Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII. volksthümliche lateinische Poesie es gethan, an die griechischenVorbilder sich anschmiegte, ward allerdings eine grössere sprach- liche und metrische Correctheit und Consequenz erreicht; aber es geschah auf Kosten der Biegsamkeit und Fülle des nationalen Idioms. Stofflich erhielten unter dem Einfluss theils der weich- lichen Muster, theils der sittenlosen Zeit die erotischen Themen ein auffallendes der Poesie wenig zuträgliches Uebergewicht. Es ist weder zu verwundern noch zu bedauern, dass von dieser zahl- losen Dichterschaar uns nur wenige Namen aufbehalten worden sind; und auch diese werden meistens nur genannt als Curiosi- täten oder als gewesene Grössen: so der Redner Quintus Hor- tensius mit seinen ,fünfhunderttausend Zeilen' langweiliger Schlüpfrigkeit und der etwas häufiger erwähnte Laevinus, dessen ,Liebesscherze' nur durch ihre verwickelten Masse und manierir- ten Wendungen ein gewisses Interesse auf sich zogen. Selbst das Kleinepos Smyrna des Gaius Helvius Cinna (+ 710?), so sehr es von der Clique angepriesen ward, trägt doch sowohl in dem Stoff, der geschlechtlichen Liebe der Tochter zu dem eigenen Vater, wie in der neunjährigen darauf verwandten Mühsal die schlimmsten Kennzeichen der Zeit an sich. Eine originelle und erfreuliche Ausnahme machen allein diejenigen Dichter dieser Schule, die es verstanden mit der Sauberkeit und der Form- gewandtheit derselben den in dem republikanischen und nament- lich dem landstädtischen Leben noch vorhandenen volksthüm- lichen Gehalt zu verbinden. Es gilt dies, um von Laberius und Varro hier zu schweigen, namentlich von den drei schon oben (S. 303) erwähnten Poeten der republikanischen Opposition Marcus Furius Bibaculus (652--691), Gaius Licinius Calvus (672--706) und Quintus Valerius Catullus (667-- c. 700). Von den beiden ersten, deren Schriften untergegangen sind, kön- nen wir dies freilich nur muthmassen; über die Gedichte des Ca- tullus steht auch uns noch ein Urtheil zu. Auch er hängt in Stoff und Form ab von den Alexandrinern. Wir finden in seiner Sammlung Uebersetzungen von Stücken des Kallimachos und nicht gerade von den recht guten, sondern von den recht schwie- rigen. Auch unter den Originalen begegnen gedrechselte Mode- poesien, wie die überkünstlichen Galliamben zum Lobe der phry- gischen Mutter; und selbst das sonst so schöne Gedicht von der Hochzeit der Thetis ist durch die echt alexandrinische Einschach- telung der Ariadneklage in das Hauptgedicht künstlerisch ver- dorben. Aber neben diesen Schulstücken steht die melodische Klage der echten Elegie, steht das Festgedicht im vollen Schmuck FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII. volksthümliche lateinische Poesie es gethan, an die griechischenVorbilder sich anschmiegte, ward allerdings eine gröſsere sprach- liche und metrische Correctheit und Consequenz erreicht; aber es geschah auf Kosten der Biegsamkeit und Fülle des nationalen Idioms. Stofflich erhielten unter dem Einfluſs theils der weich- lichen Muster, theils der sittenlosen Zeit die erotischen Themen ein auffallendes der Poesie wenig zuträgliches Uebergewicht. Es ist weder zu verwundern noch zu bedauern, daſs von dieser zahl- losen Dichterschaar uns nur wenige Namen aufbehalten worden sind; und auch diese werden meistens nur genannt als Curiosi- täten oder als gewesene Gröſsen: so der Redner Quintus Hor- tensius mit seinen ‚fünfhunderttausend Zeilen‘ langweiliger Schlüpfrigkeit und der etwas häufiger erwähnte Laevinus, dessen ‚Liebesscherze‘ nur durch ihre verwickelten Maſse und manierir- ten Wendungen ein gewisses Interesse auf sich zogen. Selbst das Kleinepos Smyrna des Gaius Helvius Cinna († 710?), so sehr es von der Clique angepriesen ward, trägt doch sowohl in dem Stoff, der geschlechtlichen Liebe der Tochter zu dem eigenen Vater, wie in der neunjährigen darauf verwandten Mühsal die schlimmsten Kennzeichen der Zeit an sich. Eine originelle und erfreuliche Ausnahme machen allein diejenigen Dichter dieser Schule, die es verstanden mit der Sauberkeit und der Form- gewandtheit derselben den in dem republikanischen und nament- lich dem landstädtischen Leben noch vorhandenen volksthüm- lichen Gehalt zu verbinden. Es gilt dies, um von Laberius und Varro hier zu schweigen, namentlich von den drei schon oben (S. 303) erwähnten Poeten der republikanischen Opposition Marcus Furius Bibaculus (652—691), Gaius Licinius Calvus (672—706) und Quintus Valerius Catullus (667— c. 700). Von den beiden ersten, deren Schriften untergegangen sind, kön- nen wir dies freilich nur muthmaſsen; über die Gedichte des Ca- tullus steht auch uns noch ein Urtheil zu. Auch er hängt in Stoff und Form ab von den Alexandrinern. Wir finden in seiner Sammlung Uebersetzungen von Stücken des Kallimachos und nicht gerade von den recht guten, sondern von den recht schwie- rigen. Auch unter den Originalen begegnen gedrechselte Mode- poesien, wie die überkünstlichen Galliamben zum Lobe der phry- gischen Mutter; und selbst das sonst so schöne Gedicht von der Hochzeit der Thetis ist durch die echt alexandrinische Einschach- telung der Ariadneklage in das Hauptgedicht künstlerisch ver- dorben. Aber neben diesen Schulstücken steht die melodische Klage der echten Elegie, steht das Festgedicht im vollen Schmuck <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0564" n="554"/><fw place="top" type="header">FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.