Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII. weitläuftigen Schriften niedergelegt ward, ging auf das unwürdigeGefäss etwas über von der Gewalt, die die Sprache ausübt, und von der Pietät, die sie erweckt. Man besass keinen grossen latei- nischen Prosaiker; denn Caesar war wie Napoleon nur beiläufig Schriftsteller. War es zu verwundern, dass man in Ermangelung eines solchen wenigstens den Genius der Sprache ehrte in dem grossen Stilisten? und dass wie Cicero selbst so auch Cicero's Leser sich gewöhnten zu fragen nicht was, sondern wie er ge- schrieben? Gewohnheit und Schulmeisterei vollendeten dann, was die Macht der Sprache begonnen hatte. Cicero's Zeitgenossen wa- ren begreiflicher Weise in dieser seltsamen Abgötterei weit we- niger befangen als viele der Späteren. Die ciceronische Manier be- herrschte wohl ein Menschenalter hindurch die römische Advoca- tenwelt, so gut wie die noch weit schlechtere des Hortensius es gethan; allein die bedeutendsten Männer, zum Beispiel Caesar, hiel- ten doch stets derselben sich fern und unter der jüngeren Genera- tion regte bei allen frischen und lebendigen Talenten sich die ent- schiedenste Opposition gegen Cicero's zwitterhafte und schwäch- liche Redekunst. Man vermisste in der Sprache Knappheit und Strenge, in den Spässen das Leben, in der Anordnung Klarheit und Gliederung, vor allen Dingen aber in der ganzen Beredsamkeit das Feuer, das den Redner macht. Statt der rhodischen Eklektiker fing man an auf die echten Attiker, namentlich auf Lysias und De- mosthenes zurückzugehen und suchte eine kräftigere und männ- lichere Beredsamkeit in Rom einzubürgern. Dieser Richtung ge- hörten an der feierliche, aber steife Marcus Junius Brutus (669-- 712), die beiden politischen Parteigänger Marcus Caelius Rufus (672--706; S. 437) und Gaius Scribonius Curio (+ 705; S. 334. 373), beide als Redner voll Geist und Leben, der auch als Dichter bekannte Calvus (672--706), der litterarische Koryphäe dieses jüngeren Rednerkreises, und der ernste und gewissenhafte Gaius Asinius Pollio (678--757). Unleugbar war in dieser jüngeren Re- delitteratur mehr Geschmack und mehr Geist als in der hortensi- schen und ciceronischen zusammengenommen; indess vermögen wir nicht zu ermessen, wie weit unter den Stürmen der Revolu- tion, die diesen ganzen reichbegabten Kreis mit einziger Ausnahme des Pollio rasch wegrafften, die besseren Keime noch zur Ent- wickelung gelangten. Die Zeit dazu war kurz gemessen. Die neue Monarchie begann damit der Redefreiheit den Krieg zu machen und unterdrückte die politische Rede bald ganz (S. 308). Seit- dem ward wohl noch die untergeordnete Gattung des reinen Advocatenplaidoyers in der Litteratur festgehalten; aber die FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII. weitläuftigen Schriften niedergelegt ward, ging auf das unwürdigeGefäſs etwas über von der Gewalt, die die Sprache ausübt, und von der Pietät, die sie erweckt. Man besaſs keinen groſsen latei- nischen Prosaiker; denn Caesar war wie Napoleon nur beiläufig Schriftsteller. War es zu verwundern, daſs man in Ermangelung eines solchen wenigstens den Genius der Sprache ehrte in dem groſsen Stilisten? und daſs wie Cicero selbst so auch Cicero's Leser sich gewöhnten zu fragen nicht was, sondern wie er ge- schrieben? Gewohnheit und Schulmeisterei vollendeten dann, was die Macht der Sprache begonnen hatte. Cicero's Zeitgenossen wa- ren begreiflicher Weise in dieser seltsamen Abgötterei weit we- niger befangen als viele der Späteren. Die ciceronische Manier be- herrschte wohl ein Menschenalter hindurch die römische Advoca- tenwelt, so gut wie die noch weit schlechtere des Hortensius es gethan; allein die bedeutendsten Männer, zum Beispiel Caesar, hiel- ten doch stets derselben sich fern und unter der jüngeren Genera- tion regte bei allen frischen und lebendigen Talenten sich die ent- schiedenste Opposition gegen Cicero's zwitterhafte und schwäch- liche Redekunst. Man vermiſste in der Sprache Knappheit und Strenge, in den Späſsen das Leben, in der Anordnung Klarheit und Gliederung, vor allen Dingen aber in der ganzen Beredsamkeit das Feuer, das den Redner macht. Statt der rhodischen Eklektiker fing man an auf die echten Attiker, namentlich auf Lysias und De- mosthenes zurückzugehen und suchte eine kräftigere und männ- lichere Beredsamkeit in Rom einzubürgern. Dieser Richtung ge- hörten an der feierliche, aber steife Marcus Junius Brutus (669— 712), die beiden politischen Parteigänger Marcus Caelius Rufus (672—706; S. 437) und Gaius Scribonius Curio († 705; S. 334. 