Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 2. Berlin, 1793.am 29. August. O ich rasender Thor! wie mir bey ihr auch nur die tolle Jdee von Liebe und Treue, und Gott weiß, was noch vor schäfermäßige Dinge? in den Kopf kommen konnte! Jch begreife mich nicht. War sie nicht von allem Anfang ein verbuhltes begehrendes Mädchen? und ich seufze mich bald zum Heimchen. -- Komm' ich heut Nacht spät nach Hause, und wie ich so ungefähr zehen Schritte vom Hause bin, hör' ich von innen an der Hausthüre arbeiten. Jch kehrte ins Dunkle; die Thür geht leise auf, und heraus tritt Einer in einem weißen Mantel, den ich sogleich vor jenen Schwätzer, den verdammten Siebold erkenne, und schlüpft geschwind hinüber in eine andere Gasse, indem sie ihm nachruft: Gute Nacht, lieber Junge! -- Lieber Junge! wie unerträglich vertraulich! Jm ersten Gewirre meiner Empfindungen wollt' ich ihm nach, und ihm das Mahl gesegnen, die Betrachtung aber, daß ich denn doch immer die Rolle eines unglücklichen Nebenbuhlers spielen würde. Mein Gesicht! -- Sein Spott würde mich zermalmt haben -- kurz ich blieb, und hielt mich still, bis alles wieder ruhig war. Als ich in mein Zimmer kam, fand ich den Horaz auf meinem Tische aufgeschlagen, worinnen ich heute geblättert hatte, und mein Blick fiel gerade auf die Ode: Quis multa gratilis te puer in rosa u.s.w. Jch am 29. August. O ich rasender Thor! wie mir bey ihr auch nur die tolle Jdee von Liebe und Treue, und Gott weiß, was noch vor schaͤfermaͤßige Dinge? in den Kopf kommen konnte! Jch begreife mich nicht. War sie nicht von allem Anfang ein verbuhltes begehrendes Maͤdchen? und ich seufze mich bald zum Heimchen. — Komm' ich heut Nacht spaͤt nach Hause, und wie ich so ungefaͤhr zehen Schritte vom Hause bin, hoͤr' ich von innen an der Hausthuͤre arbeiten. Jch kehrte ins Dunkle; die Thuͤr geht leise auf, und heraus tritt Einer in einem weißen Mantel, den ich sogleich vor jenen Schwaͤtzer, den verdammten Siebold erkenne, und schluͤpft geschwind hinuͤber in eine andere Gasse, indem sie ihm nachruft: Gute Nacht, lieber Junge! — Lieber Junge! wie unertraͤglich vertraulich! Jm ersten Gewirre meiner Empfindungen wollt' ich ihm nach, und ihm das Mahl gesegnen, die Betrachtung aber, daß ich denn doch immer die Rolle eines ungluͤcklichen Nebenbuhlers spielen wuͤrde. Mein Gesicht! — Sein Spott wuͤrde mich zermalmt haben — kurz ich blieb, und hielt mich still, bis alles wieder ruhig war. Als ich in mein Zimmer kam, fand ich den Horaz auf meinem Tische aufgeschlagen, worinnen ich heute geblaͤttert hatte, und mein Blick fiel gerade auf die Ode: Quis multa gratilis te puer in rosa u.s.w. Jch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0104" n="104"/><lb/> <div n="4"> <opener> <dateline> <hi rendition="#right">am 29. August.</hi> </dateline> </opener> <p>O ich rasender Thor! wie mir bey ihr auch nur die tolle Jdee von Liebe und Treue, und Gott weiß, was noch vor schaͤfermaͤßige Dinge? in den Kopf kommen konnte! Jch begreife mich nicht. War sie nicht von allem Anfang ein verbuhltes begehrendes Maͤdchen? und ich seufze mich bald zum Heimchen. — Komm' ich heut Nacht spaͤt nach Hause, und wie ich so ungefaͤhr zehen Schritte vom Hause bin, hoͤr' ich von innen an der Hausthuͤre arbeiten. Jch <choice><corr>kehrte</corr><sic>krehte</sic></choice> ins Dunkle; die Thuͤr geht leise auf, und heraus tritt Einer in <choice><corr>einem</corr><sic>einen</sic></choice> weißen Mantel, den ich sogleich vor jenen Schwaͤtzer, den verdammten Siebold erkenne, und schluͤpft geschwind hinuͤber in eine andere Gasse, indem sie ihm nachruft: Gute Nacht, lieber Junge! — Lieber Junge! wie unertraͤglich vertraulich!</p> <p>Jm ersten Gewirre meiner Empfindungen wollt' ich ihm nach, und ihm das Mahl gesegnen, die Betrachtung aber, daß ich denn doch immer die Rolle eines ungluͤcklichen Nebenbuhlers spielen wuͤrde. Mein Gesicht! — Sein <choice><corr>Spott</corr><sic>Spatt</sic></choice> wuͤrde mich zermalmt haben — kurz ich blieb, und hielt mich still, bis alles wieder ruhig war. Als ich in mein Zimmer kam, fand ich den Horaz auf meinem Tische aufgeschlagen, worinnen ich heute geblaͤttert hatte, und mein Blick fiel gerade auf die Ode: <hi rendition="#aq">Quis multa gratilis te puer in rosa</hi> u.s.w. Jch<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [104/0104]
am 29. August. O ich rasender Thor! wie mir bey ihr auch nur die tolle Jdee von Liebe und Treue, und Gott weiß, was noch vor schaͤfermaͤßige Dinge? in den Kopf kommen konnte! Jch begreife mich nicht. War sie nicht von allem Anfang ein verbuhltes begehrendes Maͤdchen? und ich seufze mich bald zum Heimchen. — Komm' ich heut Nacht spaͤt nach Hause, und wie ich so ungefaͤhr zehen Schritte vom Hause bin, hoͤr' ich von innen an der Hausthuͤre arbeiten. Jch kehrte ins Dunkle; die Thuͤr geht leise auf, und heraus tritt Einer in einem weißen Mantel, den ich sogleich vor jenen Schwaͤtzer, den verdammten Siebold erkenne, und schluͤpft geschwind hinuͤber in eine andere Gasse, indem sie ihm nachruft: Gute Nacht, lieber Junge! — Lieber Junge! wie unertraͤglich vertraulich!
Jm ersten Gewirre meiner Empfindungen wollt' ich ihm nach, und ihm das Mahl gesegnen, die Betrachtung aber, daß ich denn doch immer die Rolle eines ungluͤcklichen Nebenbuhlers spielen wuͤrde. Mein Gesicht! — Sein Spott wuͤrde mich zermalmt haben — kurz ich blieb, und hielt mich still, bis alles wieder ruhig war. Als ich in mein Zimmer kam, fand ich den Horaz auf meinem Tische aufgeschlagen, worinnen ich heute geblaͤttert hatte, und mein Blick fiel gerade auf die Ode: Quis multa gratilis te puer in rosa u.s.w. Jch
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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