irdischen Paradiese von Baiae waren ihrer Habe und ihres Le- bens fürder keinen Augenblick sicher; aller Handel und aller Ver- kehr stockte; die entsetzlichste Theurung herrschte in Italien und namentlich in der von überseeischem Korn lebenden Haupt- stadt. Die Mitwelt wie die Geschichte sind freigebig mit Klagen über unerträglichen Nothstand; hier dürfte die Bezeichnung passen.
Es ist bisher geschildert worden, wie der von Sulla restau- rirte Senat die Grenzbewachung in Makedonien, die Disciplin über die Clientelkönige Kleinasiens, wie er endlich die Seepolizei ge- übt hat; die Resultate waren nirgends erfreulich. Nicht bessere Erfolge erzielte die Regierung in einer anderen vielleicht noch dringenderen Angelegenheit, der Ueberwachung des prnvinzialen und namentlich des italischen Proletariats. Der Krebsschaden des Sclavenproletariats zehrte an dem Marke aller Staaten des Alter- thums und um so mehr, je mächtiger sie emporgeblüht waren; denn Macht und Reichthum des Staats führten unter den beste- henden Verhältnissen regelmässig zu einer unverhältnissmässigen Vermehrung der Sclavenmenge. Natürlich litt denn auch Rom darunter schwerer als irgend ein anderer Staat des Alterthums. Schon die Regierung des sechsten Jahrhunderts hatte gegen die Banden entlaufener Hirten- und Feldsclaven Truppen schicken müssen. Die unter den italischen Speculanten mehr und mehr um sich greifende Plantagenwirthschaft hatte das gefährliche Uebel ins Unendliche gesteigert; in der Zeit der gracchischen und der marianischen Krise und mit denselben in engem Zu- sammenhang hatten Sclavenaufstände an zahlreichen Puncten des römischen Reiches stattgehabt, in Sicilien sogar zu zwei blu- tigen Kriegen (619--622 und 652--654) sich entwickelt (II, 72--74. 128--131). Aber das Decennium der Restaurations- herrschaft nach Sullas Tode ward die goldene Zeit wie für die Flibustier zur See so für die gleichartigen Banden auf dem Fest- land, vor allem in der bisher noch verhältnissmässig leidlich ge- ordneten italischen Halbinsel. Von einem Landfrieden konnte dort kaum mehr die Rede sein. In der Hauptstadt und den min- der bevölkerten Landschaften Italiens waren Räubereien alltäglich, Mordthaten häufig. Gegen Menschenraub an fremden Sclaven wie an freien Leuten erging -- vielleicht in dieser Epoche -- ein be- sonderer Volkschluss; gegen gewaltsame Besitzentziehung von Grundstücken ward um diese Zeit eine eigene summarische Klage neu eingeführt. Diese Verbrechen mussten besonders desswegen gefährlich erscheinen, weil sie zwar gewöhnlich begangen wur-
DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
irdischen Paradiese von Baiae waren ihrer Habe und ihres Le- bens fürder keinen Augenblick sicher; aller Handel und aller Ver- kehr stockte; die entsetzlichste Theurung herrschte in Italien und namentlich in der von überseeischem Korn lebenden Haupt- stadt. Die Mitwelt wie die Geschichte sind freigebig mit Klagen über unerträglichen Nothstand; hier dürfte die Bezeichnung passen.
