Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0066" n="64"/><lb/> fortgehenden Nahrungsstand geheftet: Der Befehl Jesu: Wenn du betest, so gehe in dein Kaͤmmerlein etc. wie goͤttlich und angemessen den Menschen! Vor dem Aufstehen, oder in Buͤchern allein und ungestoͤrt zu beten, muͤßte jedem Menschen ehrwuͤrdig und nothwendig seyn und werden. Vergnuͤgt blickte ich der aufgehenden Sonne in ihre wohlthaͤtigen Strahlen, und ging gestaͤrckter den Berg mit Fichten bekraͤnzt empor. Ohne in einem Hause einzukehren, ließ ich Beneckenstein rechts liegen, kam unvermuthet zur Sorge, nach Braunlage, neben Otterbruͤck vorbei, und gieng daselbst den Weg zuruͤck nach Schirke zu. Ob ich gleich von starker Tagesreise, und Entziehen der noͤthigen Speisen, muͤde und schwach war, sucht' ich doch nicht Schirke zu erreichen, sondern blieb wieder im Walde. Ein enges Bette in kuͤhler Erde — wie ein Grab, mit bloßen Haͤnden gegraben, mit Fichtenreisern umpflanzt, eine lange kalte Nacht hingestreckt, ohne Freund und Gesellschaft, ohne Hoffnung eines irrdisch Bessern, von Hunger, Durst und Frost zu leiden, und Schlaf, wodurch alles Leiden eine Zeitlang gemildert und vergessen wird, zu entbehren — Ach! (seufzt' ich) mein Schicksal ist doch hart — Jst nun mit Recht ein Elend zu nennen. Gott! (betete ich) Nimm meine Seele diese Nacht zu dir! Genug gelitten, gekaͤmpft und gerungen habe ich, werth zu seyn, von dir aufgenommen zu werden! Meine Suͤnden habe ich un-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [64/0066]
fortgehenden Nahrungsstand geheftet: Der Befehl Jesu: Wenn du betest, so gehe in dein Kaͤmmerlein etc. wie goͤttlich und angemessen den Menschen! Vor dem Aufstehen, oder in Buͤchern allein und ungestoͤrt zu beten, muͤßte jedem Menschen ehrwuͤrdig und nothwendig seyn und werden. Vergnuͤgt blickte ich der aufgehenden Sonne in ihre wohlthaͤtigen Strahlen, und ging gestaͤrckter den Berg mit Fichten bekraͤnzt empor. Ohne in einem Hause einzukehren, ließ ich Beneckenstein rechts liegen, kam unvermuthet zur Sorge, nach Braunlage, neben Otterbruͤck vorbei, und gieng daselbst den Weg zuruͤck nach Schirke zu. Ob ich gleich von starker Tagesreise, und Entziehen der noͤthigen Speisen, muͤde und schwach war, sucht' ich doch nicht Schirke zu erreichen, sondern blieb wieder im Walde. Ein enges Bette in kuͤhler Erde — wie ein Grab, mit bloßen Haͤnden gegraben, mit Fichtenreisern umpflanzt, eine lange kalte Nacht hingestreckt, ohne Freund und Gesellschaft, ohne Hoffnung eines irrdisch Bessern, von Hunger, Durst und Frost zu leiden, und Schlaf, wodurch alles Leiden eine Zeitlang gemildert und vergessen wird, zu entbehren — Ach! (seufzt' ich) mein Schicksal ist doch hart — Jst nun mit Recht ein Elend zu nennen. Gott! (betete ich) Nimm meine Seele diese Nacht zu dir! Genug gelitten, gekaͤmpft und gerungen habe ich, werth zu seyn, von dir aufgenommen zu werden! Meine Suͤnden habe ich un-
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
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