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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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neue Staat anerkannt und ohne Rivalen; Prätendenteninsurrec-
tionen und republikanische Verschwörungen mochten nachfol-
gen und neue Erschütterungen, vielleicht sogar neue Revolutio-
nen und Restaurationen hervorrufen; aber die während eines
halben Jahrtausend ununterbrochene Continuität der freien Re-
publik war durchrissen und im ganzen Umfang des weiten römi-
schen Reiches durch die Legitimität der vollendeten Thatsache
die Monarchie begründet. Der verfassungsmässige Kampf war zu
Ende; und dass er zu Ende war, das sprach Marcus Cato aus, als
er zu Utica in sein Schwert sich stürzte. Seit vielen Jahren war
er in dem Kampfe der legitimen Republik gegen ihre Bedränger
der Vormann gewesen; er hatte ihn fortgesetzt, lange nachdem
jede Hoffnung zu siegen in ihm erloschen war. Jetzt aber war
der Kampf selbst unmöglich geworden; die Republik, die Mar-
cus Brutus begründet hatte, war todt und niemals wieder ins
Leben zu erwecken; was sollten die Republikaner noch auf der
Erde? Der Schatz war geraubt, die Schildwache damit abgelöst;
wer konnte sie schelten, wenn sie heimging? Es ist mehr Adel
und vor allem mehr Verstand in Catos Tode als in seinem Leben
gewesen war. Cato war nichts weniger als ein grosser Mann; aber
bei all seiner Kurzsichtigkeit, seiner Verkehrtheit, seiner dürren
Langweiligkeit und seinen falschen Phrasen war er dennoch der
Einzige, der ein grosses dem Untergang verfallenes System in
dessen Agonie ehrlich und muthig vertrat, und darum hat er
eine grössere geschichtliche Rolle gespielt als viele weit bedeu-
tendere Männer. Es erhöht nur die Tiefe und tragische Bedeu-
tung seines Todes, dass er selber ein Thor war: eben weil Don
Quixote ein Thor ist, ist er ja eine tragische Gestalt. Es ist er-
schütternd, dass auf jener Weltbühne, darauf so viele grosse und
weise Männer gewandelt und gehandelt hatten, der Narr bestimmt
war zu epilogiren. Auch ist er nicht umsonst gestorben. Es war
ein furchtbar schlagender Protest der Republik gegen die Monar-
chie, dass der letzte Republikaner ging, als der erste Monarch
kam; ein Protest, der all jene sogenannte Verfassungsmässigkeit,
mit welcher Caesar seine Monarchie umkleidete, wie Spinne-
weben zerriss und das Schiboleth der Versöhnung aller Parteien,
unter dessen Aegide das Herrenthum erwuchs, in seiner ganzen
gleissnerischen Lügenhaftigkeit prostituirte. Der unerbittliche
Krieg, den das Gespenst der Republik Jahrhunderte lang, von
Cassius und Brutus an bis auf Thrasea und Tacitus, ja noch viel
weiter hinab, gegen die caesarische Monarchie geführt hat --
dieser Krieg der Complotte und der Litteratur ist die Erbschaft

FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
neue Staat anerkannt und ohne Rivalen; Prätendenteninsurrec-
tionen und republikanische Verschwörungen mochten nachfol-
gen und neue Erschütterungen, vielleicht sogar neue Revolutio-
nen und Restaurationen hervorrufen; aber die während eines
halben Jahrtausend ununterbrochene Continuität der freien Re-
publik war durchrissen und im ganzen Umfang des weiten römi-
schen Reiches durch die Legitimität der vollendeten Thatsache
die Monarchie begründet. Der verfassungsmäſsige Kampf war zu
Ende; und daſs er zu Ende war, das sprach Marcus Cato aus, als
er zu Utica in sein Schwert sich stürzte. Seit vielen Jahren war
er in dem Kampfe der legitimen Republik gegen ihre Bedränger
der Vormann gewesen; er hatte ihn fortgesetzt, lange nachdem
jede Hoffnung zu siegen in ihm erloschen war. Jetzt aber war
der Kampf selbst unmöglich geworden; die Republik, die Mar-
cus Brutus begründet hatte, war todt und niemals wieder ins
Leben zu erwecken; was sollten die Republikaner noch auf der
Erde? Der Schatz war geraubt, die Schildwache damit abgelöst;
wer konnte sie schelten, wenn sie heimging? Es ist mehr Adel
und vor allem mehr Verstand in Catos Tode als in seinem Leben
gewesen war. Cato war nichts weniger als ein groſser Mann; aber
bei all seiner Kurzsichtigkeit, seiner Verkehrtheit, seiner dürren
Langweiligkeit und seinen falschen Phrasen war er dennoch der
Einzige, der ein groſses dem Untergang verfallenes System in
dessen Agonie ehrlich und muthig vertrat, und darum hat er
eine gröſsere geschichtliche Rolle gespielt als viele weit bedeu-
tendere Männer. Es erhöht nur die Tiefe und tragische Bedeu-
tung seines Todes, daſs er selber ein Thor war: eben weil Don
Quixote ein Thor ist, ist er ja eine tragische Gestalt. Es ist er-
schütternd, daſs auf jener Weltbühne, darauf so viele groſse und
weise Männer gewandelt und gehandelt hatten, der Narr bestimmt
war zu epilogiren. Auch ist er nicht umsonst gestorben. Es war
ein furchtbar schlagender Protest der Republik gegen die Monar-
chie, daſs der letzte Republikaner ging, als der erste Monarch
kam; ein Protest, der all jene sogenannte Verfassungsmäſsigkeit,
mit welcher Caesar seine Monarchie umkleidete, wie Spinne-
weben zerriſs und das Schiboleth der Versöhnung aller Parteien,
unter dessen Aegide das Herrenthum erwuchs, in seiner ganzen
gleiſsnerischen Lügenhaftigkeit prostituirte. Der unerbittliche
Krieg, den das Gespenst der Republik Jahrhunderte lang, von
Cassius und Brutus an bis auf Thrasea und Tacitus, ja noch viel
weiter hinab, gegen die caesarische Monarchie geführt hat —
dieser Krieg der Complotte und der Litteratur ist die Erbschaft

