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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
nichts in Caesars Lebensgeschichte, das auch nur im Kleinen*
sich vergleichen liesse mit jenen poetisch-sinnlichen Aufwallungen,
mit der Ermordung des Kleitos oder dem Brand von Persepolis,
welche die Geschichte von seinem grossen Vorgänger in Osten be-
richtet. Er ist endlich vielleicht der Einzige unter jenen Gewalti-
gen, der den staatsmännischen Takt für das Mögliche und Un-
mögliche bis an das Ende seiner Laufbahn sich bewahrt hat und
nicht gescheitert ist an derjenigen Aufgabe, die für grossartig an-
gelegte Naturen von allen die schwerste ist, an der Aufgabe die
eigenen Schranken zu erkennen. Was möglich war hat er gelei-
stet und nie um des unmöglichen Besseren willen das mögliche
Gute unterlassen, nie es verschmäht unheilbare Uebel durch Pal-
liative wenigstens zu lindern. Aber wo er erkannte, dass das
Schicksal gesprochen, hat er immer gehorcht. Alexander am
Hyphasis, Napoleon in Moskau kehrten um, weil sie mussten
und zürnten dem Geschick, dass es auch seinen Lieblingen
nur begrenzte Erfolge gönnt; Caesar ist an der Themse und am
Rhein freiwillig zurückgegangen und gedachte auch an der Do-
nau und am Euphrat nicht ungemessene Pläne der Weltüber-
windung, sondern bloss wohlerwogene Grenzregulirungen ins
Werk zu setzen. -- So war dieser einzige Mann, den zu schil-
dern so leicht scheint und doch so unendlich schwer ist. Seine
ganze Natur ist durchsichtige Klarheit; und die Ueberlieferung
bewahrt über ihn ausgiebigere und lebendigere Kunde als über
irgend einen seiner Pairs in der antiken Welt. Eine solche Per-
sönlichkeit konnte wohl flacher oder tiefer, aber nicht eigentlich
verschieden aufgefasst werden: jedem nicht ganz verkehrten For-
scher ist das hohe Bild mit denselben wesentlichen Zügen erschie-
nen, und doch ist dasselbe anschaulich wiederzugeben noch keinem
gelungen. Das Geheimniss liegt in dessen Vollendung. Mensch-
lich wie geschichtlich steht Caesar in dem Gleichungspunct, in
welchem die grossen Gegensätze des Daseins sich in einander auf-
heben. Von gewaltigster Schöpferkraft und doch zugleich vom
durchdringendsten Verstande; nicht mehr Jüngling und noch
nicht Greis; vom höchsten Wollen und vom höchsten Vollbrin-
gen; erfüllt von republikanischen Idealen und zugleich geboren
zum König; ein Römer im tiefsten Kern seines Wesens und wie-

* Wenn der Handel mit Laberius, den der bekannte Prolog erzählt, als
ein Beispiel von Caesars Tyrannenlaunen angeführt worden ist, so hat man
die Ironie der Situation wie des Dichters gründlich verkannt; ganz abge-
sehen von der Naivetät den sein Honorar bereitwillig einstreichenden Poe-
ten als Märtyrer zu bedauern.

FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
nichts in Caesars Lebensgeschichte, das auch nur im Kleinen*
sich vergleichen lieſse mit jenen poetisch-sinnlichen Aufwallungen,
mit der Ermordung des Kleitos oder dem Brand von Persepolis,
welche die Geschichte von seinem groſsen Vorgänger in Osten be-
richtet. Er ist endlich vielleicht der Einzige unter jenen Gewalti-
gen, der den staatsmännischen Takt für das Mögliche und Un-
mögliche bis an das Ende seiner Laufbahn sich bewahrt hat und
nicht gescheitert ist an derjenigen Aufgabe, die für groſsartig an-
gelegte Naturen von allen die schwerste ist, an der Aufgabe die
eigenen Schranken zu erkennen. Was möglich war hat er gelei-
stet und nie um des unmöglichen Besseren willen das mögliche
Gute unterlassen, nie es verschmäht unheilbare Uebel durch Pal-
liative wenigstens zu lindern. Aber wo er erkannte, daſs das
Schicksal gesprochen, hat er immer gehorcht. Alexander am
Hyphasis, Napoleon in Moskau kehrten um, weil sie muſsten
und zürnten dem Geschick, daſs es auch seinen Lieblingen
nur begrenzte Erfolge gönnt; Caesar ist an der Themse und am
Rhein freiwillig zurückgegangen und gedachte auch an der Do-
nau und am Euphrat nicht ungemessene Pläne der Weltüber-
windung, sondern bloſs wohlerwogene Grenzregulirungen ins
Werk zu setzen. — So war dieser einzige Mann, den zu schil-
dern so leicht scheint und doch so unendlich schwer ist. Seine
ganze Natur ist durchsichtige Klarheit; und die Ueberlieferung
bewahrt über ihn ausgiebigere und lebendigere Kunde als über
irgend einen seiner Pairs in der antiken Welt. Eine solche Per-
sönlichkeit konnte wohl flacher oder tiefer, aber nicht eigentlich
verschieden aufgefaſst werden: jedem nicht ganz verkehrten For-
scher ist das hohe Bild mit denselben wesentlichen Zügen erschie-
nen, und doch ist dasselbe anschaulich wiederzugeben noch keinem
gelungen. Das Geheimniſs liegt in dessen Vollendung. Mensch-
lich wie geschichtlich steht Caesar in dem Gleichungspunct, in
welchem die groſsen Gegensätze des Daseins sich in einander auf-
heben. Von gewaltigster Schöpferkraft und doch zugleich vom
durchdringendsten Verstande; nicht mehr Jüngling und noch
nicht Greis; vom höchsten Wollen und vom höchsten Vollbrin-
gen; erfüllt von republikanischen Idealen und zugleich geboren
zum König; ein Römer im tiefsten Kern seines Wesens und wie-

