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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
und zur Fortführung des Krieges, bei der er nichts zu verlieren
und alles zu gewinnen hatte, den armenischen Hof zu bestimmen;
und flüchtig und entthront wie Mithradates war, war sein Einfluss
an demselben nicht gering. Noch war er ein stattlicher und ge-
waltiger Mann, der, obwohl schon über sechzig Jahre alt, sich in
voller Rüstung auf das Pferd schwang und im Handgemenge
gleich dem Besten seinen Mann stand. Seinen Geist schienen die
Jahre und die Schicksale gestählt zu haben: während er in frühe-
ren Zeiten seine Heerführer aussandte und selbst an dem Kriege
nicht unmittelbar Theil nahm, finden wir fortan als Greis ihn in
der Schlacht selber führen und selber fechten. Ihm, der während
seines funfzigjährigen Regiments so viele unerhörte Glückswech-
sel erlebt hatte, schien die Sache des Grosskönigs durch die Nie-
derlage von Tigranokerta noch keineswegs verloren, vielmehr
Lucullus Stellung sehr schwierig und, wenn es jetzt nicht zum
Frieden kam und der Krieg in zweckmässiger Weise fortgeführt
ward, sogar in hohem Masse gefährdet. Der vielerfahrene Greis,
der fast wie ein Vater dem Grosskönig gegenüberstand und jetzt
persönlich auf denselben zu wirken vermochte, bezwang den
schwachen Mann durch seine Energie und bestimmte ihn nicht
nur sich für die Fortsetzung des Krieges zu entscheiden, sondern
auch dessen politische und militärische Leitung ihm selber anzu-
vertrauen. Aus einem Kabinetskrieg sollte der Krieg jetzt ein
national-asiatischer werden, die Könige und die Völker Asiens
zu demselben sich vereinigen gegen die übermächtigen und über-
müthigen Occidentalen. Es wurden die grössten Anstrengungen
gemacht die Armenier und die Parther mit einander zu versöh-
nen und sie zum gemeinschaftlichen Kampfe gegen Rom zu be-
stimmen. Auf Mithradates Betrieb erbot sich Tigranes dem Ar-
sakiden Phraates dem Gott (reg. seit 684) die von den Arme-
niern eroberten Landschaften Mesopotamien, Adiabene, die ,grossen
Thäler' zurückzugeben und mit ihm Freundschaft und Bündniss
zu machen. Allein nach allem, was vorgefallen war, konnte die
Zurückweisung dieses Anerbietens nicht befremden; Phraates zog
es vor die Euphratgrenze durch einen Vertrag nicht mit den Ar-
meniern, sondern mit den Römern sich zu sichern und zuzusehen,
wie sich der verhasste Nachbar und der unbequeme Fremdling
unter einander aufrieben. Mit grösserem Erfolg als an die Kö-
nige wandte Mithradates sich an die Völker des Ostens. Es hielt
nicht schwer den Krieg darzustellen als einen nationalen des
Orients gegen den Occident, denn er war es; gar wohl konnte
er auch zum Religionskrieg gemacht und die Rede verbreitet

DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
und zur Fortführung des Krieges, bei der er nichts zu verlieren
und alles zu gewinnen hatte, den armenischen Hof zu bestimmen;
und flüchtig und entthront wie Mithradates war, war sein Einfluſs
an demselben nicht gering. Noch war er ein stattlicher und ge-
waltiger Mann, der, obwohl schon über sechzig Jahre alt, sich in
voller Rüstung auf das Pferd schwang und im Handgemenge
gleich dem Besten seinen Mann stand. Seinen Geist schienen die
Jahre und die Schicksale gestählt zu haben: während er in frühe-
ren Zeiten seine Heerführer aussandte und selbst an dem Kriege
nicht unmittelbar Theil nahm, finden wir fortan als Greis ihn in
der Schlacht selber führen und selber fechten. Ihm, der während
seines funfzigjährigen Regiments so viele unerhörte Glückswech-
sel erlebt hatte, schien die Sache des Groſskönigs durch die Nie-
derlage von Tigranokerta noch keineswegs verloren, vielmehr
Lucullus Stellung sehr schwierig und, wenn es jetzt nicht zum
Frieden kam und der Krieg in zweckmäſsiger Weise fortgeführt
ward, sogar in hohem Maſse gefährdet. Der vielerfahrene Greis,
der fast wie ein Vater dem Groſskönig gegenüberstand und jetzt
persönlich auf denselben zu wirken vermochte, bezwang den
schwachen Mann durch seine Energie und bestimmte ihn nicht
nur sich für die Fortsetzung des Krieges zu entscheiden, sondern
auch dessen politische und militärische Leitung ihm selber anzu-
vertrauen. Aus einem Kabinetskrieg sollte der Krieg jetzt ein
national-asiatischer werden, die Könige und die Völker Asiens
zu demselben sich vereinigen gegen die übermächtigen und über-
müthigen Occidentalen. Es wurden die gröſsten Anstrengungen
gemacht die Armenier und die Parther mit einander zu versöh-
nen und sie zum gemeinschaftlichen Kampfe gegen Rom zu be-
stimmen. Auf Mithradates Betrieb erbot sich Tigranes dem Ar-
sakiden Phraates dem Gott (reg. seit 684) die von den Arme-
niern eroberten Landschaften Mesopotamien, Adiabene, die ‚groſsen
Thäler‘ zurückzugeben und mit ihm Freundschaft und Bündniſs
zu machen. Allein nach allem, was vorgefallen war, konnte die
Zurückweisung dieses Anerbietens nicht befremden; Phraates zog
es vor die Euphratgrenze durch einen Vertrag nicht mit den Ar-
meniern, sondern mit den Römern sich zu sichern und zuzusehen,
wie sich der verhaſste Nachbar und der unbequeme Fremdling
unter einander aufrieben. Mit gröſserem Erfolg als an die Kö-
nige wandte Mithradates sich an die Völker des Ostens. Es hielt
nicht schwer den Krieg darzustellen als einen nationalen des
Orients gegen den Occident, denn er war es; gar wohl konnte
er auch zum Religionskrieg gemacht und die Rede verbreitet

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[63/0073] DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT. und zur Fortführung des Krieges, bei der er nichts zu verlieren und alles zu gewinnen hatte, den armenischen Hof zu bestimmen; und flüchtig und entthront wie Mithradates war, war sein Einfluſs an demselben nicht gering. Noch war er ein stattlicher und ge- waltiger Mann, der, obwohl schon über sechzig Jahre alt, sich in voller Rüstung auf das Pferd schwang und im Handgemenge gleich dem Besten seinen Mann stand. Seinen Geist schienen die Jahre und die Schicksale gestählt zu haben: während er in frühe- ren Zeiten seine Heerführer aussandte und selbst an dem Kriege nicht unmittelbar Theil nahm, finden wir fortan als Greis ihn in der Schlacht selber führen und selber fechten. Ihm, der während seines funfzigjährigen Regiments so viele unerhörte Glückswech- sel erlebt hatte, schien die Sache des Groſskönigs durch die Nie- derlage von Tigranokerta noch keineswegs verloren, vielmehr Lucullus Stellung sehr schwierig und, wenn es jetzt nicht zum Frieden kam und der Krieg in zweckmäſsiger Weise fortgeführt ward, sogar in hohem Maſse gefährdet. Der vielerfahrene Greis, der fast wie ein Vater dem Groſskönig gegenüberstand und jetzt persönlich auf denselben zu wirken vermochte, bezwang den schwachen Mann durch seine Energie und bestimmte ihn nicht nur sich für die Fortsetzung des Krieges zu entscheiden, sondern auch dessen politische und militärische Leitung ihm selber anzu- vertrauen. Aus einem Kabinetskrieg sollte der Krieg jetzt ein national-asiatischer werden, die Könige und die Völker Asiens zu demselben sich vereinigen gegen die übermächtigen und über- müthigen Occidentalen. Es wurden die gröſsten Anstrengungen gemacht die Armenier und die Parther mit einander zu versöh- nen und sie zum gemeinschaftlichen Kampfe gegen Rom zu be- stimmen. Auf Mithradates Betrieb erbot sich Tigranes dem Ar- sakiden Phraates dem Gott (reg. seit 684) die von den Arme- niern eroberten Landschaften Mesopotamien, Adiabene, die ‚groſsen Thäler‘ zurückzugeben und mit ihm Freundschaft und Bündniſs zu machen. Allein nach allem, was vorgefallen war, konnte die Zurückweisung dieses Anerbietens nicht befremden; Phraates zog es vor die Euphratgrenze durch einen Vertrag nicht mit den Ar- meniern, sondern mit den Römern sich zu sichern und zuzusehen, wie sich der verhaſste Nachbar und der unbequeme Fremdling unter einander aufrieben. Mit gröſserem Erfolg als an die Kö- nige wandte Mithradates sich an die Völker des Ostens. Es hielt nicht schwer den Krieg darzustellen als einen nationalen des Orients gegen den Occident, denn er war es; gar wohl konnte er auch zum Religionskrieg gemacht und die Rede verbreitet

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/73>, abgerufen am 24.11.2024.