Es ist bisher geschildert worden, wie der von Sulla restau- rirte Senat die Grenzbewachung in Makedonien, die Disciplin über die Clientelkönige Kleinasiens, wie er endlich die Seepolizei ge- übt hat; die Resultate waren nirgends erfreulich. Nicht bessere Erfolge erzielte die Regierung in einer anderen vielleicht noch dringenderen Angelegenheit, der Ueberwachung des prnvinzialen und namentlich des italischen Proletariats. Der Krebsschaden des Sclavenproletariats zehrte an dem Marke aller Staaten des Alter- thums und um so mehr, je mächtiger sie emporgeblüht waren; denn Macht und Reichthum des Staats führten unter den beste- henden Verhältnissen regelmäſsig zu einer unverhältniſsmäſsigen Vermehrung der Sclavenmenge. Natürlich litt denn auch Rom darunter schwerer als irgend ein anderer Staat des Alterthums. Schon die Regierung des sechsten Jahrhunderts hatte gegen die Banden entlaufener Hirten- und Feldsclaven Truppen schicken müssen. Die unter den italischen Speculanten mehr und mehr um sich greifende Plantagenwirthschaft hatte das gefährliche Uebel ins Unendliche gesteigert; in der Zeit der gracchischen und der marianischen Krise und mit denselben in engem Zu- sammenhang hatten Sclavenaufstände an zahlreichen Puncten des römischen Reiches stattgehabt, in Sicilien sogar zu zwei blu- tigen Kriegen (619—622 und 652—654) sich entwickelt (II, 72—74. 128—131). Aber das Decennium der Restaurations- herrschaft nach Sullas Tode ward die goldene Zeit wie für die Flibustier zur See so für die gleichartigen Banden auf dem Fest- land, vor allem in der bisher noch verhältniſsmäſsig leidlich ge- ordneten italischen Halbinsel. Von einem Landfrieden konnte dort kaum mehr die Rede sein. In der Hauptstadt und den min- der bevölkerten Landschaften Italiens waren Räubereien alltäglich, Mordthaten häufig. Gegen Menschenraub an fremden Sclaven wie an freien Leuten erging — vielleicht in dieser Epoche — ein be- sonderer Volkschluſs; gegen gewaltsame Besitzentziehung von Grundstücken ward um diese Zeit eine eigene summarische Klage neu eingeführt. Diese Verbrechen muſsten besonders deſswegen gefährlich erscheinen, weil sie zwar gewöhnlich begangen wur-
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[73/0083]
DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
irdischen Paradiese von Baiae waren ihrer Habe und ihres Le-
bens fürder keinen Augenblick sicher; aller Handel und aller Ver-
kehr stockte; die entsetzlichste Theurung herrschte in Italien
und namentlich in der von überseeischem Korn lebenden Haupt-
stadt. Die Mitwelt wie die Geschichte sind freigebig mit Klagen
über unerträglichen Nothstand; hier dürfte die Bezeichnung
passen.
Es ist bisher geschildert worden, wie der von Sulla restau-
rirte Senat die Grenzbewachung in Makedonien, die Disciplin über
die Clientelkönige Kleinasiens, wie er endlich die Seepolizei ge-
übt hat; die Resultate waren nirgends erfreulich. Nicht bessere
Erfolge erzielte die Regierung in einer anderen vielleicht noch
dringenderen Angelegenheit, der Ueberwachung des prnvinzialen
und namentlich des italischen Proletariats. Der Krebsschaden des
Sclavenproletariats zehrte an dem Marke aller Staaten des Alter-
thums und um so mehr, je mächtiger sie emporgeblüht waren;
denn Macht und Reichthum des Staats führten unter den beste-
henden Verhältnissen regelmäſsig zu einer unverhältniſsmäſsigen
Vermehrung der Sclavenmenge. Natürlich litt denn auch Rom
darunter schwerer als irgend ein anderer Staat des Alterthums.
Schon die Regierung des sechsten Jahrhunderts hatte gegen die
Banden entlaufener Hirten- und Feldsclaven Truppen schicken
müssen. Die unter den italischen Speculanten mehr und mehr
um sich greifende Plantagenwirthschaft hatte das gefährliche
Uebel ins Unendliche gesteigert; in der Zeit der gracchischen
und der marianischen Krise und mit denselben in engem Zu-
sammenhang hatten Sclavenaufstände an zahlreichen Puncten des
römischen Reiches stattgehabt, in Sicilien sogar zu zwei blu-
tigen Kriegen (619—622 und 652—654) sich entwickelt (II,
72—74. 128—131). Aber das Decennium der Restaurations-
herrschaft nach Sullas Tode ward die goldene Zeit wie für die
Flibustier zur See so für die gleichartigen Banden auf dem Fest-
land, vor allem in der bisher noch verhältniſsmäſsig leidlich ge-
ordneten italischen Halbinsel. Von einem Landfrieden konnte
dort kaum mehr die Rede sein. In der Hauptstadt und den min-
der bevölkerten Landschaften Italiens waren Räubereien alltäglich,
Mordthaten häufig. Gegen Menschenraub an fremden Sclaven wie
an freien Leuten erging — vielleicht in dieser Epoche — ein be-
sonderer Volkschluſs; gegen gewaltsame Besitzentziehung von
Grundstücken ward um diese Zeit eine eigene summarische Klage
neu eingeführt. Diese Verbrechen muſsten besonders deſswegen
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/83>, abgerufen am 25.11.2024.
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