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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 2. Berlin, 1793.

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Vollendung erhalten, in kürzerer Zeit die Summe seiner Empfindungen zu zählen anfangen. Das Weib mußte also gleichen Beitrag wie der Mann und dieser wie jene -- beide gleiche Anlagen entgegenbringen -- gleiche Grundformen des künftigen Menschen. Warum sollte auch in dem Weibe nicht das nehmliche vorgehen, wie in dem Manne? -- beide begründen ja gleiche Ursachen: hier sondern sich Zeugungssäfte ab -- dort müssen sich also auch absondern; denn gleiche Körper -- gleiche absondernde Elemente: -- in diesen lieget nach den Gesetzen des formens das Geschöpf gebildet -- warum also nicht auch in jenen? -- gleiche würkende Ursachen -- gleiche Effekte. -- Die Natur spielet nicht mit leerer Mannigfaltigkeit, daß sie ihren Geschöpfen, wie das Kind seinen einherführenden Puppen nur immer andere und andere Gewänder, andere farbichte Flecke mit andern Schnitten umhänge: ihre Mannigfaltigkeit ist Absicht zur endlichen Erreichung höherer vielfacherer Zwecke der Schöpfung. Mann und Weib bringen also zwei Embrione, zwei Anlagen zu Einem entgegen -- und es ist kein mordender Gedanke: -- der eine gehet unter indem er sich mit dem andern verbindet: es ist nur höhere Spannung beider physischen Leben beider Empfindungsvermögen zu und in einem konzentrischen Punkte.*)


*) Sömmering v. Baue des menschl. Körpers. Th. 5. §. 117. "Ein späterer Ursprung der Seele als im Augenblicke der Empfängniß oder der Erzeugung des belebten Hirnkeimes ist undenkbar; ob sie aber früher in der Mutter oder in dem Vater, oder zum Theile in beiden virtualiter sich befinde, kann man wohl nicht entscheiden."


Vollendung erhalten, in kuͤrzerer Zeit die Summe seiner Empfindungen zu zaͤhlen anfangen. Das Weib mußte also gleichen Beitrag wie der Mann und dieser wie jene — beide gleiche Anlagen entgegenbringen — gleiche Grundformen des kuͤnftigen Menschen. Warum sollte auch in dem Weibe nicht das nehmliche vorgehen, wie in dem Manne? — beide begruͤnden ja gleiche Ursachen: hier sondern sich Zeugungssaͤfte ab — dort muͤssen sich also auch absondern; denn gleiche Koͤrper — gleiche absondernde Elemente: — in diesen lieget nach den Gesetzen des formens das Geschoͤpf gebildet — warum also nicht auch in jenen? — gleiche wuͤrkende Ursachen — gleiche Effekte. — Die Natur spielet nicht mit leerer Mannigfaltigkeit, daß sie ihren Geschoͤpfen, wie das Kind seinen einherfuͤhrenden Puppen nur immer andere und andere Gewaͤnder, andere farbichte Flecke mit andern Schnitten umhaͤnge: ihre Mannigfaltigkeit ist Absicht zur endlichen Erreichung hoͤherer vielfacherer Zwecke der Schoͤpfung. Mann und Weib bringen also zwei Embrione, zwei Anlagen zu Einem entgegen — und es ist kein mordender Gedanke: — der eine gehet unter indem er sich mit dem andern verbindet: es ist nur hoͤhere Spannung beider physischen Leben beider Empfindungsvermoͤgen zu und in einem konzentrischen Punkte.*)


*) Soͤmmering v. Baue des menschl. Koͤrpers. Th. 5. §. 117. »Ein spaͤterer Ursprung der Seele als im Augenblicke der Empfaͤngniß oder der Erzeugung des belebten Hirnkeimes ist undenkbar; ob sie aber fruͤher in der Mutter oder in dem Vater, oder zum Theile in beiden virtualiter sich befinde, kann man wohl nicht entscheiden.«
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[21/0021] Vollendung erhalten, in kuͤrzerer Zeit die Summe seiner Empfindungen zu zaͤhlen anfangen. Das Weib mußte also gleichen Beitrag wie der Mann und dieser wie jene — beide gleiche Anlagen entgegenbringen — gleiche Grundformen des kuͤnftigen Menschen. Warum sollte auch in dem Weibe nicht das nehmliche vorgehen, wie in dem Manne? — beide begruͤnden ja gleiche Ursachen: hier sondern sich Zeugungssaͤfte ab — dort muͤssen sich also auch absondern; denn gleiche Koͤrper — gleiche absondernde Elemente: — in diesen lieget nach den Gesetzen des formens das Geschoͤpf gebildet — warum also nicht auch in jenen? — gleiche wuͤrkende Ursachen — gleiche Effekte. — Die Natur spielet nicht mit leerer Mannigfaltigkeit, daß sie ihren Geschoͤpfen, wie das Kind seinen einherfuͤhrenden Puppen nur immer andere und andere Gewaͤnder, andere farbichte Flecke mit andern Schnitten umhaͤnge: ihre Mannigfaltigkeit ist Absicht zur endlichen Erreichung hoͤherer vielfacherer Zwecke der Schoͤpfung. Mann und Weib bringen also zwei Embrione, zwei Anlagen zu Einem entgegen — und es ist kein mordender Gedanke: — der eine gehet unter indem er sich mit dem andern verbindet: es ist nur hoͤhere Spannung beider physischen Leben beider Empfindungsvermoͤgen zu und in einem konzentrischen Punkte.*) *) Soͤmmering v. Baue des menschl. Koͤrpers. Th. 5. §. 117. »Ein spaͤterer Ursprung der Seele als im Augenblicke der Empfaͤngniß oder der Erzeugung des belebten Hirnkeimes ist undenkbar; ob sie aber fruͤher in der Mutter oder in dem Vater, oder zum Theile in beiden virtualiter sich befinde, kann man wohl nicht entscheiden.«

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Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 2. Berlin, 1793, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01002_1793/21>, abgerufen am 28.04.2024.