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[426/0436] FÜNFTES BUCH. KAPITEL X. neue Staat anerkannt und ohne Rivalen; Prätendenteninsurrec- tionen und republikanische Verschwörungen mochten nachfol- gen und neue Erschütterungen, vielleicht sogar neue Revolutio- nen und Restaurationen hervorrufen; aber die während eines halben Jahrtausend ununterbrochene Continuität der freien Re- publik war durchrissen und im ganzen Umfang des weiten römi- schen Reiches durch die Legitimität der vollendeten Thatsache die Monarchie begründet. Der verfassungsmäſsige Kampf war zu Ende; und daſs er zu Ende war, das sprach Marcus Cato aus, als er zu Utica in sein Schwert sich stürzte. Seit vielen Jahren war er in dem Kampfe der legitimen Republik gegen ihre Bedränger der Vormann gewesen; er hatte ihn fortgesetzt, lange nachdem jede Hoffnung zu siegen in ihm erloschen war. Jetzt aber war der Kampf selbst unmöglich geworden; die Republik, die Mar- cus Brutus begründet hatte, war todt und niemals wieder ins Leben zu erwecken; was sollten die Republikaner noch auf der Erde? Der Schatz war geraubt, die Schildwache damit abgelöst; wer konnte sie schelten, wenn sie heimging? Es ist mehr Adel und vor allem mehr Verstand in Catos Tode als in seinem Leben gewesen war. Cato war nichts weniger als ein groſser Mann; aber bei all seiner Kurzsichtigkeit, seiner Verkehrtheit, seiner dürren Langweiligkeit und seinen falschen Phrasen war er dennoch der Einzige, der ein groſses dem Untergang verfallenes System in dessen Agonie ehrlich und muthig vertrat, und darum hat er eine gröſsere geschichtliche Rolle gespielt als viele weit bedeu- tendere Männer. Es erhöht nur die Tiefe und tragische Bedeu- tung seines Todes, daſs er selber ein Thor war: eben weil Don Quixote ein Thor ist, ist er ja eine tragische Gestalt. Es ist er- schütternd, daſs auf jener Weltbühne, darauf so viele groſse und weise Männer gewandelt und gehandelt hatten, der Narr bestimmt war zu epilogiren. Auch ist er nicht umsonst gestorben. Es war ein furchtbar schlagender Protest der Republik gegen die Monar- chie, daſs der letzte Republikaner ging, als der erste Monarch kam; ein Protest, der all jene sogenannte Verfassungsmäſsigkeit, mit welcher Caesar seine Monarchie umkleidete, wie Spinne- weben zerriſs und das Schiboleth der Versöhnung aller Parteien, unter dessen Aegide das Herrenthum erwuchs, in seiner ganzen gleiſsnerischen Lügenhaftigkeit prostituirte. Der unerbittliche Krieg, den das Gespenst der Republik Jahrhunderte lang, von Cassius und Brutus an bis auf Thrasea und Tacitus, ja noch viel weiter hinab, gegen die caesarische Monarchie geführt hat — dieser Krieg der Complotte und der Litteratur ist die Erbschaft

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/436>, abgerufen am 18.12.2024.