* Wenn der Handel mit Laberius, den der bekannte Prolog erzählt, als
ein Beispiel von Caesars Tyrannenlaunen angeführt worden ist, so hat man
die Ironie der Situation wie des Dichters gründlich verkannt; ganz abge-
sehen von der Naivetät den sein Honorar bereitwillig einstreichenden Poe-
ten als Märtyrer zu bedauern.
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[434/0444] FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI. nichts in Caesars Lebensgeschichte, das auch nur im Kleinen * sich vergleichen lieſse mit jenen poetisch-sinnlichen Aufwallungen, mit der Ermordung des Kleitos oder dem Brand von Persepolis, welche die Geschichte von seinem groſsen Vorgänger in Osten be- richtet. Er ist endlich vielleicht der Einzige unter jenen Gewalti- gen, der den staatsmännischen Takt für das Mögliche und Un- mögliche bis an das Ende seiner Laufbahn sich bewahrt hat und nicht gescheitert ist an derjenigen Aufgabe, die für groſsartig an- gelegte Naturen von allen die schwerste ist, an der Aufgabe die eigenen Schranken zu erkennen. Was möglich war hat er gelei- stet und nie um des unmöglichen Besseren willen das mögliche Gute unterlassen, nie es verschmäht unheilbare Uebel durch Pal- liative wenigstens zu lindern. Aber wo er erkannte, daſs das Schicksal gesprochen, hat er immer gehorcht. Alexander am Hyphasis, Napoleon in Moskau kehrten um, weil sie muſsten und zürnten dem Geschick, daſs es auch seinen Lieblingen nur begrenzte Erfolge gönnt; Caesar ist an der Themse und am Rhein freiwillig zurückgegangen und gedachte auch an der Do- nau und am Euphrat nicht ungemessene Pläne der Weltüber- windung, sondern bloſs wohlerwogene Grenzregulirungen ins Werk zu setzen. — So war dieser einzige Mann, den zu schil- dern so leicht scheint und doch so unendlich schwer ist. Seine ganze Natur ist durchsichtige Klarheit; und die Ueberlieferung bewahrt über ihn ausgiebigere und lebendigere Kunde als über irgend einen seiner Pairs in der antiken Welt. Eine solche Per- sönlichkeit konnte wohl flacher oder tiefer, aber nicht eigentlich verschieden aufgefaſst werden: jedem nicht ganz verkehrten For- scher ist das hohe Bild mit denselben wesentlichen Zügen erschie- nen, und doch ist dasselbe anschaulich wiederzugeben noch keinem gelungen. Das Geheimniſs liegt in dessen Vollendung. Mensch- lich wie geschichtlich steht Caesar in dem Gleichungspunct, in welchem die groſsen Gegensätze des Daseins sich in einander auf- heben. Von gewaltigster Schöpferkraft und doch zugleich vom durchdringendsten Verstande; nicht mehr Jüngling und noch nicht Greis; vom höchsten Wollen und vom höchsten Vollbrin- gen; erfüllt von republikanischen Idealen und zugleich geboren zum König; ein Römer im tiefsten Kern seines Wesens und wie- * Wenn der Handel mit Laberius, den der bekannte Prolog erzählt, als ein Beispiel von Caesars Tyrannenlaunen angeführt worden ist, so hat man die Ironie der Situation wie des Dichters gründlich verkannt; ganz abge- sehen von der Naivetät den sein Honorar bereitwillig einstreichenden Poe- ten als Märtyrer zu bedauern.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/444>, abgerufen am 18.12.2024.