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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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LITTERATUR.
Begriffe arm, gab es kein Fach, worin er nicht mit Hülfe weniger
Bücher rasch einen lesbaren Aufsatz übersetzt oder compilirt
hätte. Am treuesten giebt seine Correspondenz sein Bild wieder.
Man pflegt sie interessant und geistreich zu nennen; sie ist es
auch, so lange sie das hauptstädtische oder Villenleben der vor-
nehmen Welt wiederspiegelt; aber wo der Schreiber auf sich
selbst angewiesen ist, wie im Exil, in Kilikien und nach der
pharsalischen Schlacht, ist sie matt und leer, wie nur je die Seele
eines aus seinen Kreisen verschlagenen Feuilletonisten. Dass ein
solcher Staatsmann und ein solcher Litterat auch als Mensch
nicht anders sein konnte als von schwach überfirnisster Ober-
flächlichkeit und Herzlosigkeit, ist kaum noch nöthig zu sagen.
Sollen wir den Redner noch schildern? Der grosse Schriftsteller
ist doch auch ein grosser Mensch; und vor allem dem grossen
Redner strömt die Ueberzeugung oder die Leidenschaft klarer und
brausender aus den Tiefen der Brust hervor als den dürftigen
Vielen, die nur zählen und nicht sind. Cicero hatte keine Ueber-
zeugung und keine Leidenschaft; er war nichts als Advocat, und
kein guter Advocat. Er verstand es, seine Sacherzählung anek-
dotenhaft pikant vorzutragen, wenn nicht das Gefühl doch die
Sentimentalität seiner Zuhörer zu erregen und durch Witze oder
Witzeleien meist persönlicher Art das trockene Geschäft der
Rechtspflege zu erheitern; seine besseren Reden, wenn gleich
auch sie die freie Anmuth und den sicheren Treff der vorzüglich-
sten Compositionen dieser Art, z. B. der Memoiren von Beau-
marchais, bei weitem nicht erreichen, sind doch eine leichte und
angenehme Lectüre. Werden aber schon die eben bezeichneten
Vorzüge dem ernsten Richter als Vorzüge sehr zweifelhaften
Werthes erscheinen, so muss der absolute Mangel politischen
Sinnes in den staatsrechtlichen, juristischer Deduction in den
Gerichtsreden, der pflichtvergessene die Sache stets über dem
Anwalt aus den Augen verlierende Egoismus, die grässliche Ge-
dankenöde jeden Leser der ciceronischen Reden von Herz und Ver-
stand empören. Wenn hier etwas wunderbar ist, so sind es wahr-
lich nicht die Reden, sondern die Bewunderung, die dieselben fan-
den. Mit Cicero wird jeder Unbefangene bald im Reinen sein; der
Ciceronianismus ist ein Problem, das in der That nicht eigentlich
aufgelöst, sondern nur aufgehoben werden kann in dem grösseren
Geheimniss der Menschennatur: der Sprache und der Wirkung
der Sprache auf das Gemüth. Indem die edle lateinische Sprache,
eben bevor sie als Volksidiom unterging, von jenem gewandten
Stilisten noch einmal gleichsam zusammengefasst und in seinen