</fw><lb/> volksthümliche lateinische Poesie es gethan, an die griechischen<lb/> Vorbilder sich anschmiegte, ward allerdings eine gröſsere sprach-<lb/> liche und metrische Correctheit und Consequenz erreicht; aber<lb/> es geschah auf Kosten der Biegsamkeit und Fülle des nationalen<lb/> Idioms. Stofflich erhielten unter dem Einfluſs theils der weich-<lb/> lichen Muster, theils der sittenlosen Zeit die erotischen Themen<lb/> ein auffallendes der Poesie wenig zuträgliches Uebergewicht. Es<lb/> ist weder zu verwundern noch zu bedauern, daſs von dieser zahl-<lb/> losen Dichterschaar uns nur wenige Namen aufbehalten worden<lb/> sind; und auch diese werden meistens nur genannt als Curiosi-<lb/> täten oder als gewesene Gröſsen: so der Redner Quintus Hor-<lb/> tensius mit seinen ‚fünfhunderttausend Zeilen‘ langweiliger<lb/> Schlüpfrigkeit und der etwas häufiger erwähnte Laevinus, dessen<lb/> ‚Liebesscherze‘ nur durch ihre verwickelten Maſse und manierir-<lb/> ten Wendungen ein gewisses Interesse auf sich zogen. Selbst das<lb/> Kleinepos Smyrna des Gaius Helvius Cinna († 710?), so sehr<lb/> es von der Clique angepriesen ward, trägt doch sowohl in dem<lb/> Stoff, der geschlechtlichen Liebe der Tochter zu dem eigenen<lb/> Vater, wie in der neunjährigen darauf verwandten Mühsal die<lb/> schlimmsten Kennzeichen der Zeit an sich. Eine originelle und<lb/> erfreuliche Ausnahme machen allein diejenigen Dichter dieser<lb/> Schule, die es verstanden mit der Sauberkeit und der Form-<lb/> gewandtheit derselben den in dem republikanischen und nament-<lb/> lich dem landstädtischen Leben noch vorhandenen volksthüm-<lb/> lichen Gehalt zu verbinden. 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FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
volksthümliche lateinische Poesie es gethan, an die griechischen
Vorbilder sich anschmiegte, ward allerdings eine gröſsere sprach-
liche und metrische Correctheit und Consequenz erreicht; aber
es geschah auf Kosten der Biegsamkeit und Fülle des nationalen
Idioms. Stofflich erhielten unter dem Einfluſs theils der weich-
lichen Muster, theils der sittenlosen Zeit die erotischen Themen
ein auffallendes der Poesie wenig zuträgliches Uebergewicht. Es
ist weder zu verwundern noch zu bedauern, daſs von dieser zahl-
losen Dichterschaar uns nur wenige Namen aufbehalten worden
sind; und auch diese werden meistens nur genannt als Curiosi-
täten oder als gewesene Gröſsen: so der Redner Quintus Hor-
tensius mit seinen ‚fünfhunderttausend Zeilen‘ langweiliger
Schlüpfrigkeit und der etwas häufiger erwähnte Laevinus, dessen
‚Liebesscherze‘ nur durch ihre verwickelten Maſse und manierir-
ten Wendungen ein gewisses Interesse auf sich zogen. Selbst das
Kleinepos Smyrna des Gaius Helvius Cinna († 710?), so sehr
es von der Clique angepriesen ward, trägt doch sowohl in dem
Stoff, der geschlechtlichen Liebe der Tochter zu dem eigenen
Vater, wie in der neunjährigen darauf verwandten Mühsal die
schlimmsten Kennzeichen der Zeit an sich. Eine originelle und
erfreuliche Ausnahme machen allein diejenigen Dichter dieser
Schule, die es verstanden mit der Sauberkeit und der Form-
gewandtheit derselben den in dem republikanischen und nament-
lich dem landstädtischen Leben noch vorhandenen volksthüm-
lichen Gehalt zu verbinden. Es gilt dies, um von Laberius und
Varro hier zu schweigen, namentlich von den drei schon oben
(S. 303) erwähnten Poeten der republikanischen Opposition
Marcus Furius Bibaculus (652—691), Gaius Licinius Calvus
(672—706) und Quintus Valerius Catullus (667— c. 700).
Von den beiden ersten, deren Schriften untergegangen sind, kön-
nen wir dies freilich nur muthmaſsen; über die Gedichte des Ca-
tullus steht auch uns noch ein Urtheil zu. Auch er hängt in Stoff
und Form ab von den Alexandrinern. Wir finden in seiner
Sammlung Uebersetzungen von Stücken des Kallimachos und
nicht gerade von den recht guten, sondern von den recht schwie-
rigen. Auch unter den Originalen begegnen gedrechselte Mode-
poesien, wie die überkünstlichen Galliamben zum Lobe der phry-
gischen Mutter; und selbst das sonst so schöne Gedicht von der
Hochzeit der Thetis ist durch die echt alexandrinische Einschach-
telung der Ariadneklage in das Hauptgedicht künstlerisch ver-
dorben. Aber neben diesen Schulstücken steht die melodische
Klage der echten Elegie, steht das Festgedicht im vollen Schmuck
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