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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
schaaren aus dem andischen, dem carnutischen und anderen um-
liegenden Gauen sammelten sich an der unteren Loire und be-
lagerten in Limo (Poitiers) die römisch gesinnte Partei der Pic-
tonen. Allein bald fand sich ihnen gegenüber eine so ansehnliche
römische Macht zusammen, dass die Insurgenten die Belagerung
aufhoben und abzogen um die Loire zwischen sich und den Feind
zu bringen. Auf dem Marsche dahin wurden sie eingeholt und
geschlagen, worauf die Carnuten und die übrigen aufständischen
Cantone, selbst die Seegaue ihre Unterwerfung eingaben. Die
Insurrection war zu Ende; kaum dass ein kühner Freischaa-
renführer hie und da noch das nationale Banner aufrecht hielt.
Der kühne Drappes und des Vercingetorix treuer Waffengefährte
Lucterius sammelten nach der Auflösung der an der Loire ver-
sammelten Armee die Entschlossensten und warfen sich mit die-
sen in die feste Bergstadt Uxellodunum (vielleicht Capdenac un-
geweit Figeac am Lot), die ihnen unter schweren und verlust-
vollen Gefechten ausreichend zu verproviantiren gelang. Trotz
des Verlustes ihrer Führer, von denen Drappes gefangen, Lucte-
rius von der Stadt abgesprengt ward, wehrte die Besatzung sich
auf das Aeusserste; erst als Caesar selbst erschien und auf seine
Anordnung die Quelle, aus der die Belagerten ihr Wasser holten,
mittelst unterirdischer Stollen abgeleitet ward, fiel die Festung,
die letzte Burg der keltischen Nation. Um die letzten Verfechter
der Sache der Freiheit zu kennzeichnen befahl Caesar der ge-
sammten Besatzung die Hände abzuhauen und sie also, einen
jeden in seine Heimath, zu entlassen. Noch hielt sich in der Ge-
gend von Arras der König Commius und seine Streifschaar schlug
sich daselbst bis in den Winter 703/4 mit den römischen Truppen
herum. Caesar, dem alles daran lag in ganz Gallien wenigstens
dem offenen Widerstand ein Ziel zu setzen, gestattete ihm seinen
Frieden zu machen und liess es sogar hingehen, dass der erbit-
terte und mit Recht misstrauische Mann trotzig sich weigerte
persönlich im römischen Lager sich einzustellen. Es ist sehr
wahrscheinlich, dass Caesar in ähnlicher Weise bei den schwer
zugänglichen Districten im Nordwesten wie im Nordosten Gal-
liens mit einer nur nominellen Unterwerfung, vielleicht sogar
schon mit dem factischen Friedenszustand sich genügen liess *.


* Bei Caesar selbst steht dies freilich begreiflicher Weise nicht ge-
schrieben; aber eine verständliche Andeutung in dieser Beziehung giebt
Sallust (hist. 1, 9 Kritz), obwohl auch er als Caesarianer schrieb. Weitere
Beweise geben die Münzen.

DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
schaaren aus dem andischen, dem carnutischen und anderen um-
liegenden Gauen sammelten sich an der unteren Loire und be-
lagerten in Limo (Poitiers) die römisch gesinnte Partei der Pic-
tonen. Allein bald fand sich ihnen gegenüber eine so ansehnliche
römische Macht zusammen, daſs die Insurgenten die Belagerung
aufhoben und abzogen um die Loire zwischen sich und den Feind
zu bringen. Auf dem Marsche dahin wurden sie eingeholt und
geschlagen, worauf die Carnuten und die übrigen aufständischen
Cantone, selbst die Seegaue ihre Unterwerfung eingaben. Die
Insurrection war zu Ende; kaum daſs ein kühner Freischaa-
renführer hie und da noch das nationale Banner aufrecht hielt.
Der kühne Drappes und des Vercingetorix treuer Waffengefährte
Lucterius sammelten nach der Auflösung der an der Loire ver-
sammelten Armee die Entschlossensten und warfen sich mit die-
sen in die feste Bergstadt Uxellodunum (vielleicht Capdenac un-
geweit Figeac am Lot), die ihnen unter schweren und verlust-
vollen Gefechten ausreichend zu verproviantiren gelang. Trotz
des Verlustes ihrer Führer, von denen Drappes gefangen, Lucte-
rius von der Stadt abgesprengt ward, wehrte die Besatzung sich
auf das Aeuſserste; erst als Caesar selbst erschien und auf seine
Anordnung die Quelle, aus der die Belagerten ihr Wasser holten,
mittelst unterirdischer Stollen abgeleitet ward, fiel die Festung,
die letzte Burg der keltischen Nation. Um die letzten Verfechter
der Sache der Freiheit zu kennzeichnen befahl Caesar der ge-
sammten Besatzung die Hände abzuhauen und sie also, einen
jeden in seine Heimath, zu entlassen. Noch hielt sich in der Ge-
gend von Arras der König Commius und seine Streifschaar schlug
sich daselbst bis in den Winter 703/4 mit den römischen Truppen
herum. Caesar, dem alles daran lag in ganz Gallien wenigstens
dem offenen Widerstand ein Ziel zu setzen, gestattete ihm seinen
Frieden zu machen und lieſs es sogar hingehen, daſs der erbit-
terte und mit Recht miſstrauische Mann trotzig sich weigerte
persönlich im römischen Lager sich einzustellen. Es ist sehr
wahrscheinlich, daſs Caesar in ähnlicher Weise bei den schwer
zugänglichen Districten im Nordwesten wie im Nordosten Gal-
liens mit einer nur nominellen Unterwerfung, vielleicht sogar
schon mit dem factischen Friedenszustand sich genügen lieſs *.


* Bei Caesar selbst steht dies freilich begreiflicher Weise nicht ge-
schrieben; aber eine verständliche Andeutung in dieser Beziehung giebt
Sallust (hist. 1, 9 Kritz), obwohl auch er als Caesarianer schrieb. Weitere
Beweise geben die Münzen.
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[267/0277] DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS. schaaren aus dem andischen, dem carnutischen und anderen um- liegenden Gauen sammelten sich an der unteren Loire und be- lagerten in Limo (Poitiers) die römisch gesinnte Partei der Pic- tonen. Allein bald fand sich ihnen gegenüber eine so ansehnliche römische Macht zusammen, daſs die Insurgenten die Belagerung aufhoben und abzogen um die Loire zwischen sich und den Feind zu bringen. Auf dem Marsche dahin wurden sie eingeholt und geschlagen, worauf die Carnuten und die übrigen aufständischen Cantone, selbst die Seegaue ihre Unterwerfung eingaben. Die Insurrection war zu Ende; kaum daſs ein kühner Freischaa- renführer hie und da noch das nationale Banner aufrecht hielt. Der kühne Drappes und des Vercingetorix treuer Waffengefährte Lucterius sammelten nach der Auflösung der an der Loire ver- sammelten Armee die Entschlossensten und warfen sich mit die- sen in die feste Bergstadt Uxellodunum (vielleicht Capdenac un- geweit Figeac am Lot), die ihnen unter schweren und verlust- vollen Gefechten ausreichend zu verproviantiren gelang. Trotz des Verlustes ihrer Führer, von denen Drappes gefangen, Lucte- rius von der Stadt abgesprengt ward, wehrte die Besatzung sich auf das Aeuſserste; erst als Caesar selbst erschien und auf seine Anordnung die Quelle, aus der die Belagerten ihr Wasser holten, mittelst unterirdischer Stollen abgeleitet ward, fiel die Festung, die letzte Burg der keltischen Nation. Um die letzten Verfechter der Sache der Freiheit zu kennzeichnen befahl Caesar der ge- sammten Besatzung die Hände abzuhauen und sie also, einen jeden in seine Heimath, zu entlassen. Noch hielt sich in der Ge- gend von Arras der König Commius und seine Streifschaar schlug sich daselbst bis in den Winter 703/4 mit den römischen Truppen herum. Caesar, dem alles daran lag in ganz Gallien wenigstens dem offenen Widerstand ein Ziel zu setzen, gestattete ihm seinen Frieden zu machen und lieſs es sogar hingehen, daſs der erbit- terte und mit Recht miſstrauische Mann trotzig sich weigerte persönlich im römischen Lager sich einzustellen. Es ist sehr wahrscheinlich, daſs Caesar in ähnlicher Weise bei den schwer zugänglichen Districten im Nordwesten wie im Nordosten Gal- liens mit einer nur nominellen Unterwerfung, vielleicht sogar schon mit dem factischen Friedenszustand sich genügen lieſs *. * Bei Caesar selbst steht dies freilich begreiflicher Weise nicht ge- schrieben; aber eine verständliche Andeutung in dieser Beziehung giebt Sallust (hist. 1, 9 Kritz), obwohl auch er als Caesarianer schrieb. Weitere Beweise geben die Münzen.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/277>, abgerufen am 28.11.2024.