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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
während er zugleich als oberster Richter der Nation Scheidung
und Ehebruch mit einem nach römischen Begriffen unerhörten
Rigorismus behandelte. Er verschmähte es sogar nicht ein de-
taillirtes Luxusgesetz zu erlassen, das unter Anderm die Bauver-
schwendung wenigstens in einem ihrer unsinnigsten Auswüchse,
den Grabmonumenten beschnitt, den Gebrauch von Purpurge-
wändern und Perlen auf gewisse Zeiten, Alters- und Rangklassen
beschränkte und ihn erwachsenen Männern ganz untersagte, dem
Tafelaufwand ein Maximum setzte und eine Anzahl Luxusgerichte
geradezu verbot. Dergleichen Verordnungen waren freilich nicht
neu; aber neu war es, dass der ,Sittenmeister' ernstlich über deren
Befolgung hielt, die Esswaarenmärkte durch bezahlte Aufpasser
überwachte, ja den vornehmen Herren durch seine Gerichtsdiener
die Tafel revidiren und die verbotenen Schüsseln auf dieser selbst
confisciren liess. Durch solche theoretische und praktische Unter-
weisung in der Mässigkeit, welche die neue monarchische Polizei
der vornehmen Welt ertheilte, konnte freilich kaum mehr erreicht
werden, als dass der Luxus sich etwas mehr in die Verborgenheit
zurückzog; allein wenn die Heuchelei die Huldigung ist, die das
Laster der Tugend darbringt, so war unter den damaligen Ver-
hältnissen selbst eine polizeilich hergestellte Scheinehrbarkeit
ein nicht zu verachtender Fortschritt zum Bessern. Ernsterer
Art waren und mehr Erfolg versprachen die Massregeln Caesars
zur besseren Regulirung der italischen Geld- und Bodenwirth-
schaft. Zunächst handelte es sich hier um transitorische Bestim-
mungen hinsichtlich des Geldmangels und der Schuldenkrise
überhaupt. Das durch den Lärm über die zurückgehaltenen Ca-
pitalien hervorgerufene Gesetz, dass Niemand über 60,000 Sester-
zen (4290 Thlr.) an baarem Gold und Silber vorräthig haben
dürfe, mag wohl nur erlassen sein, um den Zorn des blinden
Publicums gegen die Wucherer zu beschwichtigen; dass Cae-
sar dieser Verfügung sich schämte, zeigt die Form der Publica-
tion, wobei fingirt ward, dass hiermit nur ein älteres in Ver-
gessenheit gerathenes Gesetz wieder eingeschärft werde, und
schwerlich wird davon ernstlich Anwendung gemacht sein. Eine
weit ernstere Frage war die Behandlung der schwebenden For-
derungen, deren vollständigen Erlass die Partei, die sich die
seinige genannt, mit Ungestüm begehrte. Dass Caesar auf dieses
Begehren so nicht einging, ward schon gesagt (S. 437); indess
wurden und zwar schon im J. 705 den Schuldnern zwei wichtige
Zugeständnisse gemacht. Einmal wurden die rückständigen Zin-

FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
während er zugleich als oberster Richter der Nation Scheidung
und Ehebruch mit einem nach römischen Begriffen unerhörten
Rigorismus behandelte. Er verschmähte es sogar nicht ein de-
taillirtes Luxusgesetz zu erlassen, das unter Anderm die Bauver-
schwendung wenigstens in einem ihrer unsinnigsten Auswüchse,
den Grabmonumenten beschnitt, den Gebrauch von Purpurge-
wändern und Perlen auf gewisse Zeiten, Alters- und Rangklassen
beschränkte und ihn erwachsenen Männern ganz untersagte, dem
Tafelaufwand ein Maximum setzte und eine Anzahl Luxusgerichte
geradezu verbot. Dergleichen Verordnungen waren freilich nicht
neu; aber neu war es, daſs der ‚Sittenmeister‘ ernstlich über deren
Befolgung hielt, die Eſswaarenmärkte durch bezahlte Aufpasser
überwachte, ja den vornehmen Herren durch seine Gerichtsdiener
die Tafel revidiren und die verbotenen Schüsseln auf dieser selbst
confisciren lieſs. Durch solche theoretische und praktische Unter-
weisung in der Mäſsigkeit, welche die neue monarchische Polizei
der vornehmen Welt ertheilte, konnte freilich kaum mehr erreicht
werden, als daſs der Luxus sich etwas mehr in die Verborgenheit
zurückzog; allein wenn die Heuchelei die Huldigung ist, die das
Laster der Tugend darbringt, so war unter den damaligen Ver-
hältnissen selbst eine polizeilich hergestellte Scheinehrbarkeit
