Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.LITTERATUR. das Gelegenheitsgedicht vor und namentlich das Epigramm, worindie Alexandriner Vortreffliches geleistet haben. Die Dürftigkeit der Stoffe und die sprachliche und rhythmische Unfrische, die jeder nicht volksthümlichen Litteratur unvermeidlich anhaftet, suchte man möglichst zu verstecken unter verzwickten Themen, ge- schraubten Wendungen, seltenen Wörtern und künstlicher Vers- behandlung, überhaupt dem ganzen Apparat der philologisch- an- tiquarischen Gelehrsamkeit und der technischen Gewandtheit. Dies war das Evangelium, das den römischen Knaben dieser Zeit gepre- digt ward, und sie kamen in hellen Haufen um zu hören und aus- zuüben: schon um 700 waren Euphorions Liebesgedichte und ähn- liche alexandrinische Poesien die gewöhnliche Lectüre und die ge- wöhnlichen Declamationsstücke der gebildeten Jugend. Die littera- rische Revolution war da; aber sie lieferte zunächst mit seltenen Ausnahmen nur frühreife oder unreife Früchte. Die Zahl der ,neu- modischen Dichter', wie Cicero sie nennt, war Legion, aber die Poesie war rar und Apollo, wie immer, wenn es so gedrang am Parnasse hergeht, genöthigt sehr kurzen Prozess zu machen. Die langen Gedichte taugten niemals etwas, die kurzen selten. Auch in diesem litterarischen Zeitalter war die Tagespoesie zur Landplage geworden; es begegnete wohl, dass einem der Freund zum Hohn einen Stoss schofler Verse frisch vom Buchhändlerlager als Fest- tagsgeschenk ins Haus schickte, deren Werth der zierliche Ein- band und das glatte Papier schon auf drei Schritte verrieth. Ein eigentliches Publicum, in dem Sinne wie die volksthümliche Lit- teratur ein Publicum hat, fehlte den römischen Alexandrinern so gut wie den hellenischen; es ist durchaus die Poesie der Clique oder vielmehr der Cliquen, deren Glieder eng zusammenhalten, dem Eindringling übel mitspielen, unter sich die neuen Poesien vorlesen und kritisiren, auch wohl in ganz alexandrinischer Weise die gelungenen Productionen wieder poetisch feiern und viel- fach durch Cliquenlob einen falschen und ephemeren Ruhm er- schwindeln. Ein angesehener und selbst in dieser neuen Rich- tung poetisch thätiger Lehrer der lateinischen Litteratur, Valerius Cato scheint über den angesehensten dieser Zirkel eine Art Schul- patronat ausgeübt und über den relativen Werth der Poesien in letzter Instanz entschieden zu haben. Ihren griechischen Mustern gegenüber sind diese römischen Poeten durchgängig unfrei, zu- weilen schülerhaft abhängig; die meisten ihrer Producte werden nichts gewesen sein als die herben Früchte einer im Lernen be- griffenen und noch keineswegs als reif entlassenen Schuldichtung. Indem man in der Sprache und im Mass weit enger, als je die LITTERATUR. das Gelegenheitsgedicht vor und namentlich das Epigramm, worindie Alexandriner Vortreffliches geleistet haben. Die Dürftigkeit der Stoffe und die sprachliche und rhythmische Unfrische, die jeder nicht volksthümlichen Litteratur unvermeidlich anhaftet, suchte man möglichst zu verstecken unter verzwickten Themen, ge- schraubten Wendungen, seltenen Wörtern und künstlicher Vers- behandlung, überhaupt dem ganzen Apparat der philologisch- an- tiquarischen Gelehrsamkeit und der technischen Gewandtheit. Dies war das Evangelium, das den römischen Knaben dieser Zeit gepre- digt ward, und sie kamen in hellen Haufen um zu hören und aus- zuüben: schon um 700 waren Euphorions Liebesgedichte und ähn- liche alexandrinische Poesien die gewöhnliche Lectüre und die ge- wöhnlichen Declamationsstücke der gebildeten Jugend. Die littera- rische Revolution war da; aber sie lieferte zunächst mit seltenen Ausnahmen nur frühreife oder unreife Früchte. Die Zahl der ‚neu- modischen Dichter‘, wie Cicero sie nennt, war Legion, aber die Poesie war rar und Apollo, wie immer, wenn es so gedrang am Parnasse hergeht, genöthigt sehr kurzen Prozeſs zu machen. Die langen Gedichte taugten niemals etwas, die kurzen selten. Auch in diesem litterarischen Zeitalter war die Tagespoesie zur Landplage geworden; es begegnete wohl, daſs einem der Freund zum Hohn einen Stoſs schofler Verse frisch vom Buchhändlerlager als Fest- tagsgeschenk ins Haus schickte, deren Werth der zierliche Ein- band und das glatte Papier schon auf drei Schritte verrieth. Ein eigentliches Publicum, in dem Sinne wie die volksthümliche Lit- teratur ein Publicum hat, fehlte den römischen Alexandrinern so gut wie den hellenischen; es ist durchaus die Poesie der Clique oder vielmehr der Cliquen, deren Glieder eng zusammenhalten, dem Eindringling übel mitspielen, unter sich die neuen Poesien vorlesen und kritisiren, auch wohl in ganz alexandrinischer Weise die gelungenen Productionen wieder poetisch feiern und viel- fach durch Cliquenlob einen