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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
nung. Aber der Mensch soll kein Ritter sein und am wenigsten
der Staatsmann. Es war der Ritter, nicht der Held, der es ver-
schmähte sich aus Alesia zu retten, während doch an ihm allein
der Nation mehr gelegen war als an hunderttausend gewöhnli-
chen tapferen Männern. Es war der Ritter, nicht der Held, der
sich da zum Opfer hingab, wo durch dieses Opfer nichts weiter
erreicht ward, als dass die Nation sich öffentlich entehrte und
ebenso feig wie widersinnig ihren weltgeschichtlichen Todes-
kampf mit ihrem letzten Athemzug ein Verbrechen nannte gegen
ihren Zwingherrn. Wie so ganz anders hat in den gleichen La-
gen Hannibal gehandelt! Es ist nicht möglich ohne geschicht-
liche und menschliche Theilnahme von dem edlen Arvernerkönig
zu scheiden; aber es gehört zur Signatur der keltischen Nation,
dass ihr grösster Mann doch nur ein Ritter war.

Der Fall von Alesia und die Capitulation der daselbst einge-
schlossenen Armee war für die keltische Insurrection materiell
ein herber Verlust; indess es hatten schon ebenso schwere die
Nation betroffen und doch war es möglich geblieben den Kampf
zu erneuern. Aber Vercingetorix Verlust war unersetzlich. Mit
ihm war die Einheit in die Nation gekommen; mit ihm schien
sie auch wieder entwichen. Wir finden nicht, dass die Insur-
rection einen Versuch machte die Gesammtvertheidigung fortzu-
setzen und einen andern Oberfeldherrn zu bestellen; der Patrio-
tenbund fiel von selbst aus einander und jedem Clan blieb es
überlassen wie es ihm beliebte mit den Römern sich zu vertragen
oder auch nicht. Natürlich überwog durchgängig das Verlangen
nach Ruhe. Auch Caesar hatte ein Interesse daran rasch zu Ende
zu kommen. Von den zehn ihm bewilligten Jahren waren sieben
bereits verstrichen; den letzten Sommer nahm die beabsichtigte
Bewerbung um das Consulat in Anspruch; wenn Caesars Inter-
esse wie seine Ehre verlangte, dass er die neu gewonnenen Land-
schaften in einem leidlichen und einigermassen beruhigten Frie-
densstand seinem Nachfolger übergab, so war, um einen solchen
herzustellen, die Zeit wahrlich karg zugemessen. Gnade zu üben
war in diesem Falle noch mehr Bedürfniss für den Sieger als für
die Besiegten; und er durfte seinen Stern preisen, dass die innere
Zerfahrenheit und das leichte Naturell der Kelten ihm hierin auf
halbem Weg entgegenkam. Wo, wie in den beiden angesehensten
mittelgallischen Cantons, dem der Haeduer und dem der Arver-
ner, eine starke römisch gesinnte Partei bestand, da wurde den
Landschaften sogleich nach dem Fall von Alesia die vollstän-
dige Wiederherstellung ihres früheren Verhältnisses zu Rom ge-

DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
nung. Aber der Mensch soll kein Ritter sein und am wenigsten
der Staatsmann. Es war der Ritter, nicht der Held, der es ver-
schmähte sich aus Alesia zu retten, während doch an ihm allein
der Nation mehr gelegen war als an hunderttausend gewöhnli-
chen tapferen Männern. Es war der Ritter, nicht der Held, der
sich da zum Opfer hingab, wo durch dieses Opfer nichts weiter
erreicht ward, als daſs die Nation sich öffentlich entehrte und
ebenso feig wie widersinnig ihren weltgeschichtlichen Todes-
kampf mit ihrem letzten Athemzug ein Verbrechen nannte gegen
ihren Zwingherrn. Wie so ganz anders hat in den gleichen La-
gen Hannibal gehandelt! Es ist nicht möglich ohne geschicht-
liche und menschliche Theilnahme von dem edlen Arvernerkönig
zu scheiden; aber es gehört zur Signatur der keltischen Nation,
daſs ihr gröſster Mann doch nur ein Ritter war.