LITTERATUR.
Begriffe arm, gab es kein Fach, worin er nicht mit Hülfe weniger
Bücher rasch einen lesbaren Aufsatz übersetzt oder compilirt
hätte. Am treuesten giebt seine Correspondenz sein Bild wieder.
Man pflegt sie interessant und geistreich zu nennen; sie ist es
auch, so lange sie das hauptstädtische oder Villenleben der vor-
nehmen Welt wiederspiegelt; aber wo der Schreiber auf sich
selbst angewiesen ist, wie im Exil, in Kilikien und nach der
pharsalischen Schlacht, ist sie matt und leer, wie nur je die Seele
eines aus seinen Kreisen verschlagenen Feuilletonisten. Daſs ein
solcher Staatsmann und ein solcher Litterat auch als Mensch
nicht anders sein konnte als von schwach überfirniſster Ober-
flächlichkeit und Herzlosigkeit, ist kaum noch nöthig zu sagen.
Sollen wir den Redner noch schildern? Der groſse Schriftsteller
ist doch auch ein groſser Mensch; und vor allem dem groſsen
Redner strömt die Ueberzeugung oder die Leidenschaft klarer und
brausender aus den Tiefen der Brust hervor als den dürftigen
Vielen, die nur zählen und nicht sind. Cicero hatte keine Ueber-
zeugung und keine Leidenschaft; er war nichts als Advocat, und
kein guter Advocat. Er verstand es, seine Sacherzählung anek-
dotenhaft pikant vorzutragen, wenn nicht das Gefühl doch die
Sentimentalität seiner Zuhörer zu erregen und durch Witze oder
Witzeleien meist persönlicher Art das trockene Geschäft der
Rechtspflege zu erheitern; seine besseren Reden, wenn gleich
auch sie die freie Anmuth und den sicheren Treff der vorzüglich-
sten Compositionen dieser Art, z. B. der Memoiren von Beau-
marchais, bei weitem nicht erreichen, sind doch eine leichte und
angenehme Lectüre. Werden aber schon die eben bezeichneten
Vorzüge dem ernsten Richter als Vorzüge sehr zweifelhaften
Werthes erscheinen, so muſs der absolute Mangel politischen
Sinnes in den staatsrechtlichen, juristischer Deduction in den
Gerichtsreden, der pflichtvergessene die Sache stets über dem
Anwalt aus den Augen verlierende Egoismus, die gräſsliche Ge-
dankenöde jeden Leser der ciceronischen Reden von Herz und Ver-
stand empören. Wenn hier etwas wunderbar ist, so sind es wahr-
lich nicht die Reden, sondern die Bewunderung, die dieselben fan-
den. Mit Cicero wird jeder Unbefangene bald im Reinen sein; der
Ciceronianismus ist ein Problem, das in der That nicht eigentlich
aufgelöst, sondern nur aufgehoben werden kann in dem gröſseren
Geheimniſs der Menschennatur: der Sprache und der Wirkung
der Sprache auf das Gemüth. Indem die edle lateinische Sprache,
eben bevor sie als Volksidiom unterging, von jenem gewandten
Stilisten noch einmal gleichsam zusammengefaſst und in seinen

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[573/0583] LITTERATUR. Begriffe arm, gab es kein Fach, worin er nicht mit Hülfe weniger Bücher rasch einen lesbaren Aufsatz übersetzt oder compilirt hätte. Am treuesten giebt seine Correspondenz sein Bild wieder. Man pflegt sie interessant und geistreich zu nennen; sie ist es auch, so lange sie das hauptstädtische oder Villenleben der vor- nehmen Welt wiederspiegelt; aber wo der Schreiber auf sich selbst angewiesen ist, wie im Exil, in Kilikien und nach der pharsalischen Schlacht, ist sie matt und leer, wie nur je die Seele eines aus seinen Kreisen verschlagenen Feuilletonisten. Daſs ein solcher Staatsmann und ein solcher Litterat auch als Mensch nicht anders sein konnte als von schwach überfirniſster Ober- flächlichkeit und Herzlosigkeit, ist kaum noch nöthig zu sagen. Sollen wir den Redner noch schildern? Der groſse Schriftsteller ist doch auch ein groſser Mensch; und vor allem dem groſsen Redner strömt die Ueberzeugung oder die Leidenschaft klarer und brausender aus den Tiefen der Brust hervor als den dürftigen Vielen, die nur zählen und nicht sind. Cicero hatte keine Ueber- zeugung und keine Leidenschaft; er war nichts als Advocat, und kein guter Advocat. Er verstand es, seine Sacherzählung anek- dotenhaft pikant vorzutragen, wenn nicht das Gefühl doch die Sentimentalität seiner Zuhörer zu erregen und durch Witze oder Witzeleien meist persönlicher Art das trockene Geschäft der Rechtspflege zu erheitern; seine besseren Reden, wenn gleich auch sie die freie Anmuth und den sicheren Treff der vorzüglich- sten Compositionen dieser Art, z. B. der Memoiren von Beau- marchais, bei weitem nicht erreichen, sind doch eine leichte und angenehme Lectüre. Werden aber schon die eben bezeichneten Vorzüge dem ernsten Richter als Vorzüge sehr zweifelhaften Werthes erscheinen, so muſs der absolute Mangel politischen Sinnes in den staatsrechtlichen, juristischer Deduction in den Gerichtsreden, der pflichtvergessene die Sache stets über dem Anwalt aus den Augen verlierende Egoismus, die gräſsliche Ge- dankenöde jeden Leser der ciceronischen Reden von Herz und Ver- stand empören. Wenn hier etwas wunderbar ist, so sind es wahr- lich nicht die Reden, sondern die Bewunderung, die dieselben fan- den. Mit Cicero wird jeder Unbefangene bald im Reinen sein; der Ciceronianismus ist ein Problem, das in der That nicht eigentlich aufgelöst, sondern nur aufgehoben werden kann in dem gröſseren Geheimniſs der Menschennatur: der Sprache und der Wirkung der Sprache auf das Gemüth. Indem die edle lateinische Sprache, eben bevor sie als Volksidiom unterging, von jenem gewandten Stilisten noch einmal gleichsam zusammengefaſst und in seinen

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 573. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/583>, abgerufen am 21.11.2024.