Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite


und jeder thut am besten, wenn er seine Untersuchung hübsch wachend anstellt." Wenn der Scherz hievon abgesondert wird, so bleibt im Ernste noch Folgendes übrig: Die Uebereinstimmung der Einbildungskraft mit den höhern Seelenkräften ist so unwahrscheinlich, daß sie sich im voraus nicht erwarten läßt; und hierin hat H. M. allerdings Recht; denn wie sollte es wahrscheinlich seyn, daß zwey so entgegengesetzte Kräfte harmonische Wirkungen hervorbringen würden?

Jch werde nunmehr zu meiner Erklärung schreiten; es ist nehmlich darzuthun, warum im Traume das Bewußtseyn unvollkommen, und die Einbildungskraft herrschend ist. Zuförderst werde ich die Unvollkommenheit des Bewußtseyns hypothetisch annehmen, um daraus die Herrschaft der Einbildungskraft herzuleiten.

Es liegen der dogmatischen Vernunft zwey Hindernisse im Wege, welche von der Selbstmacht der Seele herkommen, 1) erregen die unsinnlichen Begriffe, als Zweck, Wesen u.s.w. Zweifel über ihre Möglichkeit und Anwendbarkeit; die nehmlichen Bewegungsgründe, welche die Vernunft bestimmen, ihre Selbstmacht zu der Verbindung der Begriffe zu bestimmen, bestimmen sie auch das Gehalt der Begriffe selbst zu prüfen, und sie wird alle Augenblicke in ihren Fortschritten gehindert. 2) Entspricht jedem sinnlichen Begriff eine Anschauung; die weilende Einbildungskraft verwandelt die Anschauung in ein Bild, da die Ausmahlung der Naturbilder sehr


und jeder thut am besten, wenn er seine Untersuchung huͤbsch wachend anstellt.« Wenn der Scherz hievon abgesondert wird, so bleibt im Ernste noch Folgendes uͤbrig: Die Uebereinstimmung der Einbildungskraft mit den hoͤhern Seelenkraͤften ist so unwahrscheinlich, daß sie sich im voraus nicht erwarten laͤßt; und hierin hat H. M. allerdings Recht; denn wie sollte es wahrscheinlich seyn, daß zwey so entgegengesetzte Kraͤfte harmonische Wirkungen hervorbringen wuͤrden?

Jch werde nunmehr zu meiner Erklaͤrung schreiten; es ist nehmlich darzuthun, warum im Traume das Bewußtseyn unvollkommen, und die Einbildungskraft herrschend ist. Zufoͤrderst werde ich die Unvollkommenheit des Bewußtseyns hypothetisch annehmen, um daraus die Herrschaft der Einbildungskraft herzuleiten.

Es liegen der dogmatischen Vernunft zwey Hindernisse im Wege, welche von der Selbstmacht der Seele herkommen, 1) erregen die unsinnlichen Begriffe, als Zweck, Wesen u.s.w. Zweifel uͤber ihre Moͤglichkeit und Anwendbarkeit; die nehmlichen Bewegungsgruͤnde, welche die Vernunft bestimmen, ihre Selbstmacht zu der Verbindung der Begriffe zu bestimmen, bestimmen sie auch das Gehalt der Begriffe selbst zu pruͤfen, und sie wird alle Augenblicke in ihren Fortschritten gehindert. 2) Entspricht jedem sinnlichen Begriff eine Anschauung; die weilende Einbildungskraft verwandelt die Anschauung in ein Bild, da die Ausmahlung der Naturbilder sehr

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0121" n="119"/><lb/>
und jeder thut am besten, wenn er seine Untersuchung                         hu&#x0364;bsch <hi rendition="#b">wachend</hi> anstellt.« Wenn der Scherz hievon                         abgesondert wird, so bleibt im Ernste noch Folgendes u&#x0364;brig: Die                         Uebereinstimmung der Einbildungskraft mit den ho&#x0364;hern Seelenkra&#x0364;ften ist so                         unwahrscheinlich, daß sie sich im voraus nicht erwarten la&#x0364;ßt; und hierin hat                             <persName ref="#ref0003"><note type="editorial">Maimon, Salomon</note>H. M.</persName>                         allerdings Recht; denn wie sollte es wahrscheinlich seyn, daß zwey so                         entgegengesetzte Kra&#x0364;fte harmonische Wirkungen hervorbringen wu&#x0364;rden?</p>
          <p>Jch werde nunmehr zu meiner Erkla&#x0364;rung schreiten; es ist nehmlich darzuthun,                         warum im Traume das Bewußtseyn unvollkommen, und die Einbildungskraft                         herrschend ist. Zufo&#x0364;rderst werde ich die Unvollkommenheit des Bewußtseyns                         hypothetisch annehmen, um daraus die Herrschaft der Einbildungskraft                         herzuleiten.</p>
          <p>Es liegen der dogmatischen Vernunft zwey Hindernisse im Wege, welche von der                         Selbstmacht der Seele herkommen, 1) erregen die unsinnlichen Begriffe, als                         Zweck, Wesen u.s.w. Zweifel u&#x0364;ber ihre Mo&#x0364;glichkeit und Anwendbarkeit; die                         nehmlichen Bewegungsgru&#x0364;nde, welche die Vernunft bestimmen, ihre Selbstmacht                         zu der Verbindung der Begriffe zu bestimmen, bestimmen sie auch das Gehalt                         der Begriffe selbst zu pru&#x0364;fen, und sie wird alle Augenblicke in ihren                         Fortschritten gehindert. 2) Entspricht jedem sinnlichen Begriff eine                         Anschauung; die <hi rendition="#b">weilende Einbildungskraft</hi> verwandelt die Anschauung in ein Bild, da die Ausmahlung der Naturbilder                         sehr<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[119/0121] und jeder thut am besten, wenn er seine Untersuchung huͤbsch wachend anstellt.« Wenn der Scherz hievon abgesondert wird, so bleibt im Ernste noch Folgendes uͤbrig: Die Uebereinstimmung der Einbildungskraft mit den hoͤhern Seelenkraͤften ist so unwahrscheinlich, daß sie sich im voraus nicht erwarten laͤßt; und hierin hat H. M. allerdings Recht; denn wie sollte es wahrscheinlich seyn, daß zwey so entgegengesetzte Kraͤfte harmonische Wirkungen hervorbringen wuͤrden? Jch werde nunmehr zu meiner Erklaͤrung schreiten; es ist nehmlich darzuthun, warum im Traume das Bewußtseyn unvollkommen, und die Einbildungskraft herrschend ist. Zufoͤrderst werde ich die Unvollkommenheit des Bewußtseyns hypothetisch annehmen, um daraus die Herrschaft der Einbildungskraft herzuleiten. Es liegen der dogmatischen Vernunft zwey Hindernisse im Wege, welche von der Selbstmacht der Seele herkommen, 1) erregen die unsinnlichen Begriffe, als Zweck, Wesen u.s.w. Zweifel uͤber ihre Moͤglichkeit und Anwendbarkeit; die nehmlichen Bewegungsgruͤnde, welche die Vernunft bestimmen, ihre Selbstmacht zu der Verbindung der Begriffe zu bestimmen, bestimmen sie auch das Gehalt der Begriffe selbst zu pruͤfen, und sie wird alle Augenblicke in ihren Fortschritten gehindert. 2) Entspricht jedem sinnlichen Begriff eine Anschauung; die weilende Einbildungskraft verwandelt die Anschauung in ein Bild, da die Ausmahlung der Naturbilder sehr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, University of Glasgow, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01001_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01001_1793/121
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01001_1793/121>, abgerufen am 09.05.2024.