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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
über die Kelten an der Loire und Seine kaum einer der charak-
teristischen Züge vermisst wird, an denen wir gewohnt sind
Paddy zu erkennen. Es findet alles sich wieder: die Lässigkeit
in der Bestellung der Felder; die Lust am Zechen und Raufen;
die Prahlhansigkeit -- wir erinnern an jenes in dem heiligen
Hain der Arverner nach dem Sieg von Gergovia aufgehangene
Schwert des Caesar, das sein angeblicher ehemaliger Besitzer an
der geweihten Stätte lächelnd betrachtete und das heilige Gut sorg-
fältig zu schonen befahl --; die Rede voll von Vergleichen und Hy-
perbeln, von Anspielungen und barocken Wendungen; der drollige
Humor -- ein vorzügliches Beispiel davon ist die Satzung, dass,
wenn Jemand einem öffentlich Redenden ins Wort fällt, dem Stö-
renfried von Polizei wegen ein derbes und wohl sichtbares Loch
in den Rock geschnitten wird --; die innige Freude am Singen
und Sagen von den Thaten der Vorzeit und die entschiedenste
Redner- und Dichtergabe; die Neugier -- kein Kaufmann wird
durchgelassen, bevor er auf offener Strasse erzählt hat, was er
an Neuigkeiten weiss oder nicht weiss -- und die tolle Leicht-
gläubigkeit, die auf solche Nachrichten hin handelt, wesshalb es
in den besser geordneten Cantons den Wandersleuten bei stren-
ger Strafe verboten war unbeglaubigte Berichte andern als den
Gemeindebeamten mitzutheilen; die kindliche Frömmigkeit, die
in dem Priester den Vater sieht und ihn in allen Dingen um Rath
fragt; die unübertroffene Innigkeit des Nationalgefühls und das
fast familienartige Zusammenhalten der Landsleute gegen den
Fremden; die Geneigtheit unter dem ersten besten Führer sich
aufzulehnen und Banden zu bilden und daneben wieder die völ-
lige Unfähigkeit den sicheren von Uebermuth wie von Kleinmuth
entfernten Muth sich zu bewahren, die rechte Zeit zum Abwar-
ten und zum Losschlagen wahrzunehmen, zu irgend einer Orga-
nisation, zu irgend fester militärischer oder politischer Disciplin
zu gelangen oder auch nur sie zu ertragen. Es ist und bleibt
zu allen Zeiten und aller Orten dieselbe faule und poetische,
schwachmüthige und innige, neugierige, leichtgläubige, liebens-
würdige, gescheite, aber politisch durch und durch unbrauch-
bare Nation und darum ist denn auch ihr Schicksal immer und
überall dasselbe gewesen. -- Aber dass durch Caesars transal-
pinische Kriege ein grosses Volk zu Grunde ging, ist noch nicht
das bedeutendste Ergebniss dieses grossartigen Unternehmens;
weit folgenreicher als das negative war das positive Resultat. Es
leidet kaum einen Zweifel, dass, wenn das Senatregiment sein
Scheinleben noch einige Menschenalter länger gefristet hätte, die

FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
über die Kelten an der Loire und Seine kaum einer der charak-
teristischen Züge vermiſst wird, an denen wir gewohnt sind
Paddy zu erkennen. Es findet alles sich wieder: die Lässigkeit
in der Bestellung der Felder; die Lust am Zechen und Raufen;
die Prahlhansigkeit — wir erinnern an jenes in dem heiligen
Hain der Arverner nach dem Sieg von Gergovia aufgehangene
Schwert des Caesar, das sein angeblicher ehemaliger Besitzer an
der geweihten Stätte lächelnd betrachtete und das heilige Gut sorg-
fältig zu schonen befahl —; die Rede voll von Vergleichen und Hy-
perbeln, von Anspielungen und barocken Wendungen; der drollige
Humor — ein vorzügliches Beispiel davon ist die Satzung, daſs,
wenn Jemand einem öffentlich Redenden ins Wort fällt, dem Stö-
renfried von Polizei wegen ein derbes und wohl sichtbares Loch
in den Rock geschnitten wird —; die innige Freude am Singen
und Sagen von den Thaten der Vorzeit und die entschiedenste
Redner- und Dichtergabe; die Neugier — kein Kaufmann wird
durchgelassen, bevor er auf offener Straſse erzählt hat, was er
an Neuigkeiten weiſs oder nicht weiſs — und die tolle Leicht-
gläubigkeit, die auf solche Nachrichten hin handelt, weſshalb es
in den besser geordneten Cantons den Wandersleuten bei stren-
ger Strafe verboten war unbeglaubigte Berichte andern als den
Gemeindebeamten mitzutheilen; die kindliche Frömmigkeit, die
in dem Priester den Vater sieht und ihn in allen Dingen um Rath
fragt; die unübertroffene Innigkeit des Nationalgefühls und das
fast familienartige Zusammenhalten der Landsleute gegen den
Fremden; die Geneigtheit unter dem ersten besten Führer sich
aufzulehnen und Banden zu bilden und daneben wieder die völ-
lige Unfähigkeit den sicheren von Uebermuth wie von Kleinmuth
entfernten Muth sich zu bewahren, die rechte Zeit zum Abwar-
ten und zum Losschlagen wahrzunehmen, zu irgend einer Orga-
nisation, zu irgend fester militärischer oder politischer Disciplin
zu gelangen oder auch nur sie zu ertragen. Es ist und bleibt
zu allen Zeiten und aller Orten dieselbe faule und poetische,
schwachmüthige und innige, neugierige, leichtgläubige, liebens-
würdige, gescheite, aber politisch durch und durch unbrauch-
bare Nation und darum ist denn auch ihr Schicksal immer und
überall dasselbe gewesen. — Aber daſs durch Caesars transal-
pinische Kriege ein groſses Volk zu Grunde ging, ist noch nicht
das bedeutendste Ergebniſs dieses groſsartigen Unternehmens;
weit folgenreicher als das negative war das positive Resultat. Es
leidet kaum einen Zweifel, daſs, wenn das Senatregiment sein
Scheinleben noch einige Menschenalter länger gefristet hätte, die

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[272/0282] FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII. über die Kelten an der Loire und Seine kaum einer der charak- teristischen Züge vermiſst wird, an denen wir gewohnt sind Paddy zu erkennen. Es findet alles sich wieder: die Lässigkeit in der Bestellung der Felder; die Lust am Zechen und Raufen; die Prahlhansigkeit — wir erinnern an jenes in dem heiligen Hain der Arverner nach dem Sieg von Gergovia aufgehangene Schwert des Caesar, das sein angeblicher ehemaliger Besitzer an der geweihten Stätte lächelnd betrachtete und das heilige Gut sorg- fältig zu schonen befahl —; die Rede voll von Vergleichen und Hy- perbeln, von Anspielungen und barocken Wendungen; der drollige Humor — ein vorzügliches Beispiel davon ist die Satzung, daſs, wenn Jemand einem öffentlich Redenden ins Wort fällt, dem Stö- renfried von Polizei wegen ein derbes und wohl sichtbares Loch in den Rock geschnitten wird —; die innige Freude am Singen und Sagen von den Thaten der Vorzeit und die entschiedenste Redner- und Dichtergabe; die Neugier — kein Kaufmann wird durchgelassen, bevor er auf offener Straſse erzählt hat, was er an Neuigkeiten weiſs oder nicht weiſs — und die tolle Leicht- gläubigkeit, die auf solche Nachrichten hin handelt, weſshalb es in den besser geordneten Cantons den Wandersleuten bei stren- ger Strafe verboten war unbeglaubigte Berichte andern als den Gemeindebeamten mitzutheilen; die kindliche Frömmigkeit, die in dem Priester den Vater sieht und ihn in allen Dingen um Rath fragt; die unübertroffene Innigkeit des Nationalgefühls und das fast familienartige Zusammenhalten der Landsleute gegen den Fremden; die Geneigtheit unter dem ersten besten Führer sich aufzulehnen und Banden zu bilden und daneben wieder die völ- lige Unfähigkeit den sicheren von Uebermuth wie von Kleinmuth entfernten Muth sich zu bewahren, die rechte Zeit zum Abwar- ten und zum Losschlagen wahrzunehmen, zu irgend einer Orga- nisation, zu irgend fester militärischer oder politischer Disciplin zu gelangen oder auch nur sie zu ertragen. Es ist und bleibt zu allen Zeiten und aller Orten dieselbe faule und poetische, schwachmüthige und innige, neugierige, leichtgläubige, liebens- würdige, gescheite, aber politisch durch und durch unbrauch- bare Nation und darum ist denn auch ihr Schicksal immer und überall dasselbe gewesen. — Aber daſs durch Caesars transal- pinische Kriege ein groſses Volk zu Grunde ging, ist noch nicht das bedeutendste Ergebniſs dieses groſsartigen Unternehmens; weit folgenreicher als das negative war das positive Resultat. Es leidet kaum einen Zweifel, daſs, wenn das Senatregiment sein Scheinleben noch einige Menschenalter länger gefristet hätte, die

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/282>, abgerufen am 29.11.2024.