373), beide als Redner voll Geist und Leben, der auch als Dichter bekannte Calvus (672—706), der litterarische Koryphäe dieses jüngeren Rednerkreises, und der ernste und gewissenhafte Gaius Asinius Pollio (678—757). Unleugbar war in dieser jüngeren Re- delitteratur mehr Geschmack und mehr Geist als in der hortensi- schen und ciceronischen zusammengenommen; indeſs vermögen wir nicht zu ermessen, wie weit unter den Stürmen der Revolu- tion, die diesen ganzen reichbegabten Kreis mit einziger Ausnahme des Pollio rasch wegrafften, die besseren Keime noch zur Ent- wickelung gelangten. Die Zeit dazu war kurz gemessen. Die neue Monarchie begann damit der Redefreiheit den Krieg zu machen und unterdrückte die politische Rede bald ganz (S. 308). 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FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
weitläuftigen Schriften niedergelegt ward, ging auf das unwürdige
Gefäſs etwas über von der Gewalt, die die Sprache ausübt, und
von der Pietät, die sie erweckt. Man besaſs keinen groſsen latei-
nischen Prosaiker; denn Caesar war wie Napoleon nur beiläufig
Schriftsteller. War es zu verwundern, daſs man in Ermangelung
eines solchen wenigstens den Genius der Sprache ehrte in dem
groſsen Stilisten? und daſs wie Cicero selbst so auch Cicero's
Leser sich gewöhnten zu fragen nicht was, sondern wie er ge-
schrieben? Gewohnheit und Schulmeisterei vollendeten dann, was
die Macht der Sprache begonnen hatte. Cicero's Zeitgenossen wa-
ren begreiflicher Weise in dieser seltsamen Abgötterei weit we-
niger befangen als viele der Späteren. Die ciceronische Manier be-
herrschte wohl ein Menschenalter hindurch die römische Advoca-
tenwelt, so gut wie die noch weit schlechtere des Hortensius es
gethan; allein die bedeutendsten Männer, zum Beispiel Caesar, hiel-
ten doch stets derselben sich fern und unter der jüngeren Genera-
tion regte bei allen frischen und lebendigen Talenten sich die ent-
schiedenste Opposition gegen Cicero's zwitterhafte und schwäch-
liche Redekunst. Man vermiſste in der Sprache Knappheit und
Strenge, in den Späſsen das Leben, in der Anordnung Klarheit und
Gliederung, vor allen Dingen aber in der ganzen Beredsamkeit das
Feuer, das den Redner macht. Statt der rhodischen Eklektiker
fing man an auf die echten Attiker, namentlich auf Lysias und De-
mosthenes zurückzugehen und suchte eine kräftigere und männ-
lichere Beredsamkeit in Rom einzubürgern. Dieser Richtung ge-
hörten an der feierliche, aber steife Marcus Junius Brutus (669—
712), die beiden politischen Parteigänger Marcus Caelius Rufus
(672—706; S. 437) und Gaius Scribonius Curio († 705; S. 334.
373), beide als Redner voll Geist und Leben, der auch als Dichter
bekannte Calvus (672—706), der litterarische Koryphäe dieses
jüngeren Rednerkreises, und der ernste und gewissenhafte Gaius
Asinius Pollio (678—757). Unleugbar war in dieser jüngeren Re-
delitteratur mehr Geschmack und mehr Geist als in der hortensi-
schen und ciceronischen zusammengenommen; indeſs vermögen
wir nicht zu ermessen, wie weit unter den Stürmen der Revolu-
tion, die diesen ganzen reichbegabten Kreis mit einziger Ausnahme
des Pollio rasch wegrafften, die besseren Keime noch zur Ent-
wickelung gelangten. Die Zeit dazu war kurz gemessen. Die neue
Monarchie begann damit der Redefreiheit den Krieg zu machen
und unterdrückte die politische Rede bald ganz (S. 308). Seit-
dem ward wohl noch die untergeordnete Gattung des reinen
Advocatenplaidoyers in der Litteratur festgehalten; aber die
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