Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.FÜNFTES BUCH. KAPITEL II. dischen, dalmatischen, baliarischen Häusern mit gleichem Rechtden neuen Zweig der Kretasieger beifügen und es gab in Rom einen stolzen Namen mehr. In der That hatte die Macht der Römer auf dem Mittelmeer nie tiefer, die der Corsaren nie höher gestan- den als in diesen Jahren. Wohl mochten die Kiliker und Kreter der Meere, die in dieser Zeit bis 1000 Schiffe gezählt haben sol- len, des Isaurikers wie des Kretikers und ihrer nichtigen Siege spotten. Wie nachdrücklich die Seeräuber in den mithradatischen Krieg eingriffen und wie die hartnäckige Gegenwehr der pontischen Seestädte ihre besten Kräfte aus dem Corsarenstaat zog, ward bereits erzählt. Aber derselbe machte auch auf eigene Hand fast nicht minder grossartige Geschäfte. Fast unter den Augen der Flotte Luculls überfiel im J. 685 der Pirat Athenodoros die Insel Delos, zerstörte deren vielgefeierte Heiligthümer und Tempe und führte die ganze Bevölkerung fort in die Sclaverei. Die In- sel Lipara bei Sicilien zahlte den Piraten jährlich einen festenl Tribut, um von ähnlichen Ueberfällen verschont zu bleiben. Ein anderer Piratenchef Herakleon zerstörte im J. 682 das in Sicilien gegen ihn ausgerüstete Geschwader und wagte es mit nicht mehr als vier offenen Böten in den Hafen von Syrakus einzufahren. Zwei Jahre später stieg sein College Pyrganion in demselben Ha- fen sogar an das Land, setzte daselbst sich fest und schickte von dort aus Streifpartien in die Insel, bis ihn der römische Statthal- ter endlich zwang sich wieder einzuschiffen. Das war man am Ende nach gerade gewohnt, dass alle Provinzen Geschwader ausrüsteten und Strandwachen aufstellten oder doch für beides steuerten, und dennoch die Corsaren so regelmässig erschie- nen um die Provinzen auszuplündern wie die römischen Statt- halter. Aber selbst den geweihten Boden Italiens respectirten jetzt die unverschämten Frevler nicht mehr: von Kroton führten sie den Tempelschatz der lakinischen Hera mit sich fort; sie lan- deten in Brundisium, Misenum, Caieta, in den etruskischen Hä- fen, ja in Ostia selbst; sie brachten die vornehmsten römischen Offiziere als Gefangene auf, unter anderm den Flottenführer der kilikischen Armee und zwei Prätoren mit ihrem ganzen Gefolge, mit den gefürchteten Beilen und Ruthen selbst und allen Abzei- chen ihrer Würde; sie entführten aus einer Villa bei Misenum die eigene Schwester des zur Vernichtung der Piraten ausgesandten römischen Oberadmirals Antonius; sie vernichteten im Hafen von Ostia die gegen sie ausgerüstete und von einem Consul befeh- ligte römische Kriegsflotte. Der latinische Bauersmann, der Rei- sende auf der appischen Strasse, der vornehme Badegast in dem FÜNFTES BUCH. KAPITEL II. dischen, dalmatischen, baliarischen Häusern mit gleichem Rechtden neuen Zweig der Kretasieger beifügen und es gab in Rom einen stolzen Namen mehr. In der That hatte die Macht der Römer auf dem Mittelmeer nie tiefer, die der Corsaren nie höher gestan- den als in diesen Jahren. Wohl mochten die Kiliker und Kreter der Meere, die in dieser Zeit bis 1000 Schiffe gezählt haben sol- len, des Isaurikers wie des Kretikers und ihrer nichtigen Siege spotten. Wie nachdrücklich die Seeräuber in den mithradatischen Krieg eingriffen und wie die hartnäckige Gegenwehr der pontischen Seestädte ihre besten Kräfte aus dem Corsarenstaat zog, ward bereits erzählt. Aber derselbe machte auch auf eigene Hand fast nicht minder groſsartige Geschäfte. Fast unter den Augen der Flotte Luculls überfiel im J. 685 der Pirat Athenodoros die Insel Delos, zerstörte deren vielgefeierte Heiligthümer und Tempe und führte die ganze Bevölkerung fort in die Sclaverei. Die In- sel Lipara bei Sicilien zahlte den Piraten jährlich einen festenl Tribut, um von ähnlichen Ueberfällen verschont zu bleiben. Ein anderer Piratenchef Herakleon zerstörte im J. 682 das in Sicilien gegen ihn ausgerüstete Geschwader und wagte es mit nicht mehr als vier offenen Böten in den Hafen von Syrakus einzufahren. Zwei Jahre später stieg sein College Pyrganion in demselben Ha- fen sogar an das Land, setzte daselbst sich fest und schickte von dort aus Streifpartien in die Insel, bis ihn der römische Statthal- ter endlich zwang sich wieder einzuschiffen. Das war man am Ende nach gerade gewohnt, daſs alle Provinzen Geschwader ausrüsteten und Strandwachen aufstellten oder doch für beides steuerten, und dennoch die Corsaren so regelmäſsig erschie- nen um die Provinzen auszuplündern wie die römischen Statt- halter. Aber selbst den geweihten Boden Italiens respectirten