ein nicht zu verachtender Fortschritt zum Bessern. Ernsterer
Art waren und mehr Erfolg versprachen die Maſsregeln Caesars
zur besseren Regulirung der italischen Geld- und Bodenwirth-
schaft. Zunächst handelte es sich hier um transitorische Bestim-
mungen hinsichtlich des Geldmangels und der Schuldenkrise
überhaupt. Das durch den Lärm über die zurückgehaltenen Ca-
pitalien hervorgerufene Gesetz, daſs Niemand über 60,000 Sester-
zen (4290 Thlr.) an baarem Gold und Silber vorräthig haben
dürfe, mag wohl nur erlassen sein, um den Zorn des blinden
Publicums gegen die Wucherer zu beschwichtigen; daſs Cae-
sar dieser Verfügung sich schämte, zeigt die Form der Publica-
tion, wobei fingirt ward, daſs hiermit nur ein älteres in Ver-
gessenheit gerathenes Gesetz wieder eingeschärft werde, und
schwerlich wird davon ernstlich Anwendung gemacht sein. Eine
weit ernstere Frage war die Behandlung der schwebenden For-
derungen, deren vollständigen Erlaſs die Partei, die sich die
seinige genannt, mit Ungestüm begehrte. Daſs Caesar auf dieses
Begehren so nicht einging, ward schon gesagt (S. 437); indeſs
wurden und zwar schon im J. 705 den Schuldnern zwei wichtige
Zugeständnisse gemacht. Einmal wurden die rückständigen Zin-

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[492/0502] FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI. während er zugleich als oberster Richter der Nation Scheidung und Ehebruch mit einem nach römischen Begriffen unerhörten Rigorismus behandelte. Er verschmähte es sogar nicht ein de- taillirtes Luxusgesetz zu erlassen, das unter Anderm die Bauver- schwendung wenigstens in einem ihrer unsinnigsten Auswüchse, den Grabmonumenten beschnitt, den Gebrauch von Purpurge- wändern und Perlen auf gewisse Zeiten, Alters- und Rangklassen beschränkte und ihn erwachsenen Männern ganz untersagte, dem Tafelaufwand ein Maximum setzte und eine Anzahl Luxusgerichte geradezu verbot. Dergleichen Verordnungen waren freilich nicht neu; aber neu war es, daſs der ‚Sittenmeister‘ ernstlich über deren Befolgung hielt, die Eſswaarenmärkte durch bezahlte Aufpasser überwachte, ja den vornehmen Herren durch seine Gerichtsdiener die Tafel revidiren und die verbotenen Schüsseln auf dieser selbst confisciren lieſs. Durch solche theoretische und praktische Unter- weisung in der Mäſsigkeit, welche die neue monarchische Polizei der vornehmen Welt ertheilte, konnte freilich kaum mehr erreicht werden, als daſs der Luxus sich etwas mehr in die Verborgenheit zurückzog; allein wenn die Heuchelei die Huldigung ist, die das Laster der Tugend darbringt, so war unter den damaligen Ver- hältnissen selbst eine polizeilich hergestellte Scheinehrbarkeit ein nicht zu verachtender Fortschritt zum Bessern. Ernsterer Art waren und mehr Erfolg versprachen die Maſsregeln Caesars zur besseren Regulirung der italischen Geld- und Bodenwirth- schaft. Zunächst handelte es sich hier um transitorische Bestim- mungen hinsichtlich des Geldmangels und der Schuldenkrise überhaupt. Das durch den Lärm über die zurückgehaltenen Ca- pitalien hervorgerufene Gesetz, daſs Niemand über 60,000 Sester- zen (4290 Thlr.) an baarem Gold und Silber vorräthig haben dürfe, mag wohl nur erlassen sein, um den Zorn des blinden Publicums gegen die Wucherer zu beschwichtigen; daſs Cae- sar dieser Verfügung sich schämte, zeigt die Form der Publica- tion, wobei fingirt ward, daſs hiermit nur ein älteres in Ver- gessenheit gerathenes Gesetz wieder eingeschärft werde, und schwerlich wird davon ernstlich Anwendung gemacht sein. Eine weit ernstere Frage war die Behandlung der schwebenden For- derungen, deren vollständigen Erlaſs die Partei, die sich die seinige genannt, mit Ungestüm begehrte. Daſs Caesar auf dieses Begehren so nicht einging, ward schon gesagt (S. 437); indeſs wurden und zwar schon im J. 705 den Schuldnern zwei wichtige Zugeständnisse gemacht. Einmal wurden die rückständigen Zin-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 492. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/502>, abgerufen am 11.06.2024.