falschen und ephemeren Ruhm er- schwindeln. Ein angesehener und selbst in dieser neuen Rich- tung poetisch thätiger Lehrer der lateinischen Litteratur, Valerius Cato scheint über den angesehensten dieser Zirkel eine Art Schul- patronat ausgeübt und über den relativen Werth der Poesien in letzter Instanz entschieden zu haben. Ihren griechischen Mustern gegenüber sind diese römischen Poeten durchgängig unfrei, zu- weilen schülerhaft abhängig; die meisten ihrer Producte werden nichts gewesen sein als die herben Früchte einer im Lernen be- griffenen und noch keineswegs als reif entlassenen Schuldichtung. Indem man in der Sprache und im Maſs weit enger, als je die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0563" n="553"/><fw place="top" type="header">LITTERATUR.</fw><lb/> das Gelegenheitsgedicht vor und namentlich das Epigramm, worin<lb/> die Alexandriner Vortreffliches geleistet haben. 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Die Zahl der ‚neu-<lb/> modischen Dichter‘, wie Cicero sie nennt, war Legion, aber die<lb/> Poesie war rar und Apollo, wie immer, wenn es so gedrang am<lb/> Parnasse hergeht, genöthigt sehr kurzen Prozeſs zu machen. Die<lb/> langen Gedichte taugten niemals etwas, die kurzen selten. Auch<lb/> in diesem litterarischen Zeitalter war die Tagespoesie zur Landplage<lb/> geworden; es begegnete wohl, daſs einem der Freund zum Hohn<lb/> einen Stoſs schofler Verse frisch vom Buchhändlerlager als Fest-<lb/> tagsgeschenk ins Haus schickte, deren Werth der zierliche Ein-<lb/> band und das glatte Papier schon auf drei Schritte verrieth. 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Ihren griechischen Mustern<lb/> gegenüber sind diese römischen Poeten durchgängig unfrei, zu-<lb/> weilen schülerhaft abhängig; die meisten ihrer Producte werden<lb/> nichts gewesen sein als die herben Früchte einer im Lernen be-<lb/> griffenen und noch keineswegs als reif entlassenen Schuldichtung.<lb/> Indem man in der Sprache und im Maſs weit enger, als je die<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [553/0563]
LITTERATUR.
das Gelegenheitsgedicht vor und namentlich das Epigramm, worin
die Alexandriner Vortreffliches geleistet haben. Die Dürftigkeit der
Stoffe und die sprachliche und rhythmische Unfrische, die jeder
nicht volksthümlichen Litteratur unvermeidlich anhaftet, suchte
man möglichst zu verstecken unter verzwickten Themen, ge-
schraubten Wendungen, seltenen Wörtern und künstlicher Vers-
behandlung, überhaupt dem ganzen Apparat der philologisch- an-
tiquarischen Gelehrsamkeit und der technischen Gewandtheit. Dies
war das Evangelium, das den römischen Knaben dieser Zeit gepre-
digt ward, und sie kamen in hellen Haufen um zu hören und aus-
zuüben: schon um 700 waren Euphorions Liebesgedichte und ähn-
liche alexandrinische Poesien die gewöhnliche Lectüre und die ge-
wöhnlichen Declamationsstücke der gebildeten Jugend. Die littera-
rische Revolution war da; aber sie lieferte zunächst mit seltenen
Ausnahmen nur frühreife oder unreife Früchte. Die Zahl der ‚neu-
modischen Dichter‘, wie Cicero sie nennt, war Legion, aber die
Poesie war rar und Apollo, wie immer, wenn es so gedrang am
Parnasse hergeht, genöthigt sehr kurzen Prozeſs zu machen. Die
langen Gedichte taugten niemals etwas, die kurzen selten. Auch
in diesem litterarischen Zeitalter war die Tagespoesie zur Landplage
geworden; es begegnete wohl, daſs einem der Freund zum Hohn
einen Stoſs schofler Verse frisch vom Buchhändlerlager als Fest-
tagsgeschenk ins Haus schickte, deren Werth der zierliche Ein-
band und das glatte Papier schon auf drei Schritte verrieth. Ein
eigentliches Publicum, in dem Sinne wie die volksthümliche Lit-
teratur ein Publicum hat, fehlte den römischen Alexandrinern so
gut wie den hellenischen; es ist durchaus die Poesie der Clique
oder vielmehr der Cliquen, deren Glieder eng zusammenhalten,
dem Eindringling übel mitspielen, unter sich die neuen Poesien
vorlesen und kritisiren, auch wohl in ganz alexandrinischer Weise
die gelungenen Productionen wieder poetisch feiern und viel-
fach durch Cliquenlob einen falschen und ephemeren Ruhm er-
schwindeln. Ein angesehener und selbst in dieser neuen Rich-
tung poetisch thätiger Lehrer der lateinischen Litteratur, Valerius
Cato scheint über den angesehensten dieser Zirkel eine Art Schul-
patronat ausgeübt und über den relativen Werth der Poesien in
letzter Instanz entschieden zu haben. Ihren griechischen Mustern
gegenüber sind diese römischen Poeten durchgängig unfrei, zu-
weilen schülerhaft abhängig; die meisten ihrer Producte werden
nichts gewesen sein als die herben Früchte einer im Lernen be-
griffenen und noch keineswegs als reif entlassenen Schuldichtung.
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