jetzt die unverschämten Frevler nicht mehr: von Kroton führten sie den Tempelschatz der lakinischen Hera mit sich fort; sie lan- deten in Brundisium, Misenum, Caieta, in den etruskischen Hä- fen, ja in Ostia selbst; sie brachten die vornehmsten römischen Offiziere als Gefangene auf, unter anderm den Flottenführer der kilikischen Armee und zwei Prätoren mit ihrem ganzen Gefolge, mit den gefürchteten Beilen und Ruthen selbst und allen Abzei- chen ihrer Würde; sie entführten aus einer Villa bei Misenum die eigene Schwester des zur Vernichtung der Piraten ausgesandten römischen Oberadmirals Antonius; sie vernichteten im Hafen von Ostia die gegen sie ausgerüstete und von einem Consul befeh- ligte römische Kriegsflotte. Der latinische Bauersmann, der Rei- sende auf der appischen Straſse, der vornehme Badegast in dem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0082" n="72"/><fw place="top" type="header">FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.</fw><lb/> dischen, dalmatischen, baliarischen Häusern mit gleichem Recht<lb/> den neuen Zweig der Kretasieger beifügen und es gab in Rom einen<lb/> stolzen Namen mehr. In der That hatte die Macht der Römer<lb/> auf dem Mittelmeer nie tiefer, die der Corsaren nie höher gestan-<lb/> den als in diesen Jahren. Wohl mochten die Kiliker und Kreter<lb/> der Meere, die in dieser Zeit bis 1000 Schiffe gezählt haben sol-<lb/> len, des Isaurikers wie des Kretikers und ihrer nichtigen Siege<lb/> spotten. Wie nachdrücklich die Seeräuber in den mithradatischen<lb/> Krieg eingriffen und wie die hartnäckige Gegenwehr der pontischen<lb/> Seestädte ihre besten Kräfte aus dem Corsarenstaat zog, ward<lb/> bereits erzählt. Aber derselbe machte auch auf eigene Hand<lb/> fast nicht minder groſsartige Geschäfte. 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FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.
dischen, dalmatischen, baliarischen Häusern mit gleichem Recht
den neuen Zweig der Kretasieger beifügen und es gab in Rom einen
stolzen Namen mehr. In der That hatte die Macht der Römer
auf dem Mittelmeer nie tiefer, die der Corsaren nie höher gestan-
den als in diesen Jahren. Wohl mochten die Kiliker und Kreter
der Meere, die in dieser Zeit bis 1000 Schiffe gezählt haben sol-
len, des Isaurikers wie des Kretikers und ihrer nichtigen Siege
spotten. Wie nachdrücklich die Seeräuber in den mithradatischen
Krieg eingriffen und wie die hartnäckige Gegenwehr der pontischen
Seestädte ihre besten Kräfte aus dem Corsarenstaat zog, ward
bereits erzählt. Aber derselbe machte auch auf eigene Hand
fast nicht minder groſsartige Geschäfte. Fast unter den Augen
der Flotte Luculls überfiel im J. 685 der Pirat Athenodoros die
Insel Delos, zerstörte deren vielgefeierte Heiligthümer und Tempe
und führte die ganze Bevölkerung fort in die Sclaverei. Die In-
sel Lipara bei Sicilien zahlte den Piraten jährlich einen festenl
Tribut, um von ähnlichen Ueberfällen verschont zu bleiben. Ein
anderer Piratenchef Herakleon zerstörte im J. 682 das in Sicilien
gegen ihn ausgerüstete Geschwader und wagte es mit nicht mehr
als vier offenen Böten in den Hafen von Syrakus einzufahren.
Zwei Jahre später stieg sein College Pyrganion in demselben Ha-
fen sogar an das Land, setzte daselbst sich fest und schickte von
dort aus Streifpartien in die Insel, bis ihn der römische Statthal-
ter endlich zwang sich wieder einzuschiffen. Das war man am
Ende nach gerade gewohnt, daſs alle Provinzen Geschwader
ausrüsteten und Strandwachen aufstellten oder doch für beides
steuerten, und dennoch die Corsaren so regelmäſsig erschie-
nen um die Provinzen auszuplündern wie die römischen Statt-
halter. Aber selbst den geweihten Boden Italiens respectirten
jetzt die unverschämten Frevler nicht mehr: von Kroton führten
sie den Tempelschatz der lakinischen Hera mit sich fort; sie lan-
deten in Brundisium, Misenum, Caieta, in den etruskischen Hä-
fen, ja in Ostia selbst; sie brachten die vornehmsten römischen
Offiziere als Gefangene auf, unter anderm den Flottenführer der
kilikischen Armee und zwei Prätoren mit ihrem ganzen Gefolge,
mit den gefürchteten Beilen und Ruthen selbst und allen Abzei-
chen ihrer Würde; sie entführten aus einer Villa bei Misenum die
eigene Schwester des zur Vernichtung der Piraten ausgesandten
römischen Oberadmirals Antonius; sie vernichteten im Hafen von
Ostia die gegen sie ausgerüstete und von einem Consul befeh-
ligte römische Kriegsflotte. Der latinische Bauersmann, der Rei-
sende auf der appischen Straſse, der vornehme Badegast in dem
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