Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite


die in der Erfahrungsreife des lautern praktischen Geistes bis zum ewigen Grund der Seele zur Grundform des Wesens gelangt sind. Wer nicht die Linie des Aequators passirt ist, hat auch nicht die Sonne in ihrer grösten Macht gesehen und erfahren, wie die Ostindienfahrer bezeugen. Zum ewigen Gleichgewicht muß der ewige Aequator vertraut seyn. So stimmen auch alle überein, die die Reise des Geistes bis zum ewigen Ziel desselben gemacht haben, von Anfang der Welt bis jetzt.)

"Allerdings ist die Religion nicht blos für kaltblütige Ueberlegung bestimmt; auch unsere Leidenschaften, sagt Young, sind getauft, und sie können nicht zu lebhaft in geistlichen Empfindungen seyn, sobald die Grundlage derselben Vernunft (ewige lautre Lebensvernunft von der Sonne der ewigen Gerechtigkeit) ist; aber blos auf Gefühle und vorübergehende Regungen, (die nicht regelmäßige, immer in gleichen ewigen Grund fortgehende Erfahrungen sind,) alles zu bauen ist gefährlich, theils für die Sitten, indem sich in die inneren guten Gefühle oft etwas Fleischliches einmischt, wie viele Beyspiele unter Pietisten, Quäkern, Herrnhutern etc. beweisen, gefährlich selbst für den Glauben, denn ein von jenen geglaubter, hernach klärlich widerlegter Satz, macht sie das ganze System verwerfen. Der Uebergang von Schwärmerey zum Unglauben ist mehr als zu gewöhnlich."



die in der Erfahrungsreife des lautern praktischen Geistes bis zum ewigen Grund der Seele zur Grundform des Wesens gelangt sind. Wer nicht die Linie des Aequators passirt ist, hat auch nicht die Sonne in ihrer groͤsten Macht gesehen und erfahren, wie die Ostindienfahrer bezeugen. Zum ewigen Gleichgewicht muß der ewige Aequator vertraut seyn. So stimmen auch alle uͤberein, die die Reise des Geistes bis zum ewigen Ziel desselben gemacht haben, von Anfang der Welt bis jetzt.)

»Allerdings ist die Religion nicht blos fuͤr kaltbluͤtige Ueberlegung bestimmt; auch unsere Leidenschaften, sagt Young, sind getauft, und sie koͤnnen nicht zu lebhaft in geistlichen Empfindungen seyn, sobald die Grundlage derselben Vernunft (ewige lautre Lebensvernunft von der Sonne der ewigen Gerechtigkeit) ist; aber blos auf Gefuͤhle und voruͤbergehende Regungen, (die nicht regelmaͤßige, immer in gleichen ewigen Grund fortgehende Erfahrungen sind,) alles zu bauen ist gefaͤhrlich, theils fuͤr die Sitten, indem sich in die inneren guten Gefuͤhle oft etwas Fleischliches einmischt, wie viele Beyspiele unter Pietisten, Quaͤkern, Herrnhutern etc. beweisen, gefaͤhrlich selbst fuͤr den Glauben, denn ein von jenen geglaubter, hernach klaͤrlich widerlegter Satz, macht sie das ganze System verwerfen. Der Uebergang von Schwaͤrmerey zum Unglauben ist mehr als zu gewoͤhnlich.«


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0053" n="51"/><lb/>
die in der Erfahrungsreife des                         lautern praktischen Geistes bis zum ewigen Grund der Seele zur Grundform des                         Wesens gelangt sind. Wer nicht die Linie des Aequators passirt ist, hat auch                         nicht die Sonne in ihrer gro&#x0364;sten Macht gesehen und erfahren, wie die                         Ostindienfahrer bezeugen. Zum ewigen Gleichgewicht muß der ewige Aequator                         vertraut seyn. So stimmen auch alle u&#x0364;berein, die die Reise des Geistes bis                         zum ewigen Ziel desselben gemacht haben, von Anfang der Welt bis jetzt.)</p>
          <p>»Allerdings ist die Religion nicht blos fu&#x0364;r kaltblu&#x0364;tige Ueberlegung bestimmt;                         auch unsere Leidenschaften, sagt Young, sind getauft, und sie ko&#x0364;nnen nicht                         zu lebhaft in geistlichen Empfindungen seyn, sobald die Grundlage derselben                         Vernunft (ewige lautre Lebensvernunft von der Sonne der ewigen                         Gerechtigkeit) ist; aber blos auf Gefu&#x0364;hle und voru&#x0364;bergehende Regungen, (die                         nicht regelma&#x0364;ßige, immer in gleichen ewigen Grund fortgehende Erfahrungen                         sind,) alles zu bauen ist gefa&#x0364;hrlich, theils fu&#x0364;r die Sitten, indem sich in                         die inneren guten Gefu&#x0364;hle oft etwas Fleischliches einmischt, wie viele                         Beyspiele unter Pietisten, Qua&#x0364;kern, Herrnhutern etc. beweisen, gefa&#x0364;hrlich                         selbst fu&#x0364;r den Glauben, denn ein von jenen geglaubter, hernach kla&#x0364;rlich                         widerlegter Satz, macht sie das ganze System verwerfen. Der Uebergang von                         Schwa&#x0364;rmerey zum Unglauben ist mehr als zu gewo&#x0364;hnlich.«</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[51/0053] die in der Erfahrungsreife des lautern praktischen Geistes bis zum ewigen Grund der Seele zur Grundform des Wesens gelangt sind. Wer nicht die Linie des Aequators passirt ist, hat auch nicht die Sonne in ihrer groͤsten Macht gesehen und erfahren, wie die Ostindienfahrer bezeugen. Zum ewigen Gleichgewicht muß der ewige Aequator vertraut seyn. So stimmen auch alle uͤberein, die die Reise des Geistes bis zum ewigen Ziel desselben gemacht haben, von Anfang der Welt bis jetzt.) »Allerdings ist die Religion nicht blos fuͤr kaltbluͤtige Ueberlegung bestimmt; auch unsere Leidenschaften, sagt Young, sind getauft, und sie koͤnnen nicht zu lebhaft in geistlichen Empfindungen seyn, sobald die Grundlage derselben Vernunft (ewige lautre Lebensvernunft von der Sonne der ewigen Gerechtigkeit) ist; aber blos auf Gefuͤhle und voruͤbergehende Regungen, (die nicht regelmaͤßige, immer in gleichen ewigen Grund fortgehende Erfahrungen sind,) alles zu bauen ist gefaͤhrlich, theils fuͤr die Sitten, indem sich in die inneren guten Gefuͤhle oft etwas Fleischliches einmischt, wie viele Beyspiele unter Pietisten, Quaͤkern, Herrnhutern etc. beweisen, gefaͤhrlich selbst fuͤr den Glauben, denn ein von jenen geglaubter, hernach klaͤrlich widerlegter Satz, macht sie das ganze System verwerfen. Der Uebergang von Schwaͤrmerey zum Unglauben ist mehr als zu gewoͤhnlich.«

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, University of Glasgow, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01001_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01001_1793/53
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01001_1793/53>, abgerufen am 08.05.2024.