesar in die westlichen Cantone der Belgen einrückte, gab einer nach dem andern fast ohne Gegenwehr sich verloren: die mächtigen Suessionen (um Soissons) ebenso wie ihre Nebenbuhler, die Bellovaker (um Beauvais) und die Ambia- ner (um Amiens). Die Städte öffneten ihre Thore, als sie die fremdartigen Belagerungsmaschinen, die auf die Mauern zurollen- den Thürme erblickten; wer sich dem fremden Herrn nicht er- geben mochte, suchte eine Zuflucht jenseit des Meeres in Britan- nien. Aber in den östlichen Cantonen regte sich energischer das Nationalgefühl. Die Veromanduer, die Atrebaten, die deutschen Aduatuker, vor allem aber die Nervier mit ihrer nicht geringen Clientel, an Zahl den Suessionen und Bellovakern wenig nachge- bend, an Tapferkeit und kräftigen Vaterlandssinn ihnen weit über- legen, schlossen einen zweiten und engeren Bund und zogen ihre Mannschaften an der oberen Sambre zusammen. Keltische Spione unterrichteten sie aufs Genaueste über die Bewegungen der rö- mischen Armee; ihre eigene Ortskunde so wie die hohen Ver- zäunungen, welche in diesen Landschaften überall angelegt waren um den dieselben oft heimsuchenden berittenen Räuberschaaren den Weg zu versperren, gestatteten den Verbündeten ihre eigenen Operationen dem Blick der Römer grösstentheils zu entziehen. Als diese an der Sambre angelangt beschäftigt waren auf dem Kamm des linken Ufers das Lager zu schlagen, während ihre Rei- terei und leichte Infanterie die jenseitigen Höhen recognoscirten, wurden die letzteren plötzlich von der gesammten Masse des feind- lichen Landsturms überfallen und den Hügel hinab in den Fluss gesprengt. In einem Augenblick hatte der Feind diesen selbst überschritten und stürmte mit todverachtender Entschlossenheit die Höhen des linken Ufers. Kaum blieb den eben mit Schanzen beschäftigten Legionen die Zeit um die Hacke mit dem Schwert zu vertauschen; die Soldaten, viele unbehelmt, mussten fechten wo sie eben standen, ohne Schlachtlinie, ohne Plan, ohne eigent- liches Commando; denn bei der Plötzlichkeit des Ueberfalls und dem von hohen Hecken durchschnittenen Terrain hatten die ein- zelnen Abtheilungen ihre Verbindung völlig verloren. Statt der DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS. an diejenige erinnert, die im J. 1792 fast auf demselben Bodeneintrat; und gleich wie in dem Feldzug in der Champagne war die Niederlage nur um so schwerer, weil sie ohne Schlacht erfolgt war. Die schlechte Leitung der abziehenden Armee gestattete dem römischen Feldherrn dieselbe zu verfolgen, als wäre sie eine ge- schlagene, und einen Theil der bis zuletzt gebliebenen Contin- gente aufzureiben. Aber die Folgen des Sieges beschränkten sich hierauf nicht. Wie Caesar in die westlichen Cantone der Belgen einrückte, gab einer nach dem andern fast ohne Gegenwehr sich verloren: die mächtigen Suessionen (um Soissons) ebenso wie ihre Nebenbuhler, die Bellovaker (um Beauvais) und die Ambia- ner (um Amiens). Die Städte öffneten ihre Thore, als sie die fremdartigen Belagerungsmaschinen, die auf die Mauern zurollen- den Thürme erblickten; wer sich dem fremden Herrn nicht er- geben mochte, suchte eine Zuflucht jenseit des Meeres in Britan- nien. Aber in den östlichen Cantonen regte sich energischer das Nationalgefühl. Die Veromanduer, die Atrebaten, die deutschen Aduatuker, vor allem aber die Nervier mit ihrer nicht geringen Clientel, an Zahl den Suessionen und Bellovakern wenig nachge- bend, an Tapferkeit und kräftigen Vaterlandssinn ihnen weit über- legen, schlossen einen zweiten und engeren Bund und zogen ihre Mannschaften an der oberen Sambre zusammen. Keltische Spione unterrichteten sie aufs Genaueste über die Bewegungen der rö- mischen Armee; ihre eigene Ortskunde so wie die hohen Ver- zäunungen, welche in diesen Landschaften überall angelegt waren um den dieselben oft heimsuchenden berittenen Räuberschaaren den Weg zu versperren, gestatteten den Verbündeten ihre eigenen Operationen dem Blick der Römer gröſstentheils zu entziehen. Als diese an der Sambre angelangt beschäftigt waren auf dem Kamm des linken Ufers das Lager zu schlagen, während ihre Rei- terei und leichte Infanterie die jenseitigen Höhen recognoscirten, wurden die letzteren plötzlich von der gesammten Masse des feind- lichen Landsturms überfallen und den Hügel hinab in den Fluſs gesprengt. In einem Augenblick hatte der Feind diesen selbst überschritten und stürmte mit todverachtender Entschlossenheit die Höhen des linken Ufers. Kaum blieb den eben mit Schanzen beschäftigten Legionen die Zeit um die Hacke mit dem Schwert zu vertauschen; die Soldaten, viele unbehelmt, muſsten fechten wo sie eben standen, ohne Schlachtlinie, ohne Plan, ohne eigent- liches Commando; denn bei der Plötzlichkeit des Ueberfalls und dem von hohen Hecken durchschnittenen Terrain hatten die ein- zelnen Abtheilungen ihre Verbindung völlig verloren. Statt der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0247" n="237"/><fw place="top" type="header">DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.</fw><lb/> an diejenige erinnert, die im J. 1792 fast auf demselben Boden<lb/> eintrat; und gleich wie in dem Feldzug in der Champagne war<lb/> die Niederlage nur um so schwerer, weil sie ohne Schlacht erfolgt<lb/> war. Die schlechte Leitung der abziehenden Armee gestattete dem<lb/> römischen Feldherrn dieselbe zu verfolgen, als wäre sie eine ge-<lb/> schlagene, und einen Theil der bis zuletzt gebliebenen Contin-<lb/> gente aufzureiben. 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Die Veromanduer, die Atrebaten, die deutschen<lb/> Aduatuker, vor allem aber die Nervier mit ihrer nicht geringen<lb/> Clientel, an Zahl den Suessionen und Bellovakern wenig nachge-<lb/> bend, an Tapferkeit und kräftigen Vaterlandssinn ihnen weit über-<lb/> legen, schlossen einen zweiten und engeren Bund und zogen ihre<lb/> Mannschaften an der oberen Sambre zusammen. 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DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
an diejenige erinnert, die im J. 1792 fast auf demselben Boden
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die Niederlage nur um so schwerer, weil sie ohne Schlacht erfolgt
war. Die schlechte Leitung der abziehenden Armee gestattete dem
römischen Feldherrn dieselbe zu verfolgen, als wäre sie eine ge-
schlagene, und einen Theil der bis zuletzt gebliebenen Contin-
gente aufzureiben. Aber die Folgen des Sieges beschränkten sich
hierauf nicht. Wie Caesar in die westlichen Cantone der Belgen
einrückte, gab einer nach dem andern fast ohne Gegenwehr sich
verloren: die mächtigen Suessionen (um Soissons) ebenso wie
ihre Nebenbuhler, die Bellovaker (um Beauvais) und die Ambia-
ner (um Amiens). Die Städte öffneten ihre Thore, als sie die
fremdartigen Belagerungsmaschinen, die auf die Mauern zurollen-
den Thürme erblickten; wer sich dem fremden Herrn nicht er-
geben mochte, suchte eine Zuflucht jenseit des Meeres in Britan-
nien. Aber in den östlichen Cantonen regte sich energischer das
Nationalgefühl. Die Veromanduer, die Atrebaten, die deutschen
Aduatuker, vor allem aber die Nervier mit ihrer nicht geringen
Clientel, an Zahl den Suessionen und Bellovakern wenig nachge-
bend, an Tapferkeit und kräftigen Vaterlandssinn ihnen weit über-
legen, schlossen einen zweiten und engeren Bund und zogen ihre
Mannschaften an der oberen Sambre zusammen. Keltische Spione
unterrichteten sie aufs Genaueste über die Bewegungen der rö-
mischen Armee; ihre eigene Ortskunde so wie die hohen Ver-
zäunungen, welche in diesen Landschaften überall angelegt waren
um den dieselben oft heimsuchenden berittenen Räuberschaaren
den Weg zu versperren, gestatteten den Verbündeten ihre eigenen
Operationen dem Blick der Römer gröſstentheils zu entziehen.
Als diese an der Sambre angelangt beschäftigt waren auf dem
Kamm des linken Ufers das Lager zu schlagen, während ihre Rei-
terei und leichte Infanterie die jenseitigen Höhen recognoscirten,
wurden die letzteren plötzlich von der gesammten Masse des feind-
lichen Landsturms überfallen und den Hügel hinab in den Fluſs
gesprengt. In einem Augenblick hatte der Feind diesen selbst
überschritten und stürmte mit todverachtender Entschlossenheit
die Höhen des linken Ufers. Kaum blieb den eben mit Schanzen
beschäftigten Legionen die Zeit um die Hacke mit dem Schwert
zu vertauschen; die Soldaten, viele unbehelmt, muſsten fechten
wo sie eben standen, ohne Schlachtlinie, ohne Plan, ohne eigent-
liches Commando; denn bei der Plötzlichkeit des Ueberfalls und
dem von hohen Hecken durchschnittenen Terrain hatten die ein-
zelnen Abtheilungen ihre Verbindung völlig verloren. Statt der
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