Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.REPUBLIK UND MONARCHIE. der berufen die römische und die hellenische Entwicklung in sichwie nach aussen hin zu versöhnen und zu vermählen, ist Caesar der ganze und vollständige Mann. Darum fehlt es denn auch bei ihm mehr als bei irgend einer anderen geschichtlichen Persön- lichkeit an den sogenannten charakteristischen Zügen, welche ja doch nichts anderes sind als Abweichungen von der naturgemäs- sen menschlichen Entwicklung. Was dem ersten oberflächlichen Blick dafür gilt, zeigt sich bei näherer Betrachtung nicht als In- dividualität, sondern als Eigenthümlichkeit der Culturepoche oder der Nation; wie denn seine Jugendabenteuer ihm mit allen gleich- gestellten begabteren Zeitgenossen gemein sind, sein unpoetisches, aber energisch logisches Naturell das Naturell der Römer über- haupt ist. Es gehört dies mit zu Caesars voller Menschlichkeit, dass er im höchsten Grade durch Zeit und Ort bedingt ward; denn eine Menschlichkeit an sich giebt es nicht, sondern der lebendige Mensch kann eben nicht anders als in einer gegebenen Volkseigen- thümlichkeit und in einem bestimmten Culturzug stehen. Nur da- durch war Caesar ein voller Mann, weil er wie kein anderer mit- ten in die Strömungen seiner Zeit sich gestellt hatte und weil er die kernige Eigenthümlichkeit der römischen Nation, die reale bürgerliche Tüchtigkeit vollendet wie kein anderer in sich trug; wie denn auch sein Hellenismus nur derjenige war, der mit der italischen Nationalität längst sich innig verwachsen hatte. Aber eben hierin liegt auch die Schwierigkeit, man darf vielleicht sagen die Unmöglichkeit Caesar anschaulich zu schildern. Wie der Künstler alles malen kann, nur nicht die vollendete Schönheit, so kann auch der Geschichtschreiber, wo ihm alle tausend Jahre einmal das Vollkommene begegnet, nur darüber schweigen. Denn es lässt die Regel wohl sich aussprechen, aber sie giebt uns nur die negative Vorstellung von der Abwesenheit des Mangels; das Geheimniss der Natur, in ihren vollendetsten Offenbarungen Nor- malität und Individualität mit einander zu verbinden, ist unaus- sprechlich. Uns bleibt nichts als diejenigen glücklich zu preisen, die dieses Vollkommene schauten, und eine Ahnung desselben aus dem Abglanz zu gewinnen, der auf den von dieser grossen Natur geschaffenen Werken unvergänglich ruht. Zwar tragen auch diese den Stempel der Zeit. Der römische Mann selbst stellte sei- nem jugendlichen griechischen Vorgänger nicht bloss ebenbürtig, sondern überlegen sich an die Seite; aber die Welt inzwischen war alt geworden und ihr jugendlicher Schimmer verblasst. Caesars Thätigkeit ist nicht mehr wie die Alexanders ein freudiges Vor- wärtsstreben in die ungemessene Weite; er baute auf und aus 28*
REPUBLIK UND MONARCHIE. der berufen die römische und die hellenische Entwicklung in sichwie nach auſsen hin zu versöhnen und zu vermählen, ist Caesar der ganze und vollständige Mann. Darum fehlt es denn auch bei ihm mehr als bei irgend einer anderen geschichtlichen Persön- lichkeit an den sogenannten charakteristischen Zügen, welche ja doch nichts anderes sind als Abweichungen von der naturgemäs- sen menschlichen Entwicklung. Was dem ersten oberflächlichen Blick dafür gilt, zeigt sich bei näherer Betrachtung nicht als In- dividualität, sondern als Eigenthümlichkeit der Culturepoche oder der Nation; wie denn seine Jugendabenteuer ihm mit allen gleich- gestellten begabteren Zeitgenossen gemein sind, sein unpoetisches, aber energisch logisches Naturell das Naturell der Römer über- haupt ist. Es gehört dies mit zu Caesars voller Menschlichkeit, daſs er im höchsten Grade durch Zeit und Ort bedingt ward; denn eine Menschlichkeit an sich giebt es nicht, sondern der lebendige Mensch kann eben nicht anders als in einer gegebenen Volkseigen- thümlichkeit und in einem bestimmten Culturzug stehen. Nur da- durch war Caesar ein voller Mann, weil er wie kein anderer mit- ten in die Strömungen seiner Zeit sich gestellt hatte und weil er die kernige Eigenthümlichkeit der römischen Nation, die reale bürgerliche Tüchtigkeit vollendet wie kein anderer in sich trug; wie denn auch sein Hellenismus nur derjenige war, der mit der italischen Nationalität längst sich innig verwachsen hatte. Aber eben hierin liegt auch die Schwierigkeit, man darf vielleicht sagen die Unmöglichkeit Caesar anschaulich zu schildern. Wie der Künstler alles malen kann, nur nicht die vollendete Schönheit, so kann auch der Geschichtschreiber, wo ihm alle tausend Jahre einmal das Vollkommene begegnet, nur darüber schweigen. Denn es läſst die Regel wohl sich aussprechen, aber sie giebt uns nur die negative Vorstellung von der Abwesenheit des Mangels; das Geheimniſs der Natur, in ihren vollendetsten Offenbarungen Nor- malität und Individualität mit einander zu verbinden, ist unaus- sprechlich. Uns bleibt nichts als diejenigen glücklich zu preisen, die dieses Vollkommene schauten, und eine Ahnung desselben aus dem Abglanz zu gewinnen, der auf den von dieser groſsen Natur geschaffenen Werken unvergänglich ruht. Zwar tragen auch diese den Stempel der Zeit. Der römische Mann selbst stellte sei- nem jugendlichen griechischen Vorgänger nicht bloſs ebenbürtig, sondern überlegen sich an die Seite; aber die Welt inzwischen war alt geworden und ihr jugendlicher Schimmer verblaſst. Caesars Thätigkeit ist nicht mehr wie die Alexanders ein freudiges Vor- wärtsstreben in die ungemessene Weite; er baute auf und aus 28*
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REPUBLIK UND MONARCHIE.
der berufen die römische und die hellenische Entwicklung in sich
wie nach auſsen hin zu versöhnen und zu vermählen, ist Caesar
der ganze und vollständige Mann. Darum fehlt es denn auch bei
ihm mehr als bei irgend einer anderen geschichtlichen Persön-
lichkeit an den sogenannten charakteristischen Zügen, welche ja
doch nichts anderes sind als Abweichungen von der naturgemäs-
sen menschlichen Entwicklung. Was dem ersten oberflächlichen
Blick dafür gilt, zeigt sich bei näherer Betrachtung nicht als In-
dividualität, sondern als Eigenthümlichkeit der Culturepoche oder
der Nation; wie denn seine Jugendabenteuer ihm mit allen gleich-
gestellten begabteren Zeitgenossen gemein sind, sein unpoetisches,
aber energisch logisches Naturell das Naturell der Römer über-
haupt ist. Es gehört dies mit zu Caesars voller Menschlichkeit,
daſs er im höchsten Grade durch Zeit und Ort bedingt ward; denn
eine Menschlichkeit an sich giebt es nicht, sondern der lebendige
Mensch kann eben nicht anders als in einer gegebenen Volkseigen-
thümlichkeit und in einem bestimmten Culturzug stehen. Nur da-
durch war Caesar ein voller Mann, weil er wie kein anderer mit-
ten in die Strömungen seiner Zeit sich gestellt hatte und weil
er die kernige Eigenthümlichkeit der römischen Nation, die reale
bürgerliche Tüchtigkeit vollendet wie kein anderer in sich trug;
wie denn auch sein Hellenismus nur derjenige war, der mit der
italischen Nationalität längst sich innig verwachsen hatte. Aber
eben hierin liegt auch die Schwierigkeit, man darf vielleicht sagen
die Unmöglichkeit Caesar anschaulich zu schildern. Wie der
Künstler alles malen kann, nur nicht die vollendete Schönheit, so
kann auch der Geschichtschreiber, wo ihm alle tausend Jahre
einmal das Vollkommene begegnet, nur darüber schweigen. Denn
es läſst die Regel wohl sich aussprechen, aber sie giebt uns nur
die negative Vorstellung von der Abwesenheit des Mangels; das
Geheimniſs der Natur, in ihren vollendetsten Offenbarungen Nor-
malität und Individualität mit einander zu verbinden, ist unaus-
sprechlich. Uns bleibt nichts als diejenigen glücklich zu preisen,
die dieses Vollkommene schauten, und eine Ahnung desselben
aus dem Abglanz zu gewinnen, der auf den von dieser groſsen
Natur geschaffenen Werken unvergänglich ruht. Zwar tragen auch
diese den Stempel der Zeit. Der römische Mann selbst stellte sei-
nem jugendlichen griechischen Vorgänger nicht bloſs ebenbürtig,
sondern überlegen sich an die Seite; aber die Welt inzwischen war
alt geworden und ihr jugendlicher Schimmer verblaſst. Caesars
Thätigkeit ist nicht mehr wie die Alexanders ein freudiges Vor-
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