Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793.
Wohl, ich will jede That begierig aufhaschen, wie ich als selbstständiges Jch handeln kann, mich in alle Begebenheiten einmischen, jeder Gefahr meine Brust bieten. Vielleicht begrab' ich mich denn einmal unter den Ruinen einer meiner Unternehmungen; und, wird das Auge der Liebe mein Grab gleich nie benetzen, so sollen sie doch sagen müssen: Hier liegt er!
Wohl, ich will jede That begierig aufhaschen, wie ich als selbststaͤndiges Jch handeln kann, mich in alle Begebenheiten einmischen, jeder Gefahr meine Brust bieten. Vielleicht begrab' ich mich denn einmal unter den Ruinen einer meiner Unternehmungen; und, wird das Auge der Liebe mein Grab gleich nie benetzen, so sollen sie doch sagen muͤssen: Hier liegt er! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0083" n="81"/><lb/> Anklaͤger, lauter Verdammungsurtheile; kein Vertheidiger, kein Entschuldiger! Mir bleibt nichts uͤbrig als zuweilen, wenns zu viel wird, wenn das Maas meiner Quaalen uͤberlaͤuft, in meiner Verzweiflung, wie Herkules in die Flammen mich zu werfen, und mein Martern hinweg zu martern. Herkules! — Ja ich bin gewiß so uͤberzeugt wie er, daß dies Leben fuͤr mich nicht taugt; aber haͤtt' ich auch seine Entschließung! — Doch ist es warlich nicht Furcht vor dem Tode die mich abhaͤlt. Wahrlich nicht! Aber — soll ich denn wie ein Polyp aus diesem Leben hinausgehen? Soll ich gar kein Andenken mitnehmen und zuruͤcklassen? Hu! Vergessen! wer den Tod wuͤnscht, der wuͤnscht darum keine Vernichtung. Jm Grunde ist es doch nur die Hoffnung seine gegenwaͤrtige druͤckende Verhaͤltnisse — wenigstens zu verwechseln. Aber vergessen, weggetilgt seyn, das ist dem menschlichen Geiste so unertraͤglich wie die Leere: er kann und mag sie nicht denken. </p> <p>Wohl, ich will jede That begierig aufhaschen, wie ich als selbststaͤndiges <hi rendition="#b">Jch</hi> handeln kann, mich in alle Begebenheiten einmischen, jeder Gefahr meine Brust bieten. Vielleicht begrab' ich mich denn einmal unter den Ruinen einer meiner Unternehmungen; und, wird das Auge der Liebe mein Grab gleich nie benetzen, so sollen sie doch sagen muͤssen: Hier liegt er!</p> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [81/0083]
Anklaͤger, lauter Verdammungsurtheile; kein Vertheidiger, kein Entschuldiger! Mir bleibt nichts uͤbrig als zuweilen, wenns zu viel wird, wenn das Maas meiner Quaalen uͤberlaͤuft, in meiner Verzweiflung, wie Herkules in die Flammen mich zu werfen, und mein Martern hinweg zu martern. Herkules! — Ja ich bin gewiß so uͤberzeugt wie er, daß dies Leben fuͤr mich nicht taugt; aber haͤtt' ich auch seine Entschließung! — Doch ist es warlich nicht Furcht vor dem Tode die mich abhaͤlt. Wahrlich nicht! Aber — soll ich denn wie ein Polyp aus diesem Leben hinausgehen? Soll ich gar kein Andenken mitnehmen und zuruͤcklassen? Hu! Vergessen! wer den Tod wuͤnscht, der wuͤnscht darum keine Vernichtung. Jm Grunde ist es doch nur die Hoffnung seine gegenwaͤrtige druͤckende Verhaͤltnisse — wenigstens zu verwechseln. Aber vergessen, weggetilgt seyn, das ist dem menschlichen Geiste so unertraͤglich wie die Leere: er kann und mag sie nicht denken.
Wohl, ich will jede That begierig aufhaschen, wie ich als selbststaͤndiges Jch handeln kann, mich in alle Begebenheiten einmischen, jeder Gefahr meine Brust bieten. Vielleicht begrab' ich mich denn einmal unter den Ruinen einer meiner Unternehmungen; und, wird das Auge der Liebe mein Grab gleich nie benetzen, so sollen sie doch sagen muͤssen: Hier liegt er!
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
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