Der Fall von Alesia und die Capitulation der daselbst einge-
schlossenen Armee war für die keltische Insurrection materiell
ein herber Verlust; indeſs es hatten schon ebenso schwere die
Nation betroffen und doch war es möglich geblieben den Kampf
zu erneuern. Aber Vercingetorix Verlust war unersetzlich. Mit
ihm war die Einheit in die Nation gekommen; mit ihm schien
sie auch wieder entwichen. Wir finden nicht, daſs die Insur-
rection einen Versuch machte die Gesammtvertheidigung fortzu-
setzen und einen andern Oberfeldherrn zu bestellen; der Patrio-
tenbund fiel von selbst aus einander und jedem Clan blieb es
überlassen wie es ihm beliebte mit den Römern sich zu vertragen
oder auch nicht. Natürlich überwog durchgängig das Verlangen
nach Ruhe. Auch Caesar hatte ein Interesse daran rasch zu Ende
zu kommen. Von den zehn ihm bewilligten Jahren waren sieben
bereits verstrichen; den letzten Sommer nahm die beabsichtigte
Bewerbung um das Consulat in Anspruch; wenn Caesars Inter-
esse wie seine Ehre verlangte, daſs er die neu gewonnenen Land-
schaften in einem leidlichen und einigermaſsen beruhigten Frie-
densstand seinem Nachfolger übergab, so war, um einen solchen
herzustellen, die Zeit wahrlich karg zugemessen. Gnade zu üben
war in diesem Falle noch mehr Bedürfniſs für den Sieger als für
die Besiegten; und er durfte seinen Stern preisen, daſs die innere
Zerfahrenheit und das leichte Naturell der Kelten ihm hierin auf
halbem Weg entgegenkam. Wo, wie in den beiden angesehensten
mittelgallischen Cantons, dem der Haeduer und dem der Arver-
ner, eine starke römisch gesinnte Partei bestand, da wurde den
Landschaften sogleich nach dem Fall von Alesia die vollstän-
dige Wiederherstellung ihres früheren Verhältnisses zu Rom ge-

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[265/0275] DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS. nung. Aber der Mensch soll kein Ritter sein und am wenigsten der Staatsmann. Es war der Ritter, nicht der Held, der es ver- schmähte sich aus Alesia zu retten, während doch an ihm allein der Nation mehr gelegen war als an hunderttausend gewöhnli- chen tapferen Männern. Es war der Ritter, nicht der Held, der sich da zum Opfer hingab, wo durch dieses Opfer nichts weiter erreicht ward, als daſs die Nation sich öffentlich entehrte und ebenso feig wie widersinnig ihren weltgeschichtlichen Todes- kampf mit ihrem letzten Athemzug ein Verbrechen nannte gegen ihren Zwingherrn. Wie so ganz anders hat in den gleichen La- gen Hannibal gehandelt! Es ist nicht möglich ohne geschicht- liche und menschliche Theilnahme von dem edlen Arvernerkönig zu scheiden; aber es gehört zur Signatur der keltischen Nation, daſs ihr gröſster Mann doch nur ein Ritter war. Der Fall von Alesia und die Capitulation der daselbst einge- schlossenen Armee war für die keltische Insurrection materiell ein herber Verlust; indeſs es hatten schon ebenso schwere die Nation betroffen und doch war es möglich geblieben den Kampf zu erneuern. Aber Vercingetorix Verlust war unersetzlich. Mit ihm war die Einheit in die Nation gekommen; mit ihm schien sie auch wieder entwichen. Wir finden nicht, daſs die Insur- rection einen Versuch machte die Gesammtvertheidigung fortzu- setzen und einen andern Oberfeldherrn zu bestellen; der Patrio- tenbund fiel von selbst aus einander und jedem Clan blieb es überlassen wie es ihm beliebte mit den Römern sich zu vertragen oder auch nicht. Natürlich überwog durchgängig das Verlangen nach Ruhe. Auch Caesar hatte ein Interesse daran rasch zu Ende zu kommen. Von den zehn ihm bewilligten Jahren waren sieben bereits verstrichen; den letzten Sommer nahm die beabsichtigte Bewerbung um das Consulat in Anspruch; wenn Caesars Inter- esse wie seine Ehre verlangte, daſs er die neu gewonnenen Land- schaften in einem leidlichen und einigermaſsen beruhigten Frie- densstand seinem Nachfolger übergab, so war, um einen solchen herzustellen, die Zeit wahrlich karg zugemessen. Gnade zu üben war in diesem Falle noch mehr Bedürfniſs für den Sieger als für die Besiegten; und er durfte seinen Stern preisen, daſs die innere Zerfahrenheit und das leichte Naturell der Kelten ihm hierin auf halbem Weg entgegenkam. Wo, wie in den beiden angesehensten mittelgallischen Cantons, dem der Haeduer und dem der Arver- ner, eine starke römisch gesinnte Partei bestand, da wurde den Landschaften sogleich nach dem Fall von Alesia die vollstän- dige Wiederherstellung ihres früheren Verhältnisses zu Rom ge-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/275>, abgerufen am 28.11.2024.