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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
Flucht trieb. Standhaftigkeit war die Tugend der Kelten nicht;
in Folge dieser Niederlage ging das Entsatzheer aus einander
und die Festung war also verloren. Vercingetorix hätte vielleicht
auch jetzt noch fliehen, wenigstens durch das letzte Mittel des
freien Mannes sich erretten können; er that es nicht, sondern er-
klärte im Kriegsrath, dass, da es ihm nicht gelungen sei die
Fremdherrschaft zu brechen, er bereit sei sich als Opfer hinzu-
geben und so weit möglich das Verderben von der Nation auf sein
Haupt abzulenken. So geschah es. Die keltischen Offiziere liefer-
ten ihren von der ganzen Nation feierlich erwählten Feldherrn
dem Landesfeind zu geeigneter Bestrafung aus. Hoch zu Ross
und in vollem Waffenschmucke erschien der König der Arverner
vor dem römischen Proconsul und umritt dessen Tribunal; dar-
auf gab er Ross und Waffen ab und liess schweigend auf den
Stufen zu Caesars Füssen sich nieder (702). Fünf Jahre später
ward er im Triumph durch die Gassen der italischen Hauptstadt
geführt und als Hochverräther an der römischen Nation, während
auf der Höhe des Capitols sein Ueberwinder den Göttern dersel-
ben den Feierdank darbrachte, an dessen Fuss enthauptet. Wie
nach trübe verlaufenem Tage wohl die Sonne noch im Sinken
durchbricht, so verleiht auch das Geschick noch untergehenden
Völkern wohl einen letzten grossartigen Mann. Also steht am
Ausgang der phönikischen Geschichte Hannibal, also an dem der
keltischen Vercingetorix. Keiner von beiden vermochte seine Na-
tion von der Fremdherrschaft zu erretten, aber sie haben ihr die
letzte noch übrige Schande, einen ruhmlosen Untergang, erspart.
Auch Vercingetorix hat eben wie der Karthager nicht bloss gegen
den Landesfeind kämpfen müssen, sondern vor allem gegen die
tückische antinationale Opposition verletzter Egoisten und auf-
gestörter Feiglinge, wie sie die entartete Civilisation regelmässig
begleitet; auch ihm sichern seinen Platz in der Geschichte nicht
seine Schlachten und Belagerungen, sondern dass er es vermocht
hat einer zerfahrenen und im Particularismus verkommenen Na-
tion in seiner Person einen Mittel- und Haltpunct zu geben. Und
doch giebt es wieder kaum einen schärferen Gegensatz, als der ist
zwischen dem nüchternen Bürgersmann der phönikischen Kauf-
stadt mit seinen auf das eine grosse Ziel hin funfzig Jahre hin-
durch mit unwandelbarer Energie gerichteten Plänen, und dem
kühnen Fürsten des Keltenlandes, dessen gewaltige Thaten zu-
gleich mit seiner hochherzigen Aufopferung ein kurzer Sommer
einschliesst. Das ganze Alterthum kennt keinen ritterlicheren
Mann in seinem innersten Wesen wie in seiner äusseren Erschei-

FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
Flucht trieb. Standhaftigkeit war die Tugend der Kelten nicht;
in Folge dieser Niederlage ging das Entsatzheer aus einander
und die Festung war also verloren. Vercingetorix hätte vielleicht
auch jetzt noch fliehen, wenigstens durch das letzte Mittel des
freien Mannes sich erretten können; er that es nicht, sondern er-
klärte im Kriegsrath, daſs, da es ihm nicht gelungen sei die
Fremdherrschaft zu brechen, er bereit sei sich als Opfer hinzu-
geben und so weit möglich das Verderben von der Nation auf sein
Haupt abzulenken. So geschah es. Die keltischen Offiziere liefer-
ten ihren von der ganzen Nation feierlich erwählten Feldherrn
dem Landesfeind zu geeigneter Bestrafung aus. Hoch zu Roſs
und in vollem Waffenschmucke erschien der König der Arverner
vor dem römischen Proconsul und umritt dessen Tribunal; dar-
auf gab er Roſs und Waffen ab und lieſs schweigend auf den
Stufen zu Caesars Füſsen sich nieder (702). Fünf Jahre später
ward er im Triumph durch die Gassen der italischen Hauptstadt
geführt und als Hochverräther an der römischen Nation, während
auf der Höhe des Capitols sein Ueberwinder den Göttern dersel-
ben den Feierdank darbrachte, an dessen Fuſs enthauptet. Wie
nach trübe verlaufenem Tage wohl die Sonne noch im Sinken
durchbricht, so verleiht auch das Geschick noch untergehenden
Völkern wohl einen letzten groſsartigen Mann. Also steht am
Ausgang der phönikischen Geschichte Hannibal, also an dem der
keltischen Vercingetorix. Keiner von beiden vermochte seine Na-
tion von der Fremdherrschaft zu erretten, aber sie haben ihr die
letzte noch übrige Schande, einen ruhmlosen Untergang, erspart.
Auch Vercingetorix hat eben wie der Karthager nicht bloſs gegen
den Landesfeind kämpfen müssen, sondern vor allem gegen die
tückische antinationale Opposition verletzter Egoisten und auf-
gestörter Feiglinge, wie sie die entartete Civilisation regelmäſsig
begleitet; auch ihm sichern seinen Platz in der Geschichte nicht
seine Schlachten und Belagerungen, sondern daſs er es vermocht
hat einer zerfahrenen und im Particularismus verkommenen Na-
tion in seiner Person einen Mittel- und Haltpunct zu geben. Und
doch giebt es wieder kaum einen schärferen Gegensatz, als der ist
zwischen dem nüchternen Bürgersmann der phönikischen Kauf-
stadt mit seinen auf das eine groſse Ziel hin funfzig Jahre hin-
durch mit unwandelbarer Energie gerichteten Plänen, und dem
kühnen Fürsten des Keltenlandes, dessen gewaltige Thaten zu-
gleich mit seiner hochherzigen Aufopferung ein kurzer Sommer
einschlieſst. Das ganze Alterthum kennt keinen ritterlicheren
Mann in seinem innersten Wesen wie in seiner äuſseren Erschei-

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[264/0274] FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII. Flucht trieb. Standhaftigkeit war die Tugend der Kelten nicht; in Folge dieser Niederlage ging das Entsatzheer aus einander und die Festung war also verloren. Vercingetorix hätte vielleicht auch jetzt noch fliehen, wenigstens durch das letzte Mittel des freien Mannes sich erretten können; er that es nicht, sondern er- klärte im Kriegsrath, daſs, da es ihm nicht gelungen sei die Fremdherrschaft zu brechen, er bereit sei sich als Opfer hinzu- geben und so weit möglich das Verderben von der Nation auf sein Haupt abzulenken. So geschah es. Die keltischen Offiziere liefer- ten ihren von der ganzen Nation feierlich erwählten Feldherrn dem Landesfeind zu geeigneter Bestrafung aus. Hoch zu Roſs und in vollem Waffenschmucke erschien der König der Arverner vor dem römischen Proconsul und umritt dessen Tribunal; dar- auf gab er Roſs und Waffen ab und lieſs schweigend auf den Stufen zu Caesars Füſsen sich nieder (702). Fünf Jahre später ward er im Triumph durch die Gassen der italischen Hauptstadt geführt und als Hochverräther an der römischen Nation, während auf der Höhe des Capitols sein Ueberwinder den Göttern dersel- ben den Feierdank darbrachte, an dessen Fuſs enthauptet. Wie nach trübe verlaufenem Tage wohl die Sonne noch im Sinken durchbricht, so verleiht auch das Geschick noch untergehenden Völkern wohl einen letzten groſsartigen Mann. Also steht am Ausgang der phönikischen Geschichte Hannibal, also an dem der keltischen Vercingetorix. Keiner von beiden vermochte seine Na- tion von der Fremdherrschaft zu erretten, aber sie haben ihr die letzte noch übrige Schande, einen ruhmlosen Untergang, erspart. Auch Vercingetorix hat eben wie der Karthager nicht bloſs gegen den Landesfeind kämpfen müssen, sondern vor allem gegen die tückische antinationale Opposition verletzter Egoisten und auf- gestörter Feiglinge, wie sie die entartete Civilisation regelmäſsig begleitet; auch ihm sichern seinen Platz in der Geschichte nicht seine Schlachten und Belagerungen, sondern daſs er es vermocht hat einer zerfahrenen und im Particularismus verkommenen Na- tion in seiner Person einen Mittel- und Haltpunct zu geben. Und doch giebt es wieder kaum einen schärferen Gegensatz, als der ist zwischen dem nüchternen Bürgersmann der phönikischen Kauf- stadt mit seinen auf das eine groſse Ziel hin funfzig Jahre hin- durch mit unwandelbarer Energie gerichteten Plänen, und dem kühnen Fürsten des Keltenlandes, dessen gewaltige Thaten zu- gleich mit seiner hochherzigen Aufopferung ein kurzer Sommer einschlieſst. Das ganze Alterthum kennt keinen ritterlicheren Mann in seinem innersten Wesen wie in seiner äuſseren Erschei-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/274>, abgerufen am